© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Wildwest auf Kriegskurs
Der Konflikt der USA mit Mexiko vor hundert Jahren / Deutschland wurde als Strippenzieher beschuldigt
Helmut Roewer

Im Jahre 1913/14 stürzten die USA durch zwei aufeinander folgende Staatsstreiche die mexikanische Zentralregierung und begannen einen unerklärten blutigen Krieg gegen ihren Nachbarn, der bis in die 1930er Jahre andauerte.

Der letzte Krieg lag 1913 schon etwas zurück, ein Eroberungsfeldzug, der den USA 1848 über 1,36 Millionen Quadratkilometer Gebietszuwachs auf Kosten Mexikos beschert hatte, das heutige Kalifornien, New Mexico, Arizona und Texas. 1910 war es erneut mit der Friedlichkeit vorbei, diesmal ging es ums Öl. Die Amerikaner animierten sogenannte demokratische Kräfte, den Diktator Porfirio Diaz zu stürzen. Doch die sodann ausgerufene Demokratie bescherte dem Land weder Stabilität, noch den amerikanischen Ölmilliardären den Zugriff auf die Ölfelder von Tampico.

Deswegen mußte 1913 ein neuer Staatsstreich her. Mit US-Hilfe kam General Victoriano Huerta an die Macht. Doch die Amerikaner wurden erneut enttäuscht. Huerta erwies sich keineswegs als willfähriges Werkzeug, sondern er installierte ein brutales Regime, das die Aussicht hatte, sich im maroden Mexiko durchzusetzen.

So hatte man sich die Dinge in Wa-shington nicht vorgestellt. Nun galt es, die Öffentlichkeit auf Krieg einzustimmen. Es sei höchste Zeit, das Terrorsys-tem Huertas zu beseitigen, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wieder in Kraft zu setzen. Zu diesem Zweck verhängten die Amerikaner einen Handelsboykott und besetzten im April 1914 zu dessen Durchsetzung Veracruz, den wichtigsten Hafen von Mexiko. Der Invasion von Veracruz ging eine merkwürdige Geschichte um ein Schiff mit Namen Ypiranga voraus. So hieß ein Frachtschiff der Hamburger Reederei Hapag. Es war prall gefüllt mit Waffen für den Präsidenten-General Huerta, es kam von Deutschland und würde in Veracruz anlanden.

Dies galt es durch die Intervention der US-Streitkräfte zu verhindern. Doch die Eckdaten der Interventionsgeschichte stimmten nur scheinbar, denn das Schiff kam nicht aus Deutschland, sondern es war lediglich ein deutsches Schiff. Die 10.000 Mausergewehre stammten aus einem Waffengeschäft der US-Regierung mit dem deutschen Waffenhändler Hans Tauscher. Endabnehmer war in diesen Fällen meist die US-Army. Die Reise der Ypiranga hatte jedoch nicht in Hamburg begonnen, sondern im Hafen von New York, wo auch die Gewehre geladen wurden. Die Ladung des Schiffs war für Veracruz deklariert.

Die USA schufen den Interventionsgrund selbst

Der nominelle Umweg über Deutschland kam ins Spiel, damit sich verschleiern ließ, daß man diese Gewehre in ein Gebiet lieferte, über das die USA ein Handelsembargo verhängt hatten. Unter diesen Voraussetzungen gab es für das Ablegen der Ypiranga in New York nur einen Grund: Die US-Regierung wollte einen Interventionsgrund provozieren. Und genau so geschah es. Mit Deutschland hat das alles wenig zu tun, außer daß seinerzeit in deutschen Fabriken Waffen hergestellt wurden, für die es weltweit regen Absatz gab.

Nach der US-Besetzung des Hafens Veracruz wurden die Waffen der Ypiranga nicht dort, sondern unter den Augen der US Navy in Puerto México ausgeladen. Sie sollten von dort via Bahn nach Mexico City reisen. Doch, oh Wunder, sie wurden unterwegs von den Rebellen, die von den USA unterstützt wurden, abgefangen. Huertas Lage wurde auf diese Weise innenpolitisch unhaltbar. Er mußte am 15. Juli 1914 in Mexiko City sein Amt niederlegen und floh. Von Trinidad nach Bristol, von England nach Barcelona. Mittlerweile war in Europa der Erste Weltkrieg ausgebrochen.

Im April 1915 überquerte Huerta erneut den Atlantik, um im April 1915 in New York anzulanden. Die britische Blockade umging er dabei problemlos, hatten die Engländer gegen die Reise doch ohnehin nichts einzuwenden gehabt. Huerta galt als ihr Mann, und es ging um die Ölfelder von Tampico, wo sich die britischen Ölmagnaten mit denen der USA in den Haaren lagen. Bei Tampico verstanden die Engländer keinen Spaß, denn von dort bezog die Royal Navy das benötigte Öl.

