© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Die große Wanderung
Bevölkerung: Der Migrationsbericht der Bundesregierung belegt den wachsenden Druck auf Deutschlands Grenzen
Lion Edler

Die Zahlen des neuen Migrationsberichts der Bundesregierung sind eindeutig. Im Jahr 2012 kamen mit rund 1.081.000 Personen so viele Menschen nach Deutschland wie seit 1995 nicht mehr. Im Vergleich zum Jahr 2011 stieg die Zahl um 13 Prozent. Da sich auch die Zahl der Fortzüge im Vergleich zum Vorjahr um rund fünf Prozent auf 712.000 Personen erhöhte, bleibt unter dem Strich ein Wanderungsgewinn von 369.000 Personen.

Es war wohl wenig überraschend, daß nach der Vorstellung des Berichts vor allem ein Satz von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit stand: „Wir alle wissen, daß Deutschland auch auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist.“ Die Zahlen untermauern nach de Maizières Ansicht, daß Deutschland für Einwanderer attraktiv sei und die politischen Weichen richtig gestellt wurden. Allerdings stellen die Fachkräfte und Hochqualifizierten mit 27.000 Zuzügen (2009: 16.000) nur einen Anteil von rund 2,5 Prozent. Insgesamt sank die Zahl der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an Personen, die zum Zweck der Erwerbstätigkeit nach dem Aufenthaltsgesetz einreisten, im Jahr 2012 um vier Prozent auf 34.587 Personen.

Von den 712.000 Fortzügen waren indessen 133.000 deutsche Staatsbürger, wobei die Zahl der Rückkehrer mit 115.000 in etwa konstant blieb, so daß ein Wanderungsverlust von 18.000 Personen bleibt. Hauptziel der deutschen Abwanderer ist seit 2004 die Schweiz – auch 2012 zogen 21.000 Deutsche in das Alpenland.

Das Hauptherkunftsland der Einwanderer war, wie seit 1996, auch 2012 Polen mit 184.000 Zuzügen (Steigerung um rund sieben Prozent gegenüber 2011). Die Zahl der Zuzüge aus Rumänien (120.524; plus 22,5 Prozent) und Bulgarien (60.209; plus 14,1 Prozent) stiegen besonders stark an. Seit dem EU-Beitritt Rumäniens im Jahr 2006 hat sich die Zahl der Zuzüge in etwa verfünffacht (2006: 23.844), im Falle Bulgariens beinahe verachtfacht (2006: 7.655). Einwanderungen aus der Türkei nehmen hingegen seit 2006 ab.

Linkspartei wittert „Nützlichkeitsrassismus“

Die Zahl der Zuwanderer, die zum Zweck des Ehegatten- und Familiennachzugs einwandern, hält sich seit 2007 auf relativ konstantem Niveau bei 40.843 Personen (2007: 42.219; 2002: 85.305). Dagegen stieg die Zahl der Asylbewerber auf 64.539 Erstanträge gegenüber 45.741 im Jahr 2011 (plus 41,1 Prozent). Dabei war das Hauptherkunftsland der Asylbewerber Serbien (8.477 Erstanträge), gefolgt von Afghanistan (7.498), Syrien (6.201) und Irak (5.352). Für das Jahr 2013 nannte de Maizière bereits die Zahl von rund 109.000 Asylbewerbern. Die Bundespolizei und weitere Behörden haben 2012 insgesamt 25.670 illegale Einwanderer registriert (2011: 21.156). Der Migrationsbericht betont freilich, daß die Dunkelziffer kaum treffsicher geschätzt werden kann.

De Maizière unterstrich bei der Vorstellung des Migrationsberichts, daß vier von fünf Zuwanderern aus Europa gekommen seien und nur drei Prozent aus Afrika: „Auch das ist, wie ich glaube, ein Punkt, der für die politischen Debatten nicht ganz unwichtig ist.“ Der Bericht zeige „ein sehr differenziertes Bild über Zuwanderung beziehungsweise über Fort- und Zuzüge: von Studenten über Asylbewerber bis zu Hochqualifizierten, die in unser Land kommen“. Daher sei auch eine entsprechend differenzierte politische Diskussion wünschenswert.

Diese begann jedoch zunächst mit scharfen Vorwürfen der Opposition: Die migrationspolitische Sprecherin der Linkspartei, Sevim Dagdelen, witterte „Nützlichkeitsrassismus“. Deutschland dürfe nicht nur die willkommen heißen, die für die deutsche Wirtschaft „nützlich“ seien. In der Koalition werde „in rechtspopulistischer Manier gegen eine vorgebliche Armutszuwanderung gehetzt“. Gegenüber Einwanderern aus Bulgarien und Rumänien, so Dagdelen, werde „entgegen aller Fakten“ der „Popanz eines vermeintlichen Mißbrauchs von Sozialleistungen am Leben erhalten.“ Die Linkspartei lehne eine Politik ab, die „einem Klima in Deutschland Vorschub leistet, in dem der Rassismus zur Lebensgefahr für viele Menschen wird“.

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