© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

„2014 wird für uns ein Erfolg“
Rechtspopulismus-Vorwürfe und heftiger interner Streit. Die Alternativen haben schwere Wochen hinter sich. Auf dem Parteitag am Wochenende will AfD-Chef Bernd Lucke nun mit Schwung ins neue Wahljahr starten.
Moritz Schwarz

Herr Professor Lucke, führen Sie die AfD mit totalitären Methoden?

Lucke: Natürlich nicht. Was soll ich denn Totalitäres getan haben? Das ist eine billige Verunglimpfung.

Das werfen Ihnen AfD-Mitglieder in Hessen vor, die jetzt die Partei verlassen haben.

Lucke: Vermutlich ist auch der Herr darunter, der mit einem erschwindelten Doktortitel erwischt wurde. Insgesamt eine kleine Gruppe, die den Konflikt allerdings lautstark geführt hat.

Die Ausgetretenen klagen, ausgerechnet die „Political Correctness“ sei als Mittel genutzt worden, um gegen sie innerparteilich vorzugehen: Aus den eigenen Reihen habe man sie wegen politisch unkorrekter Äußerungen bei den Medien angeschwärzt.

Lucke: Ich kann Ihnen garantieren, daß es so etwas weder seitens des Bundes- noch des hessischen Landesvorstandes gegeben hat. Andererseits möchte ich klar und deutlich sagen, daß die Äußerungen des von uns seines Amtes enthobenen hessischen Schatzmeisters ganz gewiß nicht als „politisch inkorrekt“ bagatellisiert werden können. Die Forderung nach Abschaffung der Demokratie, die Infragestellung des Rechtsstaats und der Wunsch nach Hinrichtung des Personals des politischen Gegners – das sind Äußerungen, die absolut nicht mit dem vereinbar sind, wofür die AfD steht.

Allerdings sind auch etliche Mitglieder gegangen, denen nichts vorzuwerfen ist.

Lucke: Ja, leider. Ich bin fest davon überzeugt, daß unter den Ausgetretenen auch gute und wertvolle Mitglieder sind, die falschen Gerüchten aufgesessen sind. Ich würde mit diesen gerne ins Gespräch kommen, um sie zurückzugewinnen.

Immer wieder hieß es, der Konflikt ziele gegen die Konservativen in der Partei.

Lucke: Nein, das war nie der Fall. Im Gegenteil, ich sage deutlich: Konservative und Wertkonservative sind in der AfD sehr willkommen und eine Bereicherung für die Partei! Und wenn einige von ihnen austreten, ist das ein Verlust, den ich bedaure. Ich fürchte, hier hat der eine oder andere in seiner Reaktion überzogen, weil er die innerparteiliche Meinungsfreiheit in Gefahr sah. Davon kann keine Rede sein! Ich werde mich immer für Meinungsfreiheit und offene Diskussionen in der AfD einsetzen. Aber ich ziehe eine klare Trennlinie da, wo der Boden des Grundgesetzes verlassen und dazu aufgerufen wird, Grundrechte zu verletzen. Wir sind keine Partei der Beliebigkeit, sondern eine Grundgesetzpartei. Deshalb darf man alles sagen, was grundgesetzkonform ist. Wer aber elementare, grundgesetzlich geschützte Prinzipien wie Demokratie und Rechtsstaat in Frage stellt, gehört nicht zu uns.

Warum gab es ausgerechnet in Hessen solchen Streit?

Lucke: Ich glaube nicht, daß es dafür einen spezifischen Grund gibt. Bei sechzehn Landesverbänden kann es auch mal in einem zu viel Streit kommen – und das war jetzt eben Hessen.

Ist die Krise ausgestanden?

Lucke: Nicht ganz, aber sie geht zu Ende, das Schlimmste liegt hinter uns. Entscheidend ist: Der Landesverband ist intakt und im Hinblick auf den Europawahlkampf voll handlungsfähig.

Laut „Münchner Merkur“ will AfD-Pressesprecherin Dagmar Metzger die Partei verlassen, weil der Landesvorsitzende in Bayern Torsten Heinrich „nationalistische Töne“ von sich gebe. Was steckt dahinter?

