© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Transitraum Tahrir
Kino: „Art War“ fokussiert den Kairos in Kairo
Christian Dorn

Tahrir is not a square.“ Das Motto des in Berlin präsenten Graffitis, gefertigt von einem hier gestrandeten ägyptischen Street-Art-Künstler, offenbart die globale Vernetzung im Streben nach Freiheit. Den umgekehrten Weg, von Berlin nach Kairo, hat der preisgekrönte Dokumentarfilmer Marco Wilms, gewagt. Dessen Spezialität, „Kunst als Schlüssel zur Gesellschaft“ zu begreifen, wie das Stadtmagazin Tip treffend charakterisierte, demonstriert eindrucksvoll der neueste Film „Art War“, den Wilms in den letzten zweieinhalb Jahren in Kairo und Luxor gedreht hat und der zum dritten Jahrestag des Sturzes von Mubarak in die Kinos kommt.

Aus dem ursprünglich als Portrait über den Politologen und Autor Hamed Abdel-Samad geplanten Filmprojekt entwickelte sich vor Ort durch die Dynamik der Ereignisse unversehens eine packende, teils lebensgefährliche Reportage über die junge urbane Kunstszene Kairos und ihre Graffiti, die eine altägyptische Maltradition aufgreifen. Die von den Graffiti-Künstlern gestaltete „Wandzeitung der Revolution“ beansprucht dabei eine Authentizität, die andere Medien wie Zeitungen oder Fernsehen nicht bieten können. Die Graffiti sind so das eigentliche Medium der Revolution: Dokumentation, (Gegen-)Propaganda, Gedächtnis oder auch erfolgreicher Fahndungsaufruf.

Der Film ist zugleich eine emotional berührende Nahaufnahme des gegenwärtigen Ägyptens, einer Gesellschaft im Transitraum zwischen Gestern und Morgen, wobei für letzteres auch die Rap-Musik der Gegenwart steht, etwa die Liedzeile: „Auf deinem Ausweis steht Moslem, doch der ist abgelaufen.“ Wie schnell allerdings die Muslimbrüder zur Selbstjustiz neigen, zeigt eine Straßenszene mit Abdel-Samad, in der er wegen der T-Shirt-Aufschrift „God is busy. Can I help you?“ beinahe gelyncht wird. Neben den klugen Reflexionen des streitbaren Autors, der hier als Erzähler agiert, bestechen vor allem die unverstellten Gesichter, die Wilms Kamera einfängt.

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