© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

„Diese Todesliste gibt es wirklich“
Mit einem vielgelobten Bestseller ist der Altmeister des Thriller-Genres, der Brite Frederick Forsyth, zurückgekehrt. Sein Roman entfaltet das atemberaubende Panorama des weltweiten „Krieges gegen den Terror“.
Moritz Schwarz

Herr Forsyth, „Die Todesliste“ lese sich „wie das Skript zu einem Dritten Weltkrieg, der längst im Gang ist“, schreibt ein Rezensent. Was macht Ihr Buch so aktuell?

Forsyth: Nun, eigentlich muß man gar nicht lange suchen, um auf die erstaunlichen technischen Neuerungen, bizarren Krisen und Ausbrüche von Gewalt und Beinahe-Kriegen unserer Zeit zu stoßen. Ich habe schon lange des Gefühl, daß die Ära, in der wir seit etwa fünfzig Jahren Leben, eine der außergewöhnlichsten der Geschichte ist. Also, warum erst lange nach Themen für ein neues Buch suchen?

In „Die Todesliste“ erhält man einen Einblick in die „Architektur“ des globalen Anti-Terror-Kampfes des Westens. Ist das alles detailgetreu rekonstruiert oder doch teilweise Fiktion?

Forsyth: Die Figuren und Ereignisse sind natürlich erfunden – allerdings basieren sie auf tatsächlichen Menschen und Geschehnissen. Was aber die Hintergründe angeht, auf die Ihre Frage ja wohl abzielt: Bei meinen Recherchen war ich immer wieder überrascht über die Vielzahl an Informationen, die bereits bekannt sind, sprich: die schon irgendwo publiziert wurden – wenn man weiß, wo man nachschlagen muß.

Liest man Ihr Buch, erscheint die Welt als eine globale Kampfzone – mit Todeslisten, extralegalen Hinrichtungen, dem Rechtsstaat nur noch als Kulisse für Geheimdienste. Ist das tatsächlich unsere Zukunft?

Forsyth: Nein, beruhigen Sie sich, so schrecklich ist es nicht. Aber natürlich stimmt es, daß geheime, verdeckte Konflikte existieren. Nach dem Zweitem Weltkrieg und dem Kalten Krieg ist es heute im Zeitalter des Kampfs gegen den Terror ein neuer religiöser Fanatismus, der den Westen bedroht, erwachsen aus dem Herzen einer der großen Weltreligionen. Der Westen mag ja die reichste, demokratischste und wohl auch zügelloseste Gesellschaft sein, die die Welt je gesehen hat – aber er ist eben dennoch bedroht.

Vordergründig erzählen Sie die Geschichte der Jagd amerikanischer Spezialkräfte auf einen islamistischen Terror-Prediger. Tatsächlich wirkt Ihr Buch allerdings so beeindruckend, weil es das Szenario globaler Überwachung und Kriegführung entfaltet. War das Ihre Absicht?

Forsyth: Ja, natürlich. Bei meiner ersten Recherche zum Thema dschihadistischer Fanatismus stieß ich auf einen Mann namens Anwar al-Awlaki, einen halb amerikanischen, halb jemenitischen Prediger, der seine Predigten online rund um die Welt schickte. Allerdings: Der Mann sprach perfekt Englisch, und seine Predigten zielten nicht auf die Jugend in der moslemischen Welt, sondern auf die moslemische Jugend in der westlichen Welt. In „Die Todesliste“ greife ich diese Figur auf, indem ich quasi ihren fiktionalen Nachfolger schildere, nachdem Awlaki 2011 im Jemen von Raketen einer US-Drohne liquidiert worden ist.

Am beeindruckendsten ist vielleicht die Szene, als ein eingeschleuster US-Agent seinem Führungsoffizier durch Kopfnicken das Zeichen gibt, den Terror-Prediger gefunden zu haben. Allerdings nickt der Mann im innersten Asien – während der Führungsoffizier an seinem Schreibtisch in den USA sitzt. Via Drohnen, Satelliten und Internet kann mit einer Geste rund um die Welt kommuniziert und verraten werden. Einer nickt und ein anderer drückt den Knopf – daß dazwischen drei Kontinente liegen, spielt keine Rolle mehr.

