© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Ideen von einem Deutsch-Guayana
Der Forscher, Filmpionier und Abenteurer Otto Schulz-Kampfhenkel im Fadenkreuz der NS-Vergangenheitsbewältigung
Andreas Graudin

Die Jagd auf NS-Kriegsverbrecher ist unergiebig geworden, aber weil das Dritte Reich als Hort des ultimativen Bösen nicht historisiert und relativiert werden, weil diese Vergangenheit nicht vergehen darf, muß inzwischen die zweite Garnitur auf die Anklagebank: die „Mitläufer“. Und die natürlich auch post mortem. Ihre individuellen Leistungen sollen und müssen kleingeredet, sie selbst möglichst als gescheiterte und moralisch minderwertige Opportunisten hingestellt werden. Es darf eben, in Anlehnung an Theodor W. Adorno, „kein richtiges Leben im falschen geben“. Das ist Antifa-Logik, aber weil „Nazi“ immer zieht, springen Medien gelegentlich dem Kesseltreiben bei und ernennen verdienstvolle Nischenexistenzen nachträglich zu Wegbereitern eines weltweiten deutschen NS-Imperialismus.

Das betrifft zum Beispiel Otto Schulz-Kampfhenkel, Geograph, Zoologe, Naturforscher, Filmpionier, Pilot, Forschungsreisender. Der 1910 geborene Unternehmersohn erlebt seine frühe Kindheit im Kaiserreich und danach als Jugendlicher und Heranwachsender die Weimarer Republik und ihre Krisen. Die interessieren ihn aber nur am Rande. Otto ist ein unpolitischer aber abenteuerlustiger Junge, anders als viele Altersgenossen von Pfadfindern oder Bündischer Jugend nicht geprägt.

Nach dem humanistischen Abitur 1929 Studium der Zoologie in Freiburg im Breisgau bis 1931 inklusive Bandaufnahme bei der Burschenschaft Frankonia Freiburg. Als 19jähriger unternimmt er seine erste Afrikareise und finanziert sich weitere kleine Studienreisen in Europa durch den Verkauf dort gefangener Reptilien. Mit einer Expedition in den Regenwald von Liberia beginnt Otto Schulz-Kampfhenkels Serie von Forschungsreisen. Er versorgt deutsche Tierparks und zoologische Sammlungen mit lebenden und präparierten Exponaten und refinanziert so seine Reisen. Ein erster Film wird gedreht, und eine Ausstellungsserie befriedigt das Fernweh vieler Besucher und die Neugier auf Exotisches in einer Zeit, in der Ferntourismus nicht denkbar war.

Er gewinnt Förderer für seine Expeditionen

Die postmortalen Kritiker Schulz-Kampfhenkels, er starb 1989 in Hamburg, werden viele Jahrzehnte später die Kombination von Jagd mit Kamera und Gewehr als „pueriles, pubertierendes Gehabe“ und „Beute-Gestus“ zu psychologisieren versuchen. Naives Vorgehen ganz am Beginn des Natur- und Dokumentarfilms wird wenig fair als „Dilettantismus“ abgetan werden.

Kein Zweifel, der Student Schulz-Kampfhenkel kann sich vermarkten. Der zielstrebige junge Mann versucht 1933 zunächst vergeblich den Anschluß an die NSDAP. Schulz-Kampfhenkel braucht Gönner und Kontakte, wenn er sein großes Ziel erreichen will: die Erkundung der Urwälder um den Rio Jary zwischen dem Amazonas und Französisch-Guayana „im deutschen Interesse“. Die Gegend ist wissenschaftlich ein weißer Fleck und kartographisch nur sehr grob erfaßt. 1877 hatte der Franzose Jules Crevaux den Rio Jary flußabwärts befahren, Schulz-Kampfhenkel will es in der Gegenrichtung versuchen.

Die Expedition hat zoologische, geographische und ethnologische Ziele. Ein einzigartiger Film soll dabei entstehen. Weil mit Vortragsreisen und Ausstellungen allein das Vorhaben nicht zu finanzieren ist, wendet sich der Hobbypilot Schulz-Kampfhenkel an Görings Reichsluftfahrtministerium mit der bescheidenen Bitte um nichts weniger als ein Doppeldecker-Wasserflugzeug vom Typ Heinkel-Seekadett. Das Flugzeug soll das Auge der Expedition sein und vor allem unbekannte Stromschnellen, Seitenarme und Zuflüsse des Jary erkunden. Im übrigen soll die Reise mit offenen Booten vonstatten gehen. Schulz-Kampfhenkel weiß sich bei den NS-Machthabern interessant zu machen und vieles spricht dafür, daß seine Bitte um ein Flugzeug direkt über Görings Schreibtisch ging und sein Antrag auch mit Hinblick auf die Erprobung des Flugzeugtyps befürwortet wurde. Die zur Verfügung gestellte Heinkel geht später jedoch durch eine unglückliche Wasserung noch vor dem eigentlichen Beginn der Expedition zu Bruch.