Gleich nach seiner Ankunft in New York verkündete Huerta, der Politik Valet gesagt zu haben. Doch zwei Monate später reiste er aus New York per Bahn ab, Fahrtziel: El Paso, die Grenzstadt nach Mexiko auf amerikanischem Gebiet. Was bewirkte den Reiseentschluß? Viele amerikanische Geschichtsdeuter sind sich sicher: Huerta reiste auf einem deutschen Ticket, um einen Krieg gegen die USA anzuzetteln. Für diese These fehlen jedoch die Belege. Im Gegenteil, die deutschen Akten weisen aus, daß man in Berlin mittlerweile auf den amtierenden Präsidenten Carranza setzte. Bleibt unterm Strich: Es waren die US-Amerikaner selbst, die den Ex-Präsidenten Huerta fürchteten. Nie wieder ein starker Mann, so mögen die Strategen gedacht haben. Sie planten deshalb, ihn diskret beiseite zu räumen.

General Huerta als Agent der Deutschen bezeichnet

Die Gelegenheit kam, als Huerta seine Reise antrat. Unterwegs gesellte sich der mexikanische Rebellen-General Pascual Orozco zu ihm. Um den Grenzübertritt des Duos zu verhindern, raste mit mehreren Autos der US-Zoll-eintreiber und Nachrichtenagent Zach Cobb mit einer Reihe von Pistoleros an der Eisenbahn entlang. Sie nahmen die beiden Mexikaner beim Halt des Zuges fest. Danach brachten sie die beiden ins Stadtgefängnis nach El Paso. Doch das ging nicht gut, weil die Nachricht von der Festnahme des mexikanischen Volkshelden durchsickerte und in der Stadt Unruhen unter der mexikanischen Bevölkerung ausbrachen. Also ging es an einen sicheren Ort, ins Grenz-Fort Bliss.

Denkwürdig ist, daß sich die texanische Ortsjustiz in El Paso den Verhaftungswünschen der US-Regierung nicht beugen mochte. Sie setzte die Häftlinge gegen Kaution auf freien Fuß, ordnete aber einen Hausarrest an. Orozco verschwand umgehend, wurde kurze Zeit später jedoch auf mexikanischem Boden von 30 US-Amerikanern erschossen, die dem Flüchtling hinterherstellten. Übrigens ganz legal, wie eine US-Jury in El Paso urteilte, denn die Mörder hatten behauptet, Orozco habe einem von ihnen mehrere Pferde gestohlen. Huertas Haftverschonung wurde sofort widerrufen, so daß er erneut in Fort Bliss einrückte. Und er blieb in Haft, ihm wurde nun die Verletzung der amerikanischen Neutralität vorgeworfen. Doch die Sache kam nicht vor Gericht, sondern ging wie in einem Polit-Krimi zu Ende. Huerta starb nämlich ziemlich plötzlich. Angeblich soff er sich tot.

Hinter allem standen angeblich die Deutschen. Diese Legende wurde lange Zeit aufrechterhalten. Das behaupteten auch die Falken in Washington, die einen immer noch zögerlichen US-Präsidenten Woodrow Wilson auf Kriegskurs zu bringen versuchten. Was wohl auch verfing, wie ein Dokument aus den National Archives in Washington offenbart (NARA RG59, Entry 346, Box 8; Übersethzung durch den Verfasser). Wilson schrieb am 11. September 1915 auf einen einschlägigen Brandbrief seines Außenministers Robert Lansing: „Die deutsche Spur verläuft ganz sicher überall. Ich fange an, Dinge dieser Art einzuräumen.“

In der Tat, Wilson zögerte, weil er auch nur zu genau wußte, daß sein neuer Außenminister ein pointierter Vertreter des Krieges gegen Deutschland war. Allerdings gab Wilson dem Drängen seiner Rivalen nicht nach, einen erklärten Krieg gegen Mexiko und Deutschland zu führen. Ihm ging es darum, 1916 seine Wiederwahl als Friedenspräsident zu sichern. Die friedfertige USA, das war Wilsons Motto. Der Erfolg gab ihm recht. Er gewann die Wiederwahl. Er siegte auch im 1917 gegen Deutschland erklärten Krieg. Nur mit Mexiko hatten seine Nachfolger noch jahrelang zu schaffen.

Foto: US-Infanterie marschiert in Richtung mexikanische Grenze, Texas im Juni 1914: Zugriff auf die Ölfelder von Tampico

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