© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Gefährten im Trommelfeuer
Kameradschaft: Die gemeinsame Leidensgeschichte von Soldat und Pferd im Ersten Weltkrieg beeindruckt das Publikum im Berliner Theater des Westens
Martin Schmidt

Die Idee des Theaterstücks „Gefährten“ ist naheliegend und blieb dennoch lange unbeachtet. Basierend auf einem Roman des englischen Jugendbuchautors Michael Morpurgo bringt das seit Oktober im Theater des Westens gezeigte Stück das Schicksal von Millionen Pferden zur Sprache, die an der Seite von Soldaten aller beteiligten Nationen in den Ersten Weltkrieg zogen.

Michael Morpurgo erinnerte im September 2012 anläßlich der Präsentation im Deutschen Historischen Museum in Berlin an seine wie eine Initialzündung wirkende Berührung mit der Thematik. In seinem Heimatort im südwestenglischen Devon habe er einen Überlebenden des Ersten Weltkrieges im Pub lange nach seinen Erfahrungen befragen können. Die Schilderungen des 17jährig ins Feld gezogenen Veteranen beinhalteten viel Schreckliches, aber auch Anrührendes, wie seine Erzählungen über die Kameradschaft zwischen Mensch und Pferd. Da es für die Soldaten nicht möglich gewesen sei, über ihre traumatischen Ängste mit den Kameraden offen zu sprechen, hätten sie sich vielfach an ihre tierischen Begleiter gewandt, berichtete er. Diese „hörten zu“ und „wußten“, daß der Mensch an ihrer Seite diese Freundschaft brauchte.

Daraufhin wandte sich der 1943 geborene Morpurgo ans Imperial War Museum in London und erfuhr, daß etwa eine Million Pferde von der britischen Insel ins Feld gezogen waren. Nur 65.000 kehrten nachweislich heim, womit die Verluste in etwa jenen der zwischen 1914 und 1918 gefallenen britischen Soldaten entsprachen. „Sie starben auf dieselbe Weise wie ihre menschlichen Gefährten“, erkannte Morpurgo und beschloß, „eine Geschichte über das universale Leiden in diesem Krieg aus der Sicht eines Pferdes zu schreiben“.

Der große Erfolg des 2007 uraufgeführten Stücks „War Horse“, so der englische Titel, im National Theatre of Great Britain in London, in den USA, in Kanada und Australien hat viele Gründe. Allen voran die Pferdefiguren in Originalgröße, die von den grandiosen Darstellern der südafrikanischen Handspring Puppet Company in unnachahmlicher Weise belebt werden. Immer wieder gibt es Momente, in denen der Zuschauer glaubt, echte Pferde wiehern zu hören oder galoppieren zu sehen. Manchmal sind die aus Bambus, Leder und Draht gefertigten Tiere voller Anmut, manchmal schüchtern, ein anderes Mal von unbändigem Temperament. Im Schlamm und Trommelfeuer der Schützengräben der Westfront erscheinen sie schließlich wie ihre Reiter gezeichnet von Furcht, Leid und Tod.

Insbesondere Joey, ein Pferd, das eine innige Freundschaft mit dem englischen Bauernjungen Albert Narracott verbindet, wird regelrecht beseelt. Gebannt folgt der Zuschauer der Handlung, die den menschenscheuen Albert als freiwilligen Kavalleristen mit falscher Altersangabe in die Schlachten des „Großen Krieges“ ziehen läßt, um seinen vom Vater (gespielt von Heinz Hoenig) ans Militär verschacherten „Gefährten“ wiederzufinden.

Die Inszenierung der Kriegsszenen ist ergreifend und unideologisch, wenn man von der verständlichen Anklage des alltäglichen Wahnsinns im Stellungskrieg absieht. Ebenso wie unter den englischen Soldaten gibt es unter den deutschen, in deren Hände Joey zwischenzeitlich fällt, rücksichtsvolle und rücksichtslose Charaktere, es gibt Tierfreunde und solche, die die Pferde nur als gnadenlos eingesetztes militärisches Mittel betrachten, allerdings auch das durchaus nachvollziehbar. Sowohl die Handlung als auch das Personal sind – anders als der den Stoff allzu rührselig verarbeitende gleichnamige Hollywood-Streifen Steven Spielbergs – frei von Kitsch, Stereotypen oder gar geschichtspolitischen Einseitigkeiten.

So wird dieses von dem Dramaturgen John von Düffel ins Deutsche übertragene und von Produzent Johannes Mock-O’Hara auf die Bühne gebrachte Theaterstück der Bedeutung des hundertsten Jahrestages der „Urkatastrophe“ gerecht. Auf künstlerischer Ebene ist es eine sehr sehenswerte Ergänzung der maßgeblich von englischsprachigen Wissenschaftlern ausgehenden jüngsten Historisierung der Kriegsschuldfrage. Offenbar ist die Zeit reif für eine realistische Sicht auf diesen Krieg. Oder, um es mit Michael Morpurgo auszudrücken, für eine neue „Geschichte der Versöhnung“, für die es „entscheidend“ sei, daß „Gefährten“ im Jubiläumsjahr nun auch in Berlin gespielt werde.

Die Show „Gefährten“ ist im Berliner Theater des Westens, Kantstraße 12, täglich außer montags zu sehen. Kartentelefon: 01805 / 44 44 

www.stage-entertainment.de

Foto: Die Stars der Show, die Pferde Topthorn (l.) und Joey: Frei von geschichtspolitischen Einseitigkeiten

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