Luftaufklärung zu welchen Zwecken auch immer konnte die Jary-Expedition danach nicht betreiben. Hauptsponsor der Expedition ist das Kaiser-Wilhelm-Institut – „erste Adresse“ für Forschungsförderung jener Jahre. Es ist kaum anzunehmen, daß diese renommierte Wissenschaftseinrichtung irgendeiner Flause Kredit gegeben hätte, wenn Schulz-Kampfhenkel die wissenschaftlichen Ziele jener Reise nicht zuvor plausibel dargelegt hätte. Schulz-Kampfhenkel braucht aber auch das Wohlwollen der brasilianischen Regierung und bediente sich dabei zur Anbahnung der Kontakte zur Industrie- und Handelskammer in Rio und im brasilianischen Behörden-dschungel der deutschen Botschaft sowie der Auslandsorganisation der NSDAP.

Als Kritiker Schulz-Kampfhenkels trat 2008 erstmals der Spiegel-Journalist Jens Glüsing auf den Plan. Für eine Story über das brasilianische Regenwaldschutzgebiet im Grenzgebiet zu Französisch-Guayana bewegte Glüsing sich über Wochen im gleichen Gebiet wie siebzig Jahre zuvor Schulz-Kampfhenkel und seine Mannschaft. Glüsing geht einem Hinweis nach. Außer wabernden Gerüchten unter Goldsuchern, die steif und fest behaupten, daß Hitler persönlich im Gebiet um den Rio Jary aufgetaucht sei, findet er das mit einem Hakenkreuz versehene verwitterte Grabmal von Joseph Greiner, einem der drei deutschen Gefährten Schulz-Kampfhenkels.

Damit ist Glüsings Story „Nazis am Amazonas“ schon fast geschrieben. Seinem Buch „Das Guayana-Projekt“ folgt am 25. Oktober 2008 eine Bild-Geschichte, mit der keinen Zweifel gestattenden Schlagzeile „Hitler wollte den Regenwald erobern“. Damit wird ein Mythos zum Selbstläufer und Schulz-Kampfhenkel zum Objekt einer besonderen Art der Vergangenheitsbewältigung. Ehrgeiz, Einfallsreichtum und individueller Erfolg sollen zur Bloßstellung ausreichen.

Am 21. September 1935 bricht die Jary-Expedition auf. Otto Schulz-Kampfhenkel ist Expeditionsleiter, der Pilot Gerd Kahle, der Ingenieur Gerhard Krause und der schon in Brasilien angeheuerte Ex-Matrose Joseph Greiner sind das deutsche Team an der Spitze der Mannschaft aus zwei Dutzend Mestizen. Sie stellen nach Wochen zufällig Kontakt mit einem Aparai-Indianer her, der die Expedition zu seinem Dorf führt. Wochenlang gehen sie mit den Aparai gemeinsam auf Jagd nach seltenen Tieren. Mit zwei weiteren Stämmen nehmen sie Kontakt auf.

Die zoologische Ausbeute und die eingetauschten Indianerartefakte bereichern noch heute deutsche Museen. Fieber und Krankheiten quälen jedoch die Europäer. Während Gerd Kahle eine Blindarmentzündung in der brasilianischen Zivilisation auskurieren und Gerhard Krause wegen Fieberschüben vorzeitig den Heimweg nach Deutschland antreten muß, dringt Schulz-Kampfhenkel bis zur Wasserscheide von Jary und dem Grenzfluß Lawa vor und muß dann umkehren. Zu keinem Zeitpunkt berührt er die Grenze zu Französisch-Guayana. Joseph Greiner ist da freilich schon am Fieber verstorben. Sein Grabmal ziert Jens Glüsings Buch „Das Guayana-Projekt“. Das darauf eingeschnitzte Hakenkreuz soll die ganze Jary-Expedition schon optisch als NS-Projekt diskreditieren.

„Rassistische Denkmuster“ von Schulz-Kampfhenkel

Jens Glüsing verwendet sechs Jahrzehnte später große Mühe, um den Nachweis einer militärischen Zielsetzung der Jary-Expedition zu erbringen. Haupsächlich wird hierfür die Erprobung einer damals neuartigen Kartographietechnik mittels Luftaufnahmen bemüht. Glüsing kommt aber an der Tatsache nicht vorbei, daß die dafür vorgesehene Heinkel-Seekadett nach einigen Erkundungsflügen kurz nach Expeditionsbeginn verlorengeht.

Deshalb ist das Autorenkollektiv um Sören Flachowsky und Holger Stoecker, das 2011 eine ebenso kritische wie fragmentarische Biographie Schulz-Kampfhenkels herausbrachte, mit der Zuschreibung einer militärischen Misson sehr zurückhaltend. Kartierung mittels Luftbildern betreibt Schulz-Kampfhenkel erst nach Kriegsausbruch in der Luftwaffe. Die postume Abrechnung von Flachowsky und Stoecker mit dem Naturforscher und Filmpionier ist dann doch eher das Übliche. Der Beitritt zur NSDAP, die Mitgliedschaft in der SS, die reißerische und martialische Tonlage seines Films.

