© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Kühl und beherrscht
Nachruf: Zum Tod des Dirigenten Claudio Abbado
Markus Brandstetter

Italien ist das Land der mittelmäßigen Orchester und der großen Dirigenten. Das ist jetzt kein Widerspruch. So medioker, ja mies Italiens Orchester oft aufspielen, so großartig sind seine Dirigenten. Das eine bedingt das andere, weshalb es die italienischen Stardirigenten kaum jemals zu Hause gehalten hat. Toscanini ist nach New York gegangen, Riccardo Muti nach Philadelphia, Carlo Maria Giulini war in London und Claudio Abbado in London, Wien, Berlin und Chicago.

Abbado hat die Musik mit der Muttermilch eingesogen. Sein Vater war Geiger und Violinprofessor am Mailänder Konservatorium, sein älterer Bruder Pianist, Komponist und Konservatoriums-Direktor in Mailand und Pesaro. Der 1933 geborene Abbado hat am Konservatorium Klavier und Dirigieren studiert, sich dann bei Hans Swarowsky in Wien weitergebildet. In New York war er Assistent von Leonard Bernstein. 1965 hat ihn Herbert von Karajan eingeladen, bei den Salzburger Festspielen die Wiener Philharmoniker zu dirigieren, und von da an war seine Weltkarriere nicht mehr aufzuhalten.

Nachfolger Herbert von Karajans

Zwanzig Jahre war Abbado hernach Musikdirektor der Mailänder Scala, hat in schwierigen Zeiten mit den Kommunisten sympathisiert (was damals allerdings viele getan haben), Arbeiterkonzerte gegeben und die allerneueste Musik gefördert. Hätte er nur das getan, er wäre längst vergessen. Aber bereits in diesen turbulenten Jahren wurde Abbado erst Chefdirigent des London Symphony Orchestra, dann der Wiener Philharmoniker und schließlich 1989 als Nachfolger von Herbert von Karajan Leiter der Berliner Philharmoniker. Ganz nebenbei fand er auch noch Zeit, mit jungen Menschen zu musizieren, wirkte beim Aufbau des Chamber Orchestra of Europe mit und gründete 1986 das Gustav-Mahler-Jungendorchester – alles Klangkörper, die sich hinter den besten Orchestern der Welt nicht verstecken müssen.

Britische Musikkritiker haben ihn als kühl und beherrscht bezeichnet, und das trifft es genau. Abbado war ein Dirigent, der alles konnte: von Monteverdi bis Wolfgang Rihm. Wer eine der unzähligen Aufnahmen mit ihm kauft, kann nichts falsch machen: Beethoven, Brahms, Mahler, Schubert, Bruckner, Pergolesi und Luigi Nono – Abbado konnte das alles. Aber besonders gut konnte er, und da war er dann doch wieder ganz Italiener, Rossini und Verdi.

Am 20. Januar 2014 ist Claudio Abbado in Bologna gestorben.

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