© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Das Mädchen von nebenan
Helene Fischer: Die vielfältig talentierte Rußlanddeutsche ist hierzulande die erfolgreichste Sängerin und wird mit Auszeichnungen überhäuft
Birgit Keller

Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet Florian Silber-eisen die Frau erobert, die der deutsche Mann als die Traumfrau schlechthin bezeichnet: die Schlagersängerin Helene Fischer. Sie mußte sich nicht einmal ausziehen für diesen Titel – und dennoch haben ausgerechnet die Leser des Männermagazins Playboy sie zu ihrer Traumfrau gewählt und damit Wonneproppen Barbara Schöneberger und Sylvie-ehemals-van-der-Vaart aus dem Rennen gekickt. Gepunktet hat sie sicher auch mit ihrem phantastischen Aussehen, aber die wichtigen Kriterien waren andere: Ehrlichkeit, Treue, Humor. Gut zu wissen, so als Frau, daß diese Faktoren in der Männerwelt immer noch hoch im Kurs sind.

Und ich muß gestehen, auch als Frau bin ich ihrem Charme verfallen, mitten in der Nacht. Nach Hause gekommen, müde, ein letztes Glas Wein vor dem Fernseher zum Ausklingen des Abends und dann beim ziellosen Durchklicken der Kanäle sind wir hängengeblieben, mein Mann und ich: Helene Fischer beim Livekonzert in der Waldbühne Berlin. Es war großartig. Wir haben das ganze Konzert zu Ende geschaut, obwohl sich keiner von uns für Schlager interessiert.

Aber irgendwie ist es ja auch nicht Schlager. Jedenfalls nicht das, was wir noch aus Dieter-Thomas-Heck-Zeiten kennen. Verstaubt und schnulzig, die Musik unserer Eltern, völlig gestrig und absolut nicht cool. Schlager, war das nicht das, was nur noch Rentner hören in der Hitparade, dem Frühlings- und Herbstfest der Volksmusik?

Helene Fischer ist cool. Ihr Schlager ist sexy und gleichzeitig nicht zu aufreizend. Er ist manchmal eher Pop und manchmal eher Jazz. Er ist immer voller Gefühl und sympathisch. Sie singt von Liebe und von Treue, von Sehnsucht und von großen Gefühlen mit großer Leichtigkeit. Man kann die Lieder mitsingen, ohne daß es peinlich wird.

Ihre Konzerte sind eine Mischung vom Schlager hin zu Musicalsongs, die ganz selbstverständlich zu ihrem Repertoire gehören, oder auch ihre Interpretationen von gängigen Popsongs. Es hat ein bißchen was von Madonna für Deutsche, wie sie auf der Bühne samt Tänzern und exotischem Outfit „Pokerface“ von Lady Gaga zum besten gibt, um dann im gleichen Atemzug eines ihrer Schunkellieder einzuflechten.

Die Bühnenshow ist perfekt. Professionelle Tänzer, ständig wechselnde Klamotten. Bei Helene Fischer ist für jeden etwas dabei. Während die bisherige Schlagerkönigin Andrea Berg ihre Fans über die Jahre ins vorrückende Alter mitgenommen hat, erreicht Helene Fischer damit offenbar Zielgruppen, von denen andere nur träumen können.

Das zeigte sich auch zu Hause am Abendbrottisch. Meine 14jährige Tochter winkt ab, als ich Helene Fischer thematisiere: „Kenn ich alles und frag mal die Jungs aus unserer Clique, die können jedes Lied mitsingen“, erzählt sie aus dem Freundeskreis. 14jährige Jungs? Schlager? Mitsingen? Haben die beim Playboy auch mitgestimmt?

