© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Brückenbauer zum Morgenland
Aktualität eines deutschen Klassikers: Goethes Bild von Mohammed und seine Sicht des Islam / Dritter und letzter Teil einer JF-Serie
Felix Dirsch

Bilder von Mohammed im Abendland gibt es viele: „Pseudoprophet“, „Häretiker“, „Betrüger“, „Epileptiker“, „Gott neben Göttern“, „Antichrist“, „Gesetzgeber“, „Held“, um nur einige anzuführen. Daß nicht wenige von ihnen negativ sind, verwundert angesichts vieler blutiger Kriege von den Kreuzzügen bis zur Belagerung Wiens durch die Osmanen im späten 17. Jahrhundert kaum.

Erst im Zeitalter der Aufklärung setzte eine Wende ein. Die geistigen Eliten fanden eine relativistische Betrachtung auf einmal chic. Montesquieus „Persische Briefe“, die mit persischen Augen die Unfreiheit in Europa tadeln, stießen auf Resonanz, Lessings „Nathan der Weise“ ist bis heute ein Klassiker. Der Historiker Edward Gibbon feierte die Rolle Mohammeds als Gründer eines Weltreiches. Autoren wie Herder und Leibniz bemühten sich um eine gerechtere Würdigung des Stifters der islamischen Religion.

Mohammed-Karikaturen führten zu Tumulten

Voltaire ignorierte diese Tendenz zu einer vorurteilsloseren Perspektive jedoch. Sein Theaterstück „Mahomet“, das Goethe später übersetzte, überarbeitete und auf Wunsch von Herzog Karl August in Weimar aufführte, diffamierte seinen Helden als Verbrecher und Betrüger. Beobachter des Zeitgeschehens haben aber rasch erkannt, daß der französische Religionskritiker in erster Linie Jesus und das Christentum treffen wollte und dafür einen Deckmantel suchte.

Obwohl Mohammed in europäischen Intellektuellendiskursen stets hochumstritten war, erreichten die Kontroversen nie einen solchen Grad an Intensität wie heute, was nicht nur mit der veränderten Medienlandschaft, sondern auch mit der starken Präsenz von Muslimen in Europa zu tun hat. Die Veröffentlichung der berüchtigten Mohammed-Karikaturen, zuerst 2005 in der größten dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten, führte in einigen islamischen Ländern zu bürgerkriegsähnlichen Tumulten. Wer diese Zeichnungen zeigt, riskiert Leib und Leben.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, bereiten einige Publikationen eine gründliche wissenschaftliche Revision des Mohammed-Bildes vor. Islam-Kenner wie Norbert G. Pressburg und Karl-Heinz Ohlig zeigen mit Mitteln der historisch-kritischen Exegese, daß die ersten brauchbaren Texte erst Generationen nach Mohammeds Tod angefertigt worden waren.

Der international bekanntere, unter Pseudonym schreibende Islam-Forscher Christoph Luxenberg kann unter Berücksichtigung diverser Vorarbeiten anderer Spezialisten belegen, daß die Urtexte des Koran auf aramäisch geschrieben wurden und die späteren Transkriptionen ins Arabische katastrophale Fehlinterpretationen zur Folge hatten und immer noch haben. Vor diesem (sehr umstrittenen) Hintergrund halten es die genannten Experten für möglich, ja wahrscheinlich, daß der bis heute mächtige Übervater der Moslems nur erfunden ist. Der Name Mohammed heißt demnach der „Gepriesene“ und dürfte sich auf Jesus beziehen.

Derartige Schlußfolgerungen kannte Goethe angesichts der damals noch kaum entwickelten Textkritik nicht. Sie wären ihm wohl auch nicht zupaß gekommen, da sie seine Hochschätzung des Islam getrübt hätten. Daran ändern auch islamkritische Stellen in der Weimarer Aufführung des Voltaire-Stücks „Mahomet“ nichts, die den langjährigen Diskussionspartner Goethes, Herder, erzürnten.

Als Phänomenologe religiös inspirierter Geister erinnert der Dichter des „West-östlichen Divans“ an Wilhelm James, einen der wichtigen Vertreter des Pragmatismus. Dieser amerikanische Denker beschreibt in seiner klassischen Abhandlung „Die Vielfalt religiöser Erfahrung“ virtuos und auf der Basis psychologisch-empirischer Forschungen die Typen religiöser Prägungen: vom Asketen über den Mystiker bis zum genialen Heiligen und Ekstatiker.

Auch Goethe ordnete Mohammed in ein derartiges Schema ein: Im „Mahomet“ führte er den Propheten Allahs als religiöses Genie vor, das Kraft in einem Ausmaß verströmt, daß seine Umgebung davon angesteckt wird, mithin ein „gottbeseelter Genius der Menschheit“ (Rüdiger Safranski). Er soll am Ende des Stücