© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Dem Rest der Welt Paroli bieten
Frankreichs Afrikapolitik: Ein skurriler Mix aus multilateraler Einbindung, Machtpoker und Kolonialerbe
Norbert Breuer-Pyroth

Fremdenlegionäre sind nicht im Einsatz, wenn Frankreich in diesen Wochen in der Zentralafrikanischen Republik gegen moslemische Rebellen interveniert. Es handelt sich um reguläre französische Streitkräfte, die fest in Gabun stationiert sind, derzeit 1.600 Soldaten.

Diese sollen im Rahmen der Operation „Sangaris“ ein Land befrieden, in dem Gewalt und politisches Chaos an der Tagesordnung stehen und wo John Ging, dem Chefkoordinator der UN zufolge, ein „Völkermord“ droht. Vor dem Hintergrund der Gewalteskalation zwischen moslemischen Seleka-Milizen und christlichen Bürgerwehren (JF 2/14) sind unzählige Tote auf beiden Seiten zu beklagen. Präsident Hollande war gleich im Dezember zum Truppenbesuch in der ehemaligen französischen Kolonie und unterstrich: „Die Mission ist gefährlich, aber notwendig, um ein Blutbad zu vermeiden.“

Marode Haushaltslage erschwert weltweite Einsätze

Sein Außenminister Laurent Fabius stieg auf ein hohes Podest, als er sagte, sein Land „verteidige in Zentralafrika die Sicherheit aller Europäer“ – weswegen die EU den Einsatz kofinanzieren werde. Außerdem „sei Frankreich nicht berufen, ständig allein in Afrika einzugreifen“.Eine Absage an jegliche Kolonialambitionen? Nach längerem Zögern versprachen die EU-Außenminister Paris Anfang der Woche Schützenhilfe. Die Rede ist von der Entsendung einer 500 Mann starken EU-Militärmission.

„Die Armee stehe vor einer unlösbaren Aufgabe“, meint Afrika-Experte Philippe Hugon vom Pariser Institut de Relations Internationales et Stratégiques (IRIS): Die Entwaffnung habe nicht stattgefunden. Wenn man den Milizen die Kalaschnikows wegnehme, kämpften sie eben mit Macheten weiter. Außenminister Laurent Fabius räumte denn auch ein: „Die Lage ist schwierig.“

Vom früheren Präsidenten François Mitterrand stammt zwar der eherne Satz: Frankreich müsse „seinen Rang“ in der Welt „beibehalten“. Doch die „Grande Nation“ ist sich andererseits sehr wohl bewußt, daß sie wirtschaftlich zumindest gegenwärtig in Turbulenzen schwebt, die ein allzu weltmännisches Auftreten ein wenig unziemlich erscheinen ließen.

Selbstverständlich verfolgt Frankreich seine wirtschaftlichen Interessen. So erklärte die französische Außenhandelsministerin Nicole Bricq kürzlich gar unverblümt, ihr Land müsse bei der Wirtschaftsspionage besser werden als Deutsche, Briten und Amerikaner; Informationen im Wirtschaftsbereich zu sammeln sei Teil des Handelskampfes.

Doch die Rechnung ging oft zu Lasten Frankreichs: In einigen Kolonien bestritt unser Nachbar bis Ende des 20. Jahrhunderts nahezu die Hälfte des Staatshaushaltes. Die Ex-Kolonien wissen somit, was sie an Frankreich haben. In das französische Überseedepartement Réunion, im Indischen Ozean nahe Madagaskar, mit seinen nur 800.000 Einwohnern fließen bis 2014 Fördergelder in Höhe von einer Milliarde Euro – nicht etwa aus Frankreich, sondern von der EU. Die Infrastruktur der Insel soll künftig EU-Maßstäben nahekommen können. Französische Firmen beherrschen dort den Markt von jeher fast nach Belieben.

Es gibt dabei seitens Frankreichs durchaus auch noch eine empathische Anhänglichkeit an seine Kolonien, desgleichen umgekehrt: In der Zentralafrikanischen Republik ist Französisch Amtssprache, und die Flagge enthält originalgetreu auch die Farben Blau-Weiß-Rot. Der frühere selbsternannte „Kaiser“ Bokassa wurde am Ende zwar mit Hilfe französischer Fallschirmjäger gestürzt, und die französische Staatsangehörigkeit wurde ihm aberkannt – er erhielt im Exil als ehemaliger französischer Hauptmann aber eine stattliche staatliche Rente.

Frankreich und Afrika sind myriadenfach verwoben: Die „pieds-noirs“ – seit 1830 in Algerien angesiedelte Franzosen – verließen Algerien zu Zeiten General de Gaulles zwangsweise, ihnen blieb nur die „Wahl zwischen Koffer und Sarg“, wie es damals hieß. Sie und ihre Nachfahren leben heute zumeist in Südfrankreich. Französische Rentner hingegen verbringen ihren Lebensabend nicht auf Mallorca, sondern bevorzugt in Marokko.

Frankreich ohne Afrika ist wie ein Auto ohne Benzin

Frankreich handelt in Zentralafrika unter UN-Mandat. Anfang Dezember 2013 stimmte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig einer Ausweitung zu einem „robusten“ französischen und afrikanischen Militäreinsatz zu; eine Intervention ohne UN-Mandat hatte Staatspräsident François Hollande zuvor abgelehnt, kündigte sodann erst die Entsendung weiterer Truppen an.

Für die Zukunft, so hatte sich der sozialistische Präsident Hollande allerdings vernehmen lassen, solle die afrikanische Eingreiftruppe MISCA – sie stellt zur Zeit 5.000 Soldaten – solcherlei Aufgaben übernehmen. Frankreich möchte sich mehr und mehr zurückziehen. Dazu paßt, daß Frankreich auch die USA zu einer begrenzten logistischen Unterstützung aufrief, die gewährt wird. Die französische Bevölkerung vermag dem erneuten Kampfeinsatz – Frankreich ist seit Januar 2013 auch in Mali militärisch aktiv – wenig abzugewinnen: Laut einer aktuellen Umfrage (IFOP) sind nur mehr 41 Prozent der Befragten dafür, im Dezember waren es noch 51 Prozent. Zwei französische Fallschirmjäger, die Frankreich entsendet hat, verloren bereits ihr Leben.

In einer Rede vor der Nationalversammlung verteidigte Premierminister Jean-Marc Ayrault das französische Eingreifen in der Zentralafrikanischen Republik. Er unterstrich, daß Frankreich nicht als Gendarm in Afrika handele, sondern einem UN-Mandat und dem Aufruf seiner afrikanischen Partner folge. Dieser Einsatz sei darum dringend notwendig. Wenige Stunden zuvor seien Milizen dabeigewesen, in den Straßen der Hauptstadt Bangui Massaker zu verüben; sie verschonten weder Frauen noch Kinder, hätten Opferlisten dabei gehabt und seien von Tür zu Tür gegangen, um sie zu jagen.

Seit drei Jahrzehnten verheißen französische Präsidenten immer wieder, „Françafrique“ nicht weiter verfolgen zu wollen. Aber der Wandel geht doch überaus langsam voran. Auch Ayrault sagte nun: „Die Zeiten der Françafrique sind vorbei.“ Doch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der vehementen chinesischen Einflußnahme in Afrika – vornehmlich mit Investitionen, die schon beim doppelten der US-amerikanischen liegen – und der islamistischen Bedrohung mag Frankreich derzeit eher tätige und zahlende Verbündete suchen als eine wirkliche Strategieänderung in Afrika festzurren zu wollen.

Diktator Omar Bongo, der 41 Jahre lang das erdölreiche Gabun regierte, wird ein Bonmot zugeschrieben: „Afrika ohne Frankreich ist wie ein Auto ohne Fahrer. Frankreich ohne Afrika ist wie ein Auto ohne Benzin.“

Foto: Französischer Soldat in Bangui, der Hauptstadt Zentralafrikas: Nicht nur freundliche Blicke auf die Militärmacht der ehemaligen Konialherren

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