© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

Ein Wikinger auf Englands grünen Hügeln
Vor eintausend Jahren wurde der dänische König Knut der Große Herrscher eines nordischen Großreiches
Karlheinz Weissmann

Als die BBC vor einiger Zeit Historiker fragte, welche Ereignisse sie zu den Wendepunkten der britischen Geschichte rechneten, antwortete Sarah Foot: die Errichtung der dänischen Herrschaft im Süden der Insel. Das kam nicht überraschend angesichts der Tatsache, daß Sarah Foot die maßgebliche Biographie über Knut den Großen geschrieben hat, den „ersten Wikingerkönig Englands“, wie sie ihn nennt.

Vor eintausend Jahren, am 4. Februar 1014, wurde er von seinen Männern auf den Schild gehoben und zum König ausgerufen. Allerdings sollte es noch zwei Jahre dauern, bevor er die Nachfolge seines Vaters Sven Gabelbart tatsächlich antreten konnte. Derartige Komplikationen waren nicht ungewöhnlich im unruhigen 10. und 11. Jahrhundert der englischen Geschichte, als ein lange schwelender Konflikt zwischen Angelsachsen und Skandinaviern zum Ausbruch kam und das mühsam erhaltene Gleichgewicht zerstörte.

Dänen beherrschten den Osten und Norden Englands

Alles begann mit der Zerstörung des irischen Klosters Lindisfarne im Jahr 793. Dieser und andere Raubzüge der Skandinavier nach Irland hatten allerdings keinen systematischen Charakter. Die Orkneys und die Shetlands standen zu dem Zeitpunkt schon unter ihrer Kontrolle, Irland betrachteten sie nur als Zwischenstation auf dem Weg an die Küsten des Frankenreichs, das die fetteste Beute versprach. Dasselbe galt im Prinzip auch für England, und erst mit dem Einfall des „Großen Heeres“ nach 865 kam es zu einer Invasion im eigentlichen Sinn, die das Ziel hatte, sich dauernd festzusetzen. In der Folge entstand im Osten und im Norden Englands ein vor allem von Dänen beherrschter Raum, in dem der alte heidnische Glauben gepflegt und nach nordischen Sitten gelebt wurde, während sich im Westen und im Süden die Angelsachsen hielten.

Es schien aber so, als ob sie auf Dauer nicht einmal die Herrschaft über Wessex verteidigen konnten, und selbst ihr bedeutendster Führer – Alfred der Große – mußte zeitweise fliehen, seine Hauptstadt räumen und in den Sümpfen von Somerset Zuflucht suchen. Dann gelang ihm aber ein machtvoller Gegenstoß, der die in sich zerstrittenen Dänen so schwer traf, daß die Angelsachsen für fast einhundert Jahre die Oberhand gewannen und praktisch ganz England in die Hand ihrer Könige kam.

Die Nachfolger Alfreds waren indes nicht stark genug, das Land im Inneren zu einen; es blieb eine Kluft. Die hatte Gründe in dem bleibenden Bewußtsein der jeweiligen Volkszugehörigkeit und im Fortbestand des dänischen Rechts auf dem Gebiet, das man entsprechend „Danelag“ – also „Dänenrecht“ – nannte. Das Vorhandensein dieses ethnischen Brückenkopfs empfand König Ethelred zunehmend als bedrohlich, auch weil in Jütland mittlerweile ein eigenes Staatsgebilde entstanden war und seit 991 neue Wikingerheere das Land verwüsteten und nur gegen Zahlung hoher Tribute – das sogenannte „Danegeld“ – abzogen.

Im Jahr 1002 gab Ethelred den Befehl, daß am St. Briccius-Tag, dem 13. November, alle Dänen auf englischem Gebiet getötet werden sollten. Soweit rekonstruierbar, wurde die Anweisung aber nur da ausgeführt, wo die Angelsachsen in der Mehrheit waren, in den geschlossen dänisch bewohnten Territorien erschien die Ausführung selbstmörderisch. Trotzdem war die Empörung in Dänemark gewaltig, zumal sich unter den Toten auch Gunhild befand, die Schwester des Königs Sven Gabelbart.

Sven Gabelbart schwor Rache, sah aber auch die günstige Gelegenheit, einen beutereichen Feldzug gegen die Angelsachsen zu führen. Allerdings scheiterte ein erster Versuch, und es dauerte bis 1013, bevor Sven seinen Plan verwirklichen konnte. Die Erinnerung an die Getöteten war unter den Dänen aber noch so lebendig, daß sich die Gebiete des Danelag geschlossen hinter ihn stellten. Sven belagerte und eroberte die großen englischen Städte, mit Ausnahme Londons, wohin sich Ethelred zurückgezogen hatte. Als Sven seine Truppen in Bath sammelte, kamen aber schon vornehme Angelsachsen zu ihm und – wie eine mittelalterliche Chronik sicherlich übertreibend bemerkte – „das ganze Volk sah ihn als seinen König an“.