Forsyth: Eigentlich ist das gar nicht so neu. Schon 1914 flogen die Piloten des Ersten Weltkriegs über die Schützengräben der Gegner, um diese zu beobachten. Fügen Sie hundert Jahre und die Erfindung der Fernsteuerung hinzu – die übrigens Nikola Tesla 1898 erfand – und Sie haben eine Drohne. Eigentlich ist es eher ein Wunder, daß es so lange gebraucht hat.

Am Ende bleibt man ratlos zurück, vor was man sich mehr fürchten soll: den Terror der Islamisten oder der Fähigkeit des Westens, in Zukunft jeden Menschen überall auf der Welt zu verfolgen, zu finden und zu liquidieren. Was meinen Sie?

Forsyth: Wissen Sie, die dschihadistischen Fanatiker – im Verfolgen ihres unmöglichen Traums – sind trunken von Wut und Haß, nicht nur auf den Westen, sondern auch auf die moderaten moslemischen Regierungen. Und sie sind in der Tat furchterregend und lassen uns im Westen keine andere Wahl, als uns zu verteidigen. Allerdings hat jede Technologie zwei Seiten: eine aggressive, aber auch eine friedliche. Ferngesteuerte, luftgestütze Daueraufklärung, wie sie Sie so erschreckt, hat ebenso tausend friedliche, hilfreiche und lebensrettende Aspekte. Inzwischen wird ja sogar der Bergbau von Robotern erledigt, und der Kumpel sitzt in einem blütenweißen Kittel vor seinem Kontrollpult. Ich denke, es gibt keinen Grund, sich davor zu fürchten.

Ausgangspunkt für Ihr Buch ist die „Todesliste“. Gibt es diese wirklich?

Forsyth: Ja, diese Todesliste gibt es wirklich. Sie liegt in einem Panzerschrank des Oval Office, dem Büro des US-Präsidenten im Weißen Haus. Sie ist, was der Name sagt: eine Liste mit ultragefährlichen Terroristen, deren Liquidierung die USA beschlossen haben.

Was bedeutet es für den Westen als Wertegemeinschaft, daß die westliche Führungsmacht eine solche Liste extralegaler Hinrichtungen „abarbeitet“? Unterminiert das nicht unser moralisches Selbstverständnis?

Forsyth: Die Frage der zielgerichteten Tötung ist schon lange ein moralisches Thema. Ein britisches Militärgericht verurteilte kürzlich einen Marine-Bootsmann, der einem beinahe toten Taliban mit einem Schuß ins Herz den Rest gab, zu zehn Jahren Haft. Amerikanische „Seals“, also Marine-Kommandosoldaten, töteten dagegen einen unbewaffneten Saudi mittleren Alters und wurden als Helden gefeiert. Der Name des Mannes war Osama bin Laden. Amerikaner und Israelis haben nur geringe Skrupel dabei, einen Feind ihres Landes zur Strecke zu bringen. Nur den Europäern verursacht das Gewissenskonflikte.

Einem George W. Bush hätten die Deutschen solch eine Liste jederzeit zugetraut, einem Barack Obama nicht. Inzwischen ist Obama aber „der“ Drohnen-Präsident, der mehr Menschen mit diesem Mittel hat töten lassen als jeder seiner Vorgänger.

Forsyth: Die Transformation des Barack Obama war problemlos vorherzusagen. Bevor er das Amt antrat, konnte er sich freilich den Luxus einer hohen Moral erlauben. Alle Politiker tun das. Aber dann, als er die Arbeit aufnahm, wurde er beiseite genommen und in strikter Vertraulichkeit mit den wahren Fakten konfrontiert. Daraufhin wurde Guantanamo nicht geschlossen, und es gab mehr Kampfeinsätze mit Drohnen als je zuvor.