Der Expeditionsfilm „Rätsel der Urwaldhölle“ wird 1938 ein Publikums- und Kassenerfolg. Es ist der angeblich rassistische Blick des „Herrenmenschen“ Schulz-Kampfhenkel auf die „Waldmenschen“ und die farbige brasilianische Begleitmannschaft. In Wahrheit zeigt der Film keine bewußte Herabwürdigung der Indianer, auch wenn er – wohl für das Publikum zu Hause – seinen indianischen Erstkontakt launig Winnetou tauft. Nackte Brüste der Indianerinnen müssen für den Vorwurf des Sexismus herhalten. Daß Schulz-Kampfhenkel nur einen authentischen Film drehen wollte und seine Denunzianten ihrerseits in rassistischen Denkmustern verhaftet sind, wenn sie europäische Schambegriffe auf indigene Völker und deren filmische Darstellung anwenden, scheint dabei außerhalb der Vorstellungskraft. Im übrigen rettet die von der Firma Bayer gestiftete Tropenapotheke etlichen Begleitern und Indianern das Leben.

Allen weiteren Forschungsambitionen Schulz-Kampfhenkels macht der Krieg ein jähes Ende. Obwohl SS-Mitglied, wird er in der Luftwaffe und nicht in der Waffen-SS als Leutnant eingezogen. In unterschiedlichen Verwendungen beschäftigt er sich mit militärischer Spezialkartographie mittels Luftaufnahmen. Es handelt sich dabei um das Photogrammetrieverfahren, das genaue Reliefkarten ermöglicht. Diese Tätigkeit und nicht seine einfache Partei- und SS-Mitgliedschaft, macht ihn für die US-Vernehmer nach 1945 interessant.

Ein Gutachten Schulz-Kampfhenkels von 1940 an Heinrich Himmler, das eine koloniale Inbesitznahme Französisch-Guayanas befürwortet, soll nach Holger Stoecker die NS-imperialistische Gesinnung Schulz-Kampfhenkels beweisen. Selbst die Schwäche Himmlers für exotische Abenteuer und Expeditionen reicht jedoch so weit nicht. Trotz Hätschelung der kolonialen Traditionsverbände liegen koloniale Abenteuer im Stil des 19. Jahrhunderts dem Dritten Reich fern.

Eher versucht man im Verlauf des Krieges den Schulterschluß mit den Kolonialisierten. Irgendwelche Inbesitznahmen auf dem amerikanischen Kontinent wurden niemals ernsthaft in Erwägung gezogen, zumal die französische Kolonialverwaltung von Guayana sich gegenüber Vichy-Frankreich ab 1940 als loyal erwies. Über ein Gedankenspiel ist „Deutsch-Guayana“ und seine handstreichartige Besetzung nicht hinausgekommen.

Das Hirngespinnst Schulz-Kampfhenkels, der die wahren geographischen und klimatischen Verhältnisse vor Ort kannte, muß unter dem Blickwinkel neuerlicher Expeditionstätigkeit gesehen werden, die der Naturfilmer nach Kriegsende mit Hilfe von Sponsoren und Gönnern fortzusetzen gedachte. Dafür mußte er Vorbereitungen treffen und einen abwegigen Plan für seine Projekte vorschieben. Dabei ging er zweifellos, wie Millionen anderer Deutscher, von einem deutschen Sieg und der Etablierung Deutschlands als Großmacht aus. Damit ist aber in den Augen seiner Kritiker das Urteil über den umtriebigen Filmpionier und Abenteurer gesprochen. Die Nazi-Dschungelcamp-Schlagzeile und geschichtspolitische Trittbrettfahrer haben ihr Opfer gefunden.

Film und Buch „Rätsel der Urwaldhölle“ erlebten nach dem Krieg Neuauflagen. Vor dem endgültigen Durchbruch des Fernsehens als Massenmedium produziert Otto Schulz-Kampfhenkel unermüdlich Reise- und Wissenschaftsfilme. Es ist die große Zeit der populären Naturfilmer. Diese Ära begann mit „Rätsel der Urwaldhölle“ dem heute noch sehenswerten authentischen Dokumentarfilm der von Schulz-Kampfhenkel 1935 bis 1937 geleiteten legendären Jary-Expedition.

Sören Flachowsky, Holger Stoecker (Hrsg.): Vom Amazonas an die Ostfront. Der Expeditionsreisende und Geograph Otto Schulz-Kampfhenkel (1910–1989). Böhlau Verlag, Köln 2011, gebunden, 394 Seiten, 44,90 Euro

Fotos: Otto Schulz-Kampfhenkel 1944: Ära der Reise- und Wissenschaftsfilme; Expeditionsmitglied Gerd Kahle mit einem Aparai-Indianer am Rio-Jary vor erlegten Brüllaffen im Norden Brasiliens 1936: Rassistische Blicke der „Herrenmenschen“ auf die „Waldmenschen“

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