Nachdem Ethelred auf die Insel Wight geflohen war und London kapitulierte, schien es tatsächlich so, als ob Sven die Kronen Dänemarks und Englands vereinigen könnte. Aber seine Regierung dauerte nur einen Winter. Er starb am 3. Februar 1014. Daraufhin riefen die Männer der Flotte am Folgetag seinen Sohn Knut zum König aus, der in den Kämpfen gegen die Angelsachsen an der Seite seines Vaters gestanden hatte. Die Versammlung der angelsächsischen Edlen, der Witan, erkannte Knut allerdings nicht an. Der mußte sogar nach Dänemark fliehen, kam aber 1015 mit einem Heer nach England zurück. Erst nach dem Tod Ethelreds und der Niederlage sowie dem Tod seines Sohnes Edmund Eisenseite konnte Knut sich Weihnachten 1016 zum König von England krönen lassen; im folgenden Jahr heiratete er noch die Witwe Ethelreds, um seinen Anspruch zu festigen. Als 1019 sein Bruder Harald starb, erbte er außerdem die Herrschaft über Dänemark und dehnte seinen Machtbereich in der Folgezeit auf Norwegen aus.

Die Reichsbildung Knuts unterschied sich deutlich von anderen politischen Schöpfungen der Wikinger: er hatte es nicht mit einem dünn bewohnten Gebiet zu tun, das weitgehend neu besiedelt werden mußte wie die Normandie, es genügte nicht, eine kleine Elite über eine deutlich unterlegene Masse zu stellen wie im Fall der Kiewer Rus, oder sich zum privilegierten Schiedsrichter aufzuschwingen wie in Süditalien und auf Sizilien, wo die Normannenfürsten geschickt die verschiedenen Fraktionen gegeneinander ausspielten und so ihre Macht sicherten.

Erstmals Ausdehnung Englands über das Meer

Trotzdem war Knut außergewöhnlich erfolgreich. Nicht nur was die äußeren Angelegenheiten betraf, das heißt die Vereinigung Englands und Westskandinaviens unter einem Herrscher, sondern auch was die Entschärfung des angelsächsisch-dänischen Dualismus anging. Knut stellte hier mit großem Geschick einen Ausgleich zwischen seiner Herkunftstradition und der angelsächsischen her. So hat er zum Beispiel alle Anstrengungen unternommen, das kriegszerstörte England wieder aufzubauen und die Bedeutung der Kirche hervorgehoben; 1026 trat er als erster nordischer König eine Pilgerreise nach Rom an, was die Zeitgenossen sehr beeindruckte.

In diesen Zusammenhang fügt sich auch, daß Knut schon nach dem Sieg sein Wikingerheer entließ, um weitere Auseinandersetzungen zu verhindern. Ein Vorgehen, dem allerdings ein anderes gegenüberstand: daß er eine Kerntruppe – die Thingmannalid – behielt, im Grunde ein elitärer Kriegerbund nach sehr altem Muster. Wie stark die Bindung des Königs an diese germanische Überlieferung war, kann man einer Szene entnehmen, in der Knut, nachdem er im Zorn einen Mann erschlagen hatte, sofort von seinem Hochsitz herabstieg, um sich dem Urteil der Kampfgenossen zu stellen.

Im Vordergrund stand trotzdem der Bruch mit dem älteren Seekönigtum. Knuts Herrschaft beruhte nicht mehr auf Charisma und Gefolgschaft, sondern auf jenen Grundlagen, die auch sonst das mittelalterliche Königtum bestimmten. Wenn es Zweifel an seiner politischen Leistung trotzdem gibt, hat das mit der Labilität seiner Schöpfung zu tun, die nach seinem Tod im Jahr 1035 sehr rasch zerfiel. Es ist dagegen aber festzuhalten, daß sich im Reich Knuts des Großen zum ersten Mal jene starke Tendenz der englischen Geschichte zur imperialen Ausdehnung über See zeigte, die auch in der Zeit der Normannenherrscher, in der Phase des Angevinischen Reiches und im Aufbau des Empire zum Ausdruck kam. Der Historiker John Robert Seeley sah in diesem „Drang nach Ausbreitung“ über große Distanz eines der Grundgesetze englischer Geschichte wirksam.

Foto: Knut der Große, englische Buchmalerei aus dem 14. Jahrhundert: Der Wikingerkönig stellte in England einen Ausgleich zwischen seiner dänischen Herkunftstradition und der angelsächsischen her

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