© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Punktsieg für Linksextremisten
Hamburg: Der Senat macht den Unterstützern der „Roten Flora“ weitreichende Zugeständnisse
Christian Schreiber

Der große Showdown bleib Hamburg erspart. Am vergangenen Samstag versammelten sich in der Hansestadt zwar erneut rund 3.000 Anhänger aus dem linken Spektrum, um gegen die von der Polizei zeitweilig eingerichteten Gefahrengebiete zu demonstrieren. Bis auf einige Rangeleien und des Zündens von Feuerwerkskörpern blieb es aber ruhig. Das dürfte vor allem damit zusammengehangen haben, daß die Lokalpolitik die seit Wochen schwelende Auseinandersetzung um das Kulturzentrum „Rote Flora“ im Sinne der Hausbesetzer gelöst hat. Am vergangenen Freitag ist die Änderung im „Bebauungsplan Sternschanze 7“ mit der Veröffentlichung im Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblatt in Kraft getreten. Damit ist die Nutzung des Gebäudes rechtsverbindlich festgeschrieben.

Für den Eigentümer der Immobilie, Klausmartin Kretschmer ist es nun nahezu unmöglich, das Gebäude abzureißen, umzubauen oder gar die Nutzung als alternatives Kulturzentrum zu verändern. Für all diese Dinge bräuchte Kretschmer nun eine behördliche Genehmigung, die ihm jedoch nicht erteilt würde, den Rechtsweg kann er auch nicht beschreiten. Der Eigentümer ist damit der große Verlierer des zunehmend eskalierenden Streits. Die Stadt hatte ihm vor Monaten 1,1 Millionen Euro für den Rückkauf der von ihm 2001 für umgerechnet rund 190.000 Euro gekauften Roten Flora angeboten. Dies hatte Kretschmer allerdings abgelehnt und statt dessen durch massive Umbaupläne für das seit mehr als 20 Jahren besetzte Gebäude für Aufregung gesorgt. Die Angelegenheit gipfelte in der Forderung, das ehemalige Theater solle ihm bis zum 20. Dezember des vergangenen Jahres besenrein übergeben werden. Aus Sicht des Verfassungsschutzes war Kretschmer damit zumindest mobilisierungsfördernd für die gewalttätige Demonstration zum Erhalt der Flora kurz vor Weihnachten.

Im November 1989 zogen sogenannte Linksautonome in das damals leerstehende und traditionsreiche Gebäude, das schon als Tanzlokal, Kino, Café und Warenhaus gedient hatte. Ende der Achtziger sollte es zu einem großen Musical-Theater umgebaut werden, was am Protest der Anwohner scheiterte. Beim Kauf 2001 hatte Kretschmer schließlich angegeben, keine wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen. Die Stadt sicherte sich dennoch ein bis 2011 geltendes Rückkaufrecht. Der Unternehmer hatte im Dezember seine Pläne offengelegt, wonach er aus dem ehemaligen Theater ein mehrstöckiges Büro- und Verwaltungsgebäude machten wollte. Die daraufhin folgenden Demonstrationen zum Erhalt der linksextremistischen Hochburg hatten der Hansestadt eine massive Sicherheitskrise beschert. So kam es am 21. Dezember zu den schwersten Ausschreitungen seit Jahren. Im sogenannten Schanzenviertel marschierten rund 7.500 Menschen auf. Als Folge der Krawalle verzeichnete die Polizei knapp 120 zum Teil schwerverletzte Beamte. Linke Organisationen sprachen von mehr als 500 verletzten Kundgebungsteilnehmern. Am 29. Dezember kam es schließlich zu einem Überfall auf die Polizeidienststelle Davidwache im Stadtteil St. Pauli, dessen genauer Ablauf bis heute ungeklärt ist. Nach Darstellung der Polizei hätten 40 Unbekannte drei Beamte schwer verletzt und versucht, die Wache zu stürmen. Der Anwalt der linksextremen Szene, Andreas Beuth, bestreitet das. Er behauptet, daß weder Beamte noch die Wache mit Steinen oder Flaschen beworfen worden seien, und stützt sich dabei auf anonyme Aussagen aus seinem Mandantenkreis. Die Aussagen von unbeteiligten Zeugen gingen so weit auseinander, daß lokale Medien gar renommierte Kriminalpsychologen befragten, um einschätzen zu können, wer glaubhaft sei und wer nicht.

Die Polizei der Hansestadt reagierte in der Folge mit der Einrichtung sogenannter Gefahrengebiete, was ihr seit 2005 rechtlich möglich ist. Dort können alle Bürger verdachtsunabhängig kontrolliert werden. Voraussetzung ist, daß „aufgrund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, daß Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden und die Maßnahme zur Verhütung der Straftaten erforderlich ist“, heißt es.

Mit dieser Maßnahme schaffte es die Hansestadt in die überregionalen Schlagzeilen, zeitweise warnte die amerikanische Botschaft in Berlin ihre Bürger sogar vor Reisen nach Hamburg. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) verteidigte die Polizeistrategie und bezeichnete seine Partei als „Bollwerk von Recht und Ordnung“, was ihm prompt den Spitznamen „Roter Sheriff“ einbrachte. Nach Protesten wurde das ursprüngliche Gefahrengebiet zunächst verkleinert, dann in der vergangenen Woche schließlich ganz aufgehoben. Die Polizei gab an, 195 Aufenthaltsverbote und 14 Platzverweise ausgesprochen zu haben. Zudem gab es 66 Ingewahrsamnahmen und fünf Festnahmen.

Über die Bilanz der umstrittenen Maßnahmen dürfte noch einige Zeit diskutiert werden. Sozialdemokraten und CDU in der Bürgerschaft verteidigen die Arbeit der Ordnungshüter, Grüne und Linke halten dagegen. Die „Rote Flora“ wird zudem weiterhin mehr oder weniger geduldet werden. Kritiker sprechen angesichts dessen von einer Kapitulation vor der Gewalt. Bürgermeister Scholz rühmt sich dagegen einer „maßvollen Lösung“.

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