© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Kiel tilgt Hindenburgufer
Geschichtspolitik: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat die schleswigholsteinische Landeshauptstadt eine ihrer berühmtesten Straßen umbenannt
Hans-Joachim von Leesen

Vor 1945 gab es wohl keine deutsche Stadt, in der nicht eine Straße, ein Marktplatz oder eine Allee nach dem Generalfeldmarschall und ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg benannt war. Seine Verdienste im Ersten Weltkrieg, vor allem die Befreiung Ostpreußens von der russischen Armee, rechnete ihm das Volk hoch an. Seit einigen Jahren verschwinden immer mehr Hindenburgstraßen und -plätze von den Stadtplänen. Jetzt erwischte es das berühmte Hindenburg-ufer in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel.

Vor einem Jahr brachte die kleine Fraktion der Linkspartei in der Stadtvertretung den Antrag ein, das Hindenburgufer, jene prächtige Flaniermeile am Fördeufer, umzubenennen. Sofort schlossen sich die übrigen linken Parteien samt der Partei der dänischen Minderheit SSW im Stadtparlament an. Nur die CDU druckste herum: Aberkennung der Ehrenbürgerschaft ja, aber Tilgung des Straßennamens?

Dann würden ja den Anliegern Kosten entstehen, argumentierte die CDU zurückhaltend. Die Junge Union hingegen haute auf die Pauke: Sie werde Unterschriften gegen die Umbenennung sammeln und auch sonst allerlei unternehmen, um das Hindenburgufer zu retten.

Scheinheilig lud die Stadt den Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta ein. Er gilt als der beste Kenner des Lebens und Wirkens Hindenburgs und hat eine von allen Seiten anerkannte Hindenburg-Biographie vorgelegt. Pyta hielt im Ratssaal einen sachlichen materialreichen Vortrag und widerlegte alle Vorwürfe aus dem linken Lager, die schon seit den dreißiger Jahren von ihnen kolportiert wurden, wie etwa, Hindenburg sei von ostelbischen Großagrariern bestochen worden.

Im Internet wie in der einzigen lokalen Zeitung, den Kieler Nachrichten, erschienen daraufhin fast ausnahmslos Stellungnahmen gegen die Umbenennung. Die Argumente für die Forderung, den Namen Hindenburg zu tilgen, waren von ermüdender Eintönigkeit: Hindenburg sei „Wegbereiter der Nazis“, kein Demokrat, ein „Totengräber der Weimarer Republik“ gewesen. Vorgebracht wurden nur Meinungen; belegbare Fakten für die Behauptungen suchte man vergebens.

Offenbar weil in Kiel im März nach dem Debakel um den Rücktritt der sozialdemokratischen Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke eine Neuwahl ansteht und man fürchtet, daß sich dann die Abschaffung des Hindenburgufers für die SPD nachteilig auswirken könnte, wurde die Öffentlichkeit Anfang Januar mit der Entscheidung des Bauausschusses überrascht (JF 4/14), SPD, Grüne und Linkspartei hätten die Umbenennung des Hindenburgufers in Kiellinie beschlossen. Auf zehn kleinen Ergänzungstafeln zu den neuen Straßenschildern soll erläutert werden, warum der Name Hindenburg fallen mußte.

Wieder gab es im Internet und in den Leserbriefspalten der Kieler Nachrichten einen Sturm der Entrüstung. Die oppositionelle CDU fiel dagegen in tiefes Schweigen. Von deren zunächst besonders schneidig aufgetretener Nachwuchsorganisation Junge Union hörte man plötzlich nichts mehr. Nun befürchten viele Kieler, daß demnächst auch die restlichen nach bedeutenden Persönlichkeiten der deutschen Geschichte benannten Kieler Straßen unbenannt werden. So wie in der jüngeren Vergangenheit in der Landeshauptstadt bereits ein Platz nach Ernst Busch, dem Träger des Nationalpreises der DDR und des Internationalen Leninpreises, benannt wurde.

Nicht nur in Kiel haben die Umbenennungen eine lange Tradition. Schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden in Deutschland unter dem Einfluß der Besatzungsmächte die ersten Hindenburgstraßen umbenannt. Dann ruhte zunächst die Bilderstürmerei, bis ab 1968 die zweite Welle der Straßenumbenennungen begann, die bis heute anhält. Denn immer noch finden linke Aktivisten Straßen, die Namen von Persönlichkeiten der deutschen Geschichte tragen, die sich nicht ohne weiteres in das heutige Geschichtsbild einfügen lassen. Generäle des neunzehnten Jahrhunderts und des Ersten Weltkrieges können sich nicht wehren gegen die Diffamierung, und selten finden sich kompetente Fürsprecher.

Aber überall, wo die Bilderstürmer so unvorsichtig waren, die betroffenen Bürger zu befragen, scheiterten sie. So begnügen sich die Wortführer von links damit, zunächst zu beteuern, man werde selbstverständlich in Zusammenarbeit mit den Bürgern die geschichtlichen Persönlichkeiten, deren Namen diese oder jene Straße trägt, nur „hinterfragen“. Wie dieses Ansinnen ausgeht, zeigt nicht nur das unrühmliche Beispiel des Kieler Hindenburgufers.

Foto: Aus dem Hindenburgufer wird die Kiellinie: Historiker widerlegt Vorwürfe

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