© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

Phantasievolles Jonglieren mit Zahlen
Demographie: Eine Studie zur Akademikerquote von Einwanderern erweist sich bei genauerem Hinsehen als kreative Buchführung
Fabian Schmidt-Ahmad

Deutschland hat zweifelsohne ein Einwanderungsproblem, nur in welcher Hinsicht, darüber herrscht Uneinigkeit. Diejenigen, die sich ihr Wohnumfeld beispielsweise mit Zigeunerfamilien teilen müssen, können die uneingeschränkte Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen nur als eine Sozialkatastrophe erleben. Andere dagegen sehen mit dieser Vorteile auf sich zukommen. Zu letzteren gehört das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW).

Mitten in die Debatte, als Unionspolitiker zaghaft von „Sozialtouristen“ aus strukturschwachen EU-Ländern redeten, platzte eine IW-Studie mit der Nachricht, die Armutseinwanderung sei eine Fata Morgana. „Berechnungen des IW zeigen, daß sich auch die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien unter dem Strich auszahlt“, läßt Institutsleiter Michael Hüther wissen. „So besitzen knapp 25 Prozent der erwachsenen Zuwanderer aus diesen Ländern einen akademischen Abschluß.“

Das sei zwar weniger als bei den Einwanderern insgesamt mit 29 Prozent, aber noch immer deutlich mehr als bei den Deutschen mit 19 Prozent. Verblüffende Zahlen, mit denen Hüther die Studie aus seinem Haus präsentierte. Und wer sich nicht durch die 24 Seiten mit dem programmatischen Titel „12 gute Gründe für Zuwanderung“ kämpfen will, für den hat das Institut auch gleich ein „Demographie-Tool“ auf die Internetseite gestellt.

Hier kann man mit einem Mausklick Faktoren wie Rentenalter oder Einwanderung verändern und feststellen, daß ohne Einwanderer im Jahr 2030 rund 2,85 Millionen Fachkräfte fehlen. Selbst bei 400.000 Einwanderern wird immer noch ein Millionenmangel prognostiziert – falls diese kommen. „Das Zuwanderungsrecht sollte weiter liberalisiert, die Anerkennung ausländischer Abschlüsse verbessert und die Willkommenskultur in Deutschland gestärkt werden“, reden einem die Studienautoren Wido Geis und Felicitas Kemeny ins Gewissen.

Als Quelle geben die Autoren den Mikrozensus 2011 an, eine weitere IW-Studie von Geis und „eigene Berechnungen“. Die andere Studie über den „Beitrag der Zuwanderung zur Fachkräftesicherung“ wurde 2012 veröffentlicht. Bulgarien und Rumänien werden hier aber nicht einzeln angeführt, sondern es wird allgemein „Osteuropa“ behandelt. Das ist insofern ärgerlich, weil ausgerechnet diese ideologisch aufgeladene Zahl so im dunkeln bleibt.

Unsichere Datengrundlage

Man muß sich also auf die „eigenen Berechnungen“ der Autoren verlassen, und da ist Mißtrauen angebracht. Von einer sozialpflichtigen Beschäftigungsquote bei Bulgaren und Rumänen von 39,4 Prozent schwärmen die Autoren, die weit über den 35,5 Prozent der in Deutschland Geborenen liege. Allerdings kommen naturgemäß Einwanderer im erwerbsfähigen Alter, daher ist also von vornherein eine hohe Beschäftigungsquote zu erwarten. Geis ist sich dessen bewußt, weist er doch 2012 selbst darauf hin, daß über ein Drittel der Einwanderer „zur Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren“ zählt und rühmt deren Potential „für die Fachkräftesicherung in kurzer Frist“. Hier aber wird diese starke Relativierung nicht erwähnt.

Bizarr wird es, wenn die Autoren die akademischen Abschlüsse miteinander vergleichen. 24,5 Prozent Akademiker unter den Bulgaren und Rumänen gegen 19 Prozent unter den Deutschen. Beeindruckend – auf den ersten Blick. Denn aus Geis’ Studie von 2012 ist zu entnehmen, daß zwar den 18 Prozent deutschen Akademikern ganze 22 Prozent aus Osteuropa gegenüberstehen, aber umgekehrt messen sich satte 64 Prozent der Deutschen mit Berufsabschluß mit einer Minderheit von 47 Prozent der Osteuropäer.

Die Ursache nannte Geis damals noch: „In den meisten Ländern werden große Teile der Qualifikationen, die in Deutschland im Rahmen einer beruflichen Ausbildung erworben werden, in Form eines Hochschulstudiums vermittelt.“ Auch dieser wichtige Hinweis fehlt hier. Ebenso, daß dreißig Prozent der Einwanderer keinen Berufsabschluß haben, im Gegensatz zu lediglich achtzehn Prozent in Deutschland.

Die Datengrundlage ist der Mikrozensus 2011, die Studie von 2012 bezieht sich auf den Mikrozensus 2009 und noch älteren Erhebungen. Das heißt aber, daß die Daten spätestens von 2010 stammen können. Bulgarien und Rumänien sind aber erst seit 2007 Mitglieder der EU. Seit dieser Zeit wurden Zugangseinschränkungen zum deutschen Arbeitsmarkt schrittweise abgebaut – und zwar zuerst für Höherqualifizierte. In diesen Jahren wurde also als erstes der Rahm abgeschöpft.

Wenn also die Autoren feststellen, daß überdurchschnittlich häufig Akademiker einwandern, dann ist das nicht weiter verwunderlich. Übrigens mit katastrophalen Folgen beispielsweise für das Gesundheitssystem in diesen Ländern, da deren Ärzte längst hier arbeiten. Wer sich jetzt noch seit 2014 in Deutschland niederlassen darf, sind eher Geringqualifizierte. Die aber wurden von der Studie noch gar nicht erfaßt. Wie aber diese einen volkswirtschaftlichen Nutzen erbringen soll, das weiß alleine das IW.

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