Überwiegende sollen den westlichen Drohnen-Angriffen unschuldige Zivilisten zum Opfer fallen. Ist das vertretbar? Oder möglicherweise selbst eine Form von Terror?

Forsyth: Der Vorwurf der zahlreichen zivilen Opfer ist einer der größten modernen Mythen – aber viele glauben eben daran. In Wirklichkeit ist eine intelligente Bombe oder Rakete unglaublich präzise, im Vergleich zu demjenigen, der sie lenkt. Die meisten zivilen Toten gibt es, wenn überhaupt, wenn ein falsches Ziel angegriffen wird. Dabei werden außerordentliche Bemühungen unternommen, die Zielperson aus der Luft zu observieren und erst zuzuschlagen, wenn sie mit ihren Wächtern alleine ist. Einige der schlimmsten Vorfälle mit zivilen Toten hat es gegeben, weil die Terroristen selbst das Durchsickern falscher Informationen arrangierten. Natürlich passieren aber auch echte Fehler, und eine Hochzeitsgesellschaft wird aus 15.000 Metern Höhe irrtümlich als Terror-Gruppe identifiziert. Allerdings, kein Krieg in der Geschichte hat je weniger zivile Tote gekostet.

Ist Ihr Buch eine Rechtfertigung globaler Überwachung, extralegaler Hinrichtung und Massendatensammlung – als notwendiger Mittel im Kampf gegen den Terror? War das Ihre Intention?

Forsyth: Meine Intention war zu beschreiben, was wirklich vor sich geht – ohne anzuklagen oder zu rechtfertigen.

Die islamistischen Prediger zeichnen Sie eindimensional während der US-Held differenziert geschildert wird, Privatleben hat, sympathisch und gebildet ist. Ist das nicht parteiisch?

Forsyth: Wenn wir nach der Moral fragen, muß eine Frage im Vordergrund stehen: Wer ist der Angreifer? Die Moral muß auf der Seite dessen stehen, der angegriffen wird. Al-Qaida begann den Angriff auf die USA im Jahr 1993. Eine große Zahl US-Amerikaner starb bereits vor dem 11. September 2001 bei Bombenanschlägen. Und seitdem sind weltweit weitere Tausende Unschuldiger in Diskotheken, Einkaufspassagen, Wohnblöcken, Zügen, Bussen und auf der Straße getötet worden. Keiner von diesen hatte zuvor einem Araber oder Moslem etwas angetan. Die Terroristen suchen ihre Opfer wahllos aus. Im Gegensatz dazu: Terroristen selbst sterben erst nach wochenlanger Planung und äußerst sorgfältiger Observation.

Ausführlich schildern Sie im Roman islamistische Attentate und den Haß der Islamisten. Dagegen kommen weder zynische noch ideologisch motivierte oder auch nur unsympathische Amerikaner oder Westler vor und auch keine westlichen Verbrechen oder Tötungen, wie es sie ja gibt, etwa das Massaker von Haditha, das Sergeant-Bales-Massaker, die Entrechtung in Guantanamo oder die Folter in Abu Ghuraib.

Forsyth: Moment, Sie bringen hier zwei Themen auf – und zudem den üblichen, weitverbreiteten Anti-Amerikanismus. Zum einen sprechen Sie Exzesse an, die in der Hitze des Gefechts passieren. Zum anderen Verbrechen, die in einer Situation, in der nicht gekämpft wird, verübt werden. Zum ersten: Es gab immer solche Fälle der Barbarei – denken Sie an My Lai in Vietnam – und es wird sie immer geben. Zumindest solange der Mensch nicht perfekt ist – dann aber wird es sowieso keine Kriege mehr geben. Nun zur Frage von Greueltaten außerhalb von Kampfsituationen. Es ist das Verdienst westlicher Regierungen, daß die Täter in beiden Fällen fast immer verfolgt und nach Möglichkeit bestraft werden. Dagegen hat man noch nie von einem Terroristen gehört, der von seinen Vorgesetzten zur Verantwortung gezogen wurde, egal wie faul seine Tat war. Denn darum geht es ja schließlich: um die Verbreitung nackten Terrors! Von seiten des Westens ist ein Akt der Barbarei die – gemeinhin bestrafte – Ausnahme. Beim dschihadistischen Terrorismus ist ein solcher Akt hingegen das Ziel der Übung. Die von Ihnen intendierte Gleichstellung der Barbarei beider Seiten ist also völlig verfehlt.