Lucke: Das ist falsch, Frau Metzger will nicht austreten. Zur Rede von Herrn Heinrich kann ich nichts sagen, da ich sie nicht gehört habe.

Gibt es in der AfD einen latenten Konflikt zwischen Wirtschaftsliberalen, zu denen Frau Metzger zählt, und Konservativen?

Lucke: Sie werden auf diese Frage in der Partei unterschiedliche Antworten bekommen. Manche werden voll zustimmen. Ich tue es nicht, schon weil ich diese Etikettkleberei nicht mag. Denn Parteimitglieder, die wirtschaftlich eher liberal denken, haben in der Familienpolitik oder in der Inneren Sicherheit oft konservative Werte. Wenn man sich mal die Mühe macht, mit den Menschen zu reden, kriegt man ein viel differenzierteres Bild als diese Schubladen, die Sie unterstellen. Zudem: Wenn die Leute miteinander sprechen, stellen sie meist fest, daß sie sehr viel mehr miteinander gemeinsam haben, als diese formellen Unterschiede vermuten lassen. Der Grundkonsens unserer Partei wird von der überwältigenden Mehrheit der Mitglieder getragen. Und anders als etwa bei der Piratenpartei, wo der Konsens sehr schmal war, ist er bei uns sehr breit. Bei den Piraten lautete er lediglich: Freiheit des Internets. Folge: Man zerstritt sich in den meisten anderen Bereichen. Bei uns dagegen erstreckt sich der Konsens über ein breites Spektrum an Themen. Inhaltliche Auseinandersetzungen spielen sich bei uns eher in Randbereichen unserer Programmatik ab.

War Ihnen klar, wieviel Mühe innerparteiliche Auseinandersetzungen Sie kosten würden, als Sie die AfD gegründet haben?

Lucke: Nein, ganz und gar nicht. Nennen Sie es naiv, aber ich hatte mir vorgestellt, daß wir eine Partei schaffen, die sich gegen die verfehlte Euro-Rettungspolitik wendet und daß alle anderen Meinungsverschiedenheiten demgegenüber zweitrangig sein würden. Und inhaltlich ist da auch nach wie vor viel Richtiges dran. Aber ich habe lernen müssen, wieviel Konfliktpotential in persönlichen Auseinandersetzungen steckt. Denn es geht bei Streitereien meist nicht um inhaltliche Fragen, sondern um persönliche Animositäten. Es gibt immer wieder Leute, die können sich nicht riechen und fangen an, mit aller Kraft gegeneinander zu arbeiten. Zudem habe ich unterschätzt, wieviel Ärger einige wenige Quertreiber machen können. Zu guter Letzt gibt es jene, die es eigentlich gut meinen, die aber persönlich einfach schwierig sind. Das sind Leute, die besondere Anliegen haben oder ein ausgeprägtes Ego und sich schnell verletzt fühlen. Mit diesen Menschen kann man zusammenarbeiten, aber man muß sich sehr viel Zeit für sie nehmen.

Ständig wird Ihnen unterstellt, aus niederen Motiven zu handeln – Stichwort: „Rechstpopulist“ und „Euro-Hasser“. Wie gehen Sie persönlich damit um?

Lucke: Das trifft und verletzt mich. Ich sehe darin eine Strategie der politischen Gegner, die ich schäbig finde. Schäbig, weil sie bewußt wahrheitswidrig ist.

Sie sind auch in der reformierten Kirche aktiv. Spielt Ihre religiöse Prägung eine Rolle für Ihr politisches Engagement?

Lucke: Nicht ursächlich, aber sicher bestimmt sie meine Wertorientierung, woraus auch politische Aussagen folgen.

Zum Beispiel?

Lucke: Sie werden von mir gewiß keine Aussagen hören, die ausländerfeindlich oder gegen die Menschenwürde von Zuwanderern gerichtet sind. Sie werden von mir sicherlich auch keine Aussagen hören, die Homosexuelle diskriminieren, aber ich werde immer die Bedeutung von Ehe, Familie und Kindern unterstreichen. Ich werde mich auch immer dafür einsetzen, daß Arme und Schwache in unserer Gesellschaft angemessen sozial unterstützt werden.