Es muß jedenfalls diese unvergleichliche Mischung sein, die Alt und Jung ergreift, die dazu beigetragen hat, daß Helene Fischer die derzeit erfolgreichste deutsche Sängerin ist. Nahezu alle wesentlichen Auszeichnungen hat sie bereits nach Hause getragen, sie moderiert Sendungen, hat ihre Helene-Fischer-Show und war in der Anfangszeit ihrer Karriere sogar im „Traumschiff“ als Schauspielerin in der Rolle der Reiseleiterin Franziska Stein zu sehen, nur gesungen hat sie dort nicht.

Den Musikpreis „Echo“ erhielt sie bereits dreimal, zuletzt im vorigen Jahr. Sie hat die Krone der Volksmusik gewonnen als erfolgreichste Sängerin der Jahre 2009 und 2011, die Goldene Kamera in der Kategorie „Beste Musik national“ (2012) und ebenfalls dreimal die „Goldene Henne“ in der Kategorie Musik. Sie füllt die Tournee-Hallen, und ihr aktuelles Album „Farbenspiel“ war 2013 das erfolgreichste deutsche Album und steht auch heute immer noch auf Platz eins der Charts.

Die Presse feiert sie mit anderen Titeln: „Schlagerwunder“, „Fräulein Zuckerguß“. Und während die Männerwelt vermutlich grübelt, was dieser Silbereisen, mit dem sie seit 2008 liiert ist, hat, was sie nicht haben, staunt die Presse über dies Phänomen einer bildhübschen jungen Frau, die doch wie das nette Mädchen von nebenan daherkommt und dennoch in der bunten Welt des Glitzers und Glamours einen Rekord nach dem anderen schlägt.

Vielleicht ist es ihre Herkunft, die ihr diese Bodenständigkeit mit auf den Weg gegeben hat, die man ihr nachsagt. Helene Fischer wurde 1984 im sibirischen Krasnojarsk geboren. Ihre Großeltern waren Wolgadeutsche, die 1941 nach Sibirien deportiert wurden. 1988 siedelten Helenes Eltern mit ihr und der älteren Schwester in die Bundesrepulik über.

Sie wächst in Rheinland-Pfalz auf. Unspektakulär, Realschulabschluß, aber schon damals wohl einen großen Traum vor Augen. So besucht sie drei Jahre lang eine Musicalschule in Frankfurt am Main und arbeitet sich als Sängerin durch diverse Musicals, ohne größer aufzufallen. Es ist ihre Mutter, die die Initiative ergreift und der Schlagersängerin Christina Bach eine Demo-CD zusendet, die aber nicht bei der Sängerin selbst, sondern deren Ehemann Uwe Kathank auf dem Tisch landet. Dieser muß das Potential gleich erkannt haben – und ist bis heute ihr Manager.

2005 kommt der Durchbruch, nicht nur beruflich, sondern auch privat. Ihren ersten Auftritt im deutschen Fernsehen beim „Hochzeitsfest der Volksmusik“ erledigt sie, man ahnt es schon, zusammen mit Florian Silbereisen. Schon wieder ein Mann, der offenbar sofort das Besondere an ihr wahrnommen hat, auch ihm ist sie bis heute treu geblieben.

Das macht Helene Fischer so authentisch, wenn sie von Glück und Sehnsucht und Treue singt. Sie erfüllt damit offenbar die weitverbreitete Sehnsucht nach Normalität. Immer ist sie so unglaublich bezaubernd und freundlich. Keine Starallüren, keine Arroganz, ein Mädel zum liebhaben. Sie paßt nicht ins Schema von erfolgreichen Chartstürmerinnen, sind doch die Kolleginnen der Musikbranche heute eher skandal-umhüllt, oder hüllenlos, extravagant und in gewissem Maße unerreichbar für den Durchschnittsmann von heute. Fischer hingegen strahlt von der Bühne, als würde sie für jeden einzelnen persönlich singen. Und vielleicht tut sie das auch.

Helene Fischer, Farbenspiel Polydor (Universal) www.helene-fischer.de

Foto: Helene Fischer: Erfüllt die weitverbreitet Sehnsucht nach Normalität

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen