© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

Nordischer Auftakt zur Reichsgründung
Vor 150 Jahren begann in Schleswig-Holstein der Deutsch-Dänische Krieg
Wolfgang Müller

Am frühen Morgen des 1. Februar 1864 überquerten preußische und österreichische Regimenter die Eider, um das Herzogtum Schleswig zu befreien, das wenige Wochen zuvor völkerrechtswidrig von Holstein getrennt und dem dänischen Königreich einverleibt worden war (JF 47/13).

Trotz widrigen Winterwetters kamen die Truppen schnell voran. Mittags standen die Preußen in Eckernförde, die Österreicher fühlten auf das dänische Befestigungssystem, das zwischen Schleswig und Friedrichstadt angelegte Danewerk vor. Der Plan, über die Schlei, durch Angeln Richtung Flensburg zu marschieren, um die Dänen einzukesseln, mißlang jedoch am zweiten Tag des Feldzugs gründlich. Denn an der schmalsten Stelle dieser Ostseeförde, in Missunde, verwehrten die bestens verschanzten, über eine treffsichere schwere Artillerie verfügenden dänischen Verteidiger den empfindliche Verluste erleidenden Preußen den Übergang.

Gleichzeitig verharrte der linke österreichische Flügel, ungeachtet punktueller Erfolge, in respektvoller Distanz vor dem Danewerk, um abzuwarten, bis die Waffenbrüder vielleicht eine „weichere“ Stelle bei Arnis oder Kappeln finden würden, um überzusetzen. Das glückte tatsächlich am bitterkalten 6. Februar, aber nur, weil die dänische Armee auf der ganzen Linie, auch am „Danevirke“, ihre Stellungen über Nacht kampflos geräumt hatte, um sich auf die Düppeler Schanzen vor Sonderburg zurückzuziehen. Dort sollte am 18. April 1864 die blutige Schlacht geschlagen werden, die den ersten der „deutschen Einigungskriege“ faktisch entschied, obwohl die dänischen Verlierer erst im Oktober 1864 den Frieden von Wien unterzeichneten.

Über diesen im dänischen kollektiven Gedächtnis fest verankerten Krieg, der gegenwärtig zumindest im deutschen Grenzland Schleswig-Holstein noch ebenso präsent ist, fehlt es nicht an Literatur. Der Pulverdampf war kaum verflogen, da lagen die Erlebnisse des Berliner Schriftstellers und Schlachtenbummlers Heinrich Mahler („Ueber die Eider an den Alsensund“) schon gedruckt vor. Sie gaben den Startschuß zu einer Bücherflut, aus der heute allein Theodor Fontanes, im Vergleich mit Mahler freilich dröge, generalstabsmäßige Darstellung hervorragt. Überdies werden diese zeitgenössischen Quellen mittlerweile erdrückt von einer Masse militär- und lokalhistorischer Detailstudien, so daß es scheint, auf diesem Forschungsfeld wurde jeder Stein schon zweimal umgedreht.

Die Historiker Olaf Haselhorst und Maik Ohnezeit schreckte ein solcher Anschein sowenig wie den Juristen Jan Ganschow. Gemeinsam unternahmen sie daher den Versuch, Schneisen durch den Papierdschungel zu schlagen, um mit einer modernen Geschichte des „Deutsch-Dänischen Krieges“ nicht zuletzt die geschichtspolitischen Verkrustungen aufzubrechen, wie sie gerade im Gedenkjahr 2014 zutage treten.

Der große Vorzug ihres vom Verlag mit Illustrationen und Karten vorzüglich ausgestatteten Werkes beruht auf der Fähigkeit der Autoren, Wichtiges von Unwichtigem trennen zu können, nicht im positivistischen Klein-Klein, in plumper Nacherzählung steckenzubleiben, zu der die militärhistorische Materie gewöhnlich verleitet. Als hilfreich erweist sich dabei, das eigentliche Kriegsgeschehen in den beziehungsreichen Kontext europäischer Geschichte einzubetten und den Leser zunächst einmal mit dem Schicksal der Elbherzogtümer seit dem Wiener Kongreß vertraut zu machen, das Maik Ohnezeit im ersten Kapitel souverän abhandelt.

Haselhorsts anschließendes Kriegs-panorama, das dem Seekrieg, den Gefechten vor Rügen und Helgoland ungewöhnlich viel Raum gönnt, zeichnet zwar, angelehnt an Fontane, und, was wahre Kennerschaft verrät, mitunter gar an Heinrich Mahler, den Verlauf der militärischen Operationen akkurat nach. Aber die Reflexion der Ereignisse kommt nicht zu kurz. Der Leser lernt, daß waffentechnische Innovationen wie das Zündnadelgewehr Preußens infanteristische Überlegenheit begründeten. Überhaupt kündet sich das Primat des „Materials“ an. Vor Missunde erfuhren die Preußen erstmals, daß die Zeit der Hurra-Angriffe vorbei war. Ohne massive artilleristische Feuerschläge ließen sich gut ausgebaute und armierte Stellungen nicht mehr nehmen. Auf der Halbinsel Sundewitt trug man dem Rechnung, da dank wochenlanger Kanonaden die gefürchteten Düppeler Schanzen dann wirklich „sturmreif“ waren. 1914 hingegen, vor Langemarck, war die Missunder Lektion wieder vergessen.

Langfristige Erstarrung in Dänemark war die Folge

Trotzdem hing nicht alles am Material. Auch der „Geist“ der Truppe, ihre „moralischen Potenzen“, beeinflußte das Schlachtenglück. Haselhorst verweist dafür auf den hohen Ausbildungsstand, der aufgrund der gegen den Widerstand des liberalen Landtags von Bismarck durchgeboxten Heeresreform erreicht worden sei. Das Bildungsniveau breiter Volksschichten sei im Militärdienst gehoben worden, was die Erziehung eines tüchtigen Korps an Unteroffizieren ermöglichte. Allerdings habe der erfolgreiche Kriegstest auf die Richtigkeit der Bismarckschen Innenpolitik die Parlamentarisierung Preußens um Jahrzehnte verzögert. Freilich, wie Ohnezeit im Kapitel über die Folgen des Krieges hinzufügt, sei das retrospektiv gern als uralte Musterdemokratie gehandelte Dänemark nach der Niederlage von 1864 politisch erstarrt und habe auch erst sehr spät, 1915, den Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem durch Erweiterung der Rechte des Folketing vollzogen.

Ganschows Abhandlung über die kriegsvölkerrechtlichen Aspekte der Kämpfe, der umfangreichste Beitrag des Bandes, weist ebenfalls auf jeder Seite über den vermeintlich engen Rahmen eines klassischen, „gehegten“ Krieges hinaus auf zukünftige Entwicklungen. In Oeversee und Düppel fand das Debüt des Roten Kreuzes statt. Und das in der Haager Landkriegsordnung vierzig Jahre später fixierte Kampfführungs- und Kampfmittelrecht, die Regelungen über Gefangene, Requisitionen und Kontributionen basieren auf den Erfahrungen dieses ersten mit relativ modernen Waffen ausgefochtenen Konflikts.

Haselhorsts Musterung der Gedächtniskultur dieses Krieges, durchsetzt mit schneidend scharfen Kommentaren zu jüngsten geschichtspolitischen Debatten, beschließt den anregenden Band. Im Vorfeld der Gedenkveranstaltungen zu „Düppel 1864“ habe sich leider früh abgezeichnet, wie die deutsche Seite auf die Interpretation „ohne Not“ verzichtete. Die Deutschen hätten somit wieder einmal die Deutungsmacht über sich selbst und ihre Geschichte in fremde Hände gelegt, „womit leichtfertig ein wesentlicher Teil eigener Souveränität und Identität aufgegeben wird“. Der im April geplante Düppeler Auftritt des Bundespräsidenten Joachim Gauck dürfte Haselhorsts Diagnose deutscher Verklemmungen in peinlichster Weise bestätigen.

Jan Ganschow, Olaf Haselhorst, Maik Ohnezeit: Der Deutsch-Dänische Krieg 1864. Vorgeschichte – Verlauf – Folgen. Ares Verlag, Graz 2013, gebun-den, 332 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

Foto: Sylter Kapitän (l.) und österreichische Soldaten 1864: Schlachtenglück auch dank „moralischer Potenzen“

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