Sparsamkeit, Disziplin, reelles Wirtschaften – die Werte, die Sie der Euro-Rettungspolitik entgegenstellen, sind die des protestantischen Arbeitsethos à la Max Weber.

Lucke: Ich würde diese Tugenden eher als preußisch denn als protestantisch bezeichnen – obwohl es da natürlich enge Berührungen gibt. Zweifellos hat Preußen im 18. und 19. Jahrhundert Deutschland mit diesen Tugenden positiv beeinflußt. Das war ein sehr prägender Einfluß, der sich bis heute in unserer Gesellschaft und unseren Familien erhalten hat – auch bei mir persönlich.

Die „FAS“ schreibt, Motiv für Ihren Beitritt zur CDU als junger Mann sei ein „antikommunistisches Gefühl“ gewesen. Was verstehen Sie darunter?

Lucke: Ich habe mich immer als Antikommunist begriffen. Ich habe meine Kindheit in Berlin verlebt und bei Reisen stets mit Unbehagen die Sperranlagen, die Wachttürme, die Hunde und die schikanösen Grenzkontrollen wahrgenommen. Als Jugendlicher las ich Bücher wie „Archipel Gulag“ oder „Die Revolution frißt ihre Kinder“, und mir wurde in ganzer Tragweite klar, was ein totalitäres System wie das kommunistische bedeutet. Ich habe folglich die Politik der sozialliberalen Koalition gegenüber der DDR stets als viel zu nachgiebig empfunden und mich politisch an der CDU orientiert, einer Partei, die zumindest dem Lippenbekenntnis nach diese Politik mißbilligte.

Entdecken Sie Elemente des Kommunismus – Zentralismus, Egalitarismus, Entmündigung etc. – auch bei uns? Speist das vielleicht auch Ihre Kritik an Euro und EU?

Lucke: Meine Kritik an der Euro-Rettung speist sich in erster Linie aus meiner marktwirtschaftlichen Grundhaltung – die natürlich auch etwas mit Freiheit zu tun hat. Im Vordergrund steht die Verletzung marktwirtschaftlicher Prinzipien, etwa die fatale Aufhebung der Haftung für das eigene Handeln, wie sie durch den bewußten Bruch der Nichtbeistandsklausel des Maastrichter Vertrags zum Ausdruck kommt. Hinzu kommt die Kritik am EU-Überstaat, dessen Entstehung wir ohne Zweifel derzeit erleben – unter anderem in Gestalt von demokratisch mangelhaft legitimierten Institutionen der Euro-Rettung, wie etwa dem ESM, der Bankenunion oder der Troika. Dieser Prozeß droht die demokratischen Rechte der Bürger immer mehr einzuschränken. Das läuft den Prinzipien westlicher Demokratie in der Tradition der Revolutionen von 1789 und 1848 eindeutig zuwider.

Sie fordern, endlich anzuerkennen, „daß es legitim ist, über spezifisch deutsche Interessen in der Europapolitik zu reden“. Warum wird dies bisher als illegitim betrachtet?

Lucke: Das hängt nach meiner Ansicht mit der deutschen Vergangenheit zusammen. Und dafür habe ich auch ein gewisses Verständnis. Ich glaube aber, daß diese Sorge den Deutschen inzwischen mit solcher Gründlichkeit eingetrichtert und anerzogen worden ist, daß sie in übertriebener Selbstzurückhaltung mündet und wir nicht mehr bereit sind, im gleichen Maße wie andere Nationen auch nüchtern und sachlich darauf hinzuweisen, wo unsere Interessen tangiert sind.

Im Bundestagswahlkampf gab es Angriffe auf AfD-Wahlkämpfer, auch gegen Sie. Wie gefährlich wird der Europawahlkampf?

Lucke: Ich fürchte, daß sich dort wiederholen könnte, was wir in der Tat schon im Bundestagswahlkampf erlebt haben. Dabei bin ich weniger um mich, als um unsere zahlreichen Straßenwahlkämpfer besorgt, die immer wieder tätlich angegriffen worden sind. Zudem erwarte ich eine Fortsetzung der Diffamierungskampagne gegen die AfD. Motto: Alles Rechtspopulisten, die Europa nur zerstören wollen! Da unsere Möglichkeiten der Kommunikation sehr beschränkt sind, während die großen Medien voll mit der Propaganda unserer etablierten Konkurrenten sind, ist das für uns eine sehr schwierige Situation. Letztlich müssen wir auf den gesunden Menschenverstand des Bürgers vertrauen, der durchschaut, daß es sich dabei lediglich um ein Mittel handelt, mit dem sich die Etablierten lästige Mitbewerber vom Hals halten wollen.

Nach der Bundestagswahl brach eine Welle von „Nazi-“ und „Rechts“-Vorwürfen über Sie herein. Waren Sie davon überrascht?

Lucke: Ja, war ich. Aber inzwischen habe ich verstanden: Man hat mit den Vorwürfen bis nach der Wahl gewartet, weil man fürchtete, uns sonst Zulauf durch Wähler zu verschaffen, die eben dadurch auf uns aufmerksam geworden wären.

Begonnen hatte es mit dem Vorwurf, Sie hätten den NS-Begriff „entartet“ verwendet.

Lucke: Das habe ich ja auch, genauso wie Wolfgang Schäuble, Helmut Schmidt und viele andere das getan haben, ohne daß das je kritisiert wurde. Heute würde ich den Begriff nicht mehr verwenden – obwohl ich diese Art Sprachpolizei eigentlich für inakzeptabel halte. Aber ich habe begriffen, daß mir mit solchen Manövern sehr erfolgreich die Fernsehzeit genommen wird, die ich sonst zur Verfügung hätte, um über die Inhalte der AfD sprechen. Daß von seiten etablierter Medien und Politik mit solchen Mitteln gearbeitet wird, hat mich überrascht, enttäuscht und empört. Hier wird auf unanständige Weise versucht, den demokratischen Meinungsaustausch zu behindern. Das hätte ich mir früher nicht träumen lassen.

Wieviel Prozent sagen Sie für die AfD bei der Europawahl voraus?

Lucke: Die Bedingungen sind für uns günstiger als letztes Mal: Da war die Fünfprozenthürde für viele uns zugeneigte Wähler ein großes Hemmnis. Die gibt es jetzt nicht mehr. Auch muß niemand Angst haben, Rot-Rot-Grün zu bekommen, wenn er uns wählt. Dann wird mancher Bürger bei der Europawahl seinem Frust über die Große Koalition Luft machen. Und am wichtigsten: Die Wahl paßt perfekt zu unserer Programmatik. Deshalb rechne ich mit einem Ergebnis zwischen fünf und zehn Prozent.

Sind die drei Landtagswahlen 2014 nicht viel wichtiger als die Europawahlen?

Lucke: Wissen Sie, wenn Sie einen Turm bauen wollen, dann können Sie auch nicht sagen, daß der zweite Stock wichtiger ist als der erste. Ich bin für die Landtagswahlen sehr zuversichtlich, denn zum einen wird uns die Europawahl Rückenwind verleihen, und zum anderen hatten wir bereits in allen drei Ländern – Sachsen, Thüringen und Brandenburg – bei der Bundestagswahl über sechs Prozent der Zweitstimmen. Ich glaube daher, daß 2014 ein sehr erfolgreiches Jahr für die AfD werden wird.

 

Prof. Dr. Bernd Lucke, ist neben Konrad Adam und Frauke Petry einer von drei gleichberechtigten Parteisprechern der Alternative für Deutschland. Der Volkswirtschaftler war 1990 Wissenschaftlicher Referent beim „Sachverständigenrat zur Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in der DDR“ und 1991 bis 1992 Leitungsreferent beim Senator für Finanzen des Landes Berlin, bevor er in Berlin, Hamburg, Vancouver und Bloomington/USA lehrte. 33 Jahre war Lucke, geboren 1962 in Berlin, Mitglied der CDU. Dann gründete er Anfang Februar 2013 die AfD.

www.alternativefuer.de

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen