© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Dann sehen wir alt aus
Mit ihrer Rentenreform macht die Bundesregierung genau das Gegenteil des wirtschaftlich Gebotenen
Paul Rosen

Deutschland vergreist, verdummt und verarmt. Der frühere Bundespräsident Roman Herzog warnte bereits vor einigen Jahren vor einer „Rentnerdemokratie“. Folge: Die Älteren könnten die Jüngeren ausplündern. Die Rentenpolitik der Großen Koalition ebnet den Weg dahin. 160 Milliarden Euro, nach jüngsten Schätzungen sogar 233 Milliarden Euro, werden durch die Koalitionspläne in den kommenden zehn Jahren von der jungen zur alten Generation transferiert. Ist Deutschland auf dem Weg, eine „Altenrepublik“ zu werden, wie mancher Beobachter zugespitzt unkt?

Die Statistiken sprechen eine klare Sprache: Hatte Deutschland 1960 noch 73 Millionen Einwohner, von denen 17,4 Prozent über 60 Jahre alt waren, so stieg zwar die Einwohnerzahl bis 2010 auf 81,8 Millionen Menschen. Zugleich erhöhte sich der Anteil der über 60jährigen von einem Siebtel auf ein Viertel (26,3 Prozent). Der Anteil der unter 20jährigen schrumpfte von 26,4 auf 18,4 Prozent.

2060 wird das deutsche Wirtschaftswunder so lange her sein wie heute der Beginn des Ersten Weltkrieges. Deutschlands Einwohnerzahl wird dann auf 70,1 Millionen geschrumpft sein, der Anteil der über 60jährigen erreicht mit 39,2 Prozent einen Rekordwert, unter 20 Jahre alt ist dann nur noch jeder siebte (15,7 Prozent). Da jeder siebte über 80 Jahre alt sein wird, kommt auf jeden jungen Menschen ein über 80jähriger, der Rente will und oft auch Pflege braucht.

Die Finanzierung der Überalterung der Gesellschaft muß natürlich geregelt werden. Doch „die Große Koalition verdrängt, daß die Alterung der Bevölkerung das Wachstum bremst. Notwendig wäre eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit, keine Verkürzung“, stellt der Ökonom Bert Rürup fest. Die Koalition mit der neuen Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) beschreitet den gegenteiligen Weg. Die von Nahles auf den Weg gebrachte Rentenreform enthält zwei milliardenschwere Kostentreiber: Die Verbesserung der Mütterzeiten dient zwar der Gerechtigkeit, aber wenn dies die Sozialkassen insgesamt in Schieflage bringt und die Beitragszahler finanziell stranguliert, wird daraus eine gesamtgesellschaftliche Ungerechtigkeit.

Mit der Rente für langjährig Versicherte ab 63 Jahren geht die deutsche Politik auf demographische Geisterfahrt und nimmt Abschied von der „Rente mit 67“. Nahles’ Rentenreform ist auf die Europawahl am 25. Mai ausgerichtet und auf die folgenden Landtagswahlen. Schon zu Konrad Adenauers Zeiten wußte man, daß Wahlen über die Geldbörsen gewonnen werden. Daran hat sich nichts geändert. Umfragen bestätigen das: Laut ZDF-Politbarometer halten 82 Prozent die Rente ab 63 für wichtig. Vergeblich appelliert der einstige SPD-Chef Franz Müntefering an die orientierungslos dahintreibende politische Klasse, sie müsse den Mut haben, nicht nur für den Tag zu arbeiten.

Ökonomisch bahnt sich in der deutschen Gutmenschen-Republik, die keine Industrie mehr will und glaubt, ihren Energiebedarf aus Sonne, Wind und Stroh decken zu können, eine Katastrophe an. Als akzeptabel gelten bestenfalls noch „Start-ups“ und Dienstleistungen, von denen schon der einstmalige FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff wußte, Dienstleistung heiße doch nur, daß einer die Wäsche des anderen wasche, aber Wertschöpfung bringe sie nicht.

Nahles Rentenkonzept erweckt den Eindruck, als stünden uns Wirtschaftswunderjahre ohne Ende bevor, als gäbe es keine alternde Gesellschaft, keine demographische Krise. Im Cicero war über Kanzlerin Angela Merkel zu lesen, sie mache trotz einer Billion Euro Schulden des Bundes eine Rentenreform, die 160 Milliarden koste: „Die schwäbische Hausfrau hat den Reiz des Prassens entdeckt. Nach ihr die Sintflut.“ Altkanzler Gerhard Schröder warnte: „Wer soll das bezahlen?“

Anfang 2014 verweigerte die Koalition den Arbeitnehmern die fest angekündigte Senkung der Rentenbeiträge. Durchschnittsverdiener wurden dadurch um 250 Euro Entlastung pro Jahr gebracht. Steuererhöhungen und kalte Progression sowie Sozialbeitragssteigerungen haben dazu geführt, „daß sich ‘Leistung’ offenbar nicht mehr für jeden lohnt“, jammerte selbst die sonst umverteilungsfreundliche taz.

Längst sind Wirtschaft und junge Menschen auf der Flucht aus Deutschland. Die deutsche Industrie investierte einem UN-Bericht zufolge 2012 67 Milliarden Dollar im Ausland – 15 Milliarden mehr als im Vorjahr. Der Chef des Stromversorgers E.on, Peter Terium, beobachtet, daß sich seine Industriekunden davonschleichen – „nach Amerika beispielsweise“.

Die Menschen schleichen sich auch davon. Die „German Scholars Organization“, die Auswanderern Rückkehrangebote macht, rechnete vor, daß seit 2003 1,5 Millionen Deutsche ihr Vaterland verlassen haben, davon 50 bis 60 Prozent Akademiker. Damit haben seit 2003 bis zu 900.000 Akademiker Deutschland Lebewohl gesagt. Das entspricht der Einwohnerzahl von Frankfurt am Main. Welche dramatischen Folgen dies für den Bildungsstand der kommenden Generationen haben wird, kann sich jeder ausmalen, der nicht gleichmacherisch-sozialistischen Bildungsutopien anhängt, wonach jeder Abitur machen und studieren kann.

Was ist zu tun? Natürlich muß länger gearbeitet werden, da die wenigen jungen Menschen in Zukunft nicht so viele Rentner finanzieren können. Private Altersvorsorge wird empfohlen, doch haben die manipulativen Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) dazu geführt, daß Lebensversicherungen und Riester-Sparverträge bereits drastisch entwertet wurden und sich Neuabschlüsse gar nicht mehr lohnen. Laut Allianz-Versicherung verlieren die deutschen Sparer 5,8 Milliarden Euro im Jahr wegen der niedrigen Zinsen. Wer spart, wird Opfer der EZB. Und die größte Gefahr für die Rente sind die Berliner Politiker.

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