In Ihrem Buch spielt nicht al-Qaida die Hauptrolle, sondern – auch – die somalisch-islamistische al-Shabaab-Miliz. Kaum war Ihr Buch in Deutschland erschienen, machte die Meldung von einem Terroranschlag der al-Shabaab in Nairobi mit siebzig Toten weltweit Schlagzeilen. War Ihnen klar, wie sich die Gewichte des globalen Terrors künftig verschieben?

Forsyth: Der Anschlag auf die Einkaufspassage in Nairobi war lange vor Erscheinen meines Buches geplant worden, und ich habe ihn auch nicht vorausgesehen. Allerdings hatte al-Shabaab bereits die Touristin Judith Tebbutt in Kenia entführt und ihren Ehemann erschossen. Glücklicherweise kam sie gegen Lösegeld frei. Eine Französin allerdings, die im Rollstuhl saß, wurde ermordet. Tatsächlich sind die Morde der al-Shabaab in Somalia selbst mittlerweile kaum noch zu zählen. Da braucht es keine Kristallkugel, um weitere Morde eines dieser diversen Zweige des dschihadistischen Terrorismus – von den algerischen Wüsten bis hin zu den christlichen Kirchen in Nigeria oder Pakistan – vorauszusagen.

Eigentlich erstaunlich, daß Ihr Buch erst jetzt erscheint, schließlich findet der von Ihnen beschriebene Krieg schon seit Jahren statt. Zudem gelten Sie als „Altmeister des Genres“, eher als Autor des Kalten Krieges. Überrascht es Sie nicht selbst, daß nun ein Schlüsselroman für die literarische Beschreibung des Anti-Terror-Kampfs der Gegenwart – wie Ihnen ein Kritiker bescheinigt – gerade aus Ihrer Feder kommt?

Forsyth: Na ja, wie immer habe ich versucht, einen neuen Blickwinkel zu finden – so wie das ein Journalist stets tun sollte. Ich habe dreierlei Themen ausgewählt: den Online-Prediger, den Drohnen-Krieg und al-Shabaab. Andere Autoren scheinen diese drei Themen bislang ignoriert zu haben – ich kann mir nicht erklären warum.

 

Frederick Forsyth, Der Bestseller-Autor „von Weltruhm“ (NZZ) und „Scholl-Latour des Genres“ (Stuttgarter Zeitung) gilt als Schöpfer der „Faction“-Literatur, der Verbindung von journalistisch recherchierten Fakten zeitgeschichtlicher Sujets und Roman. Er veröffentlichte über ein Dutzend Thriller (60 Millionen Exemplare weltweit) – darunter „Der Schakal“ (1971), „Die Akte Odessa“ (1972), „Hunde des Krieges“ (1974) und „Das vierte Protokoll“ (1984), die alle auch verfilmt wurden. 1938 geboren, wird Forsyth mit 19 Jahren jüngster Düsenjägerpilot der Royal Air Force. Später verarbeitete er einen einsamen Flug in der Novelle „Der Lotse“ (1975), die in Kanada bis heute zu Weihnachten im Radio gelesen wird. Mit der Welt der internationalen Politik kommt er in Berührung, als er für Reuters aus Frankreich, Deutschland, dem Ostblock und für die BBC aus Afrika berichtet. Dort soll er gar in einen Putsch verwickelt gewesen sein. Nun ist sein neues „alarmierendes Buch“ (ARD) erschienen: „Die Todesliste“

Foto: Soldaten einer amerikanischen Spezialeinheit im „Anti-Terror“-Kampf: „Meine Intention war zu beschreiben, was wirklich vor sich geht – ohne anzuklagen, ohne zu rechtfertigen.“

 

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