© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Stolperstein statt Paukenschlag
Große Koalition: Für ihr Rentenkonzept erntet Arbeitsministerin Andrea Nahles auch Kritik aus den eigenen Reihen
Christian Schreiber

Ist es der ersehnte Paukenschlag oder wird es zum ersten Stolperstein für die schwarz-rote Bundesregierung? In der vergangenen Woche stellte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ihr Rentenkonzept vor und verkündete stolz, das Bundeskabinett habe ihren Plänen zugestimmt. Doch die Gesetzesänderungen müssen zunächst vom Parlament beschlossen und dann vom Bundesrat bestätigt werden. Und die Kritiker hatten es sehr eilig, sich in Stellung zu bringen.

Die Große Koalition will Arbeitnehmern, die 45 Jahre lang Beiträge eingezahlt haben, den Einstieg in die Rente mit 63 Jahren ermöglichen. Gleichzeitig sollen Mütter – gegebenenfalls auch Väter –, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, eine höhere Rente bekommen. Mit diesem Konzept haben sich CDU/CSU und Sozialdemokraten quasi in der Mitte getroffen. Denn die Rente mit 63 ist ein Projekt der SPD, die Mütterrente eines der Union.

Billig wird das Ganze allerdings nicht, Experten haben berechnet, daß beide Vorhaben bis 2030 mit jährlich neun bis elf Milliarden Euro zu Buche schlagen. Finanziert werden soll die Umsetzung erst einmal aus der Rentenkasse, also im wesentlichen aus Mitteln der Beitragszahler – sprich der Berufstätigen – bezahlt werden. Kritiker verweisen auf die demographische Lage in Deutschland, die Rente mit 63 sei unverantwortlich und dauerhaft nicht zu finanzieren. Zudem wurden Sorgen geäußert, die geplanten Maßnahmen könnten zu einer Frühverrentungwelle führen.

Für Arbeitsministerin Nahles besonders unangenehm dürfte die Intervention ihres früheren Förderers Gerhard Schröder gewesen sein. Der Altkanzler von „einem absolut falsches Signal“, und die Bild-Zeitung zitierte wohl nicht zufällig aus einem neuen Buch des SPD-Politikers, das Mitte Februar erscheinen soll. „Gerade mit Blick auf unsere europäischen Partner, von denen wir ja zu Recht Strukturreformen einfordern, erscheint dieses Vorhaben unvernünftig.“ Schröder fürchtet zudem ein Ansteigen der Rentenbeiträge. Eine geplante Senkung ist auf jeden Fall schon einmal ausgesetzt worden. „Irgendwann steht man wieder vor Entscheidungen wie zu Zeiten der Agenda 2010“, prophezeit der Altkanzler: „Dann wird es wieder neue, schmerzhafte Rentenreformen geben müssen, damit die Rentenbeiträge für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezahlbar bleiben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“

Auch innerhalb der CDU stoßen die Rentenpläne nicht nur auf Zustimmung – und das, obwohl Kanzlerin Angela Merkel persönlich um Zustimmung geworben hatte. Der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, nannte das Vorhaben sogar „systemwidrig“. Gegenüber dem Fernsehsender ntv sagte der CDU-Politiker: „Am besten wäre, wir würden die Rentenwohltaten über das Steuersystem finanzieren. Das wäre auch nicht so systemwidrig wie das, was jetzt teilweise auch angekündigt wird und was zwischen den Koalitionsparteien diskutiert wird. Aber wir können uns das momentan nicht leisten und auf Pump erst recht nicht.“

Teure Mehrbelastung für die Beitragszahler

Auch vom Wirtschaftsflügel der CDU kommt zum Teil massive Kritik: „Die vom Bundeskabinett beschlossenen Regelungen zur Rente mit 63 müssen umgehend geändert werden. So sind sie im Bundestag nicht zustimmungsfähig“, sagte der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unions-Fraktion, Christian Freiherr von Stetten (CDU), der Nachrichtenagentur dpa. Auch Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer forderte Korrekturen, da der Gesetzentwurf „eine deutliche Schieflage zu Lasten der jüngeren Generation“ aufweise. Diese müsse kräftig draufzahlen, profitieren werde dagegen „fast nur, wer heute schon zu den Älteren gehört“.

Das Rentenpaket schaffe eine teure Mehrbelastung für die Beitragszahler. Und als wäre dies noch nicht genug, meldete sich mit Franz Müntefering auch noch ein weiterer ehemaliger SPD-Boß zu Wort. Die Große Koalition betreibe eine Form von Realitätsverweigerung. Statt dessen müsse die Politik „den Mut haben, sich die lange Strecke anzugucken und nicht nur für den

Tag zu arbeiten“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Derzeit sieht alles mehr nach Stolperstein als Traumstart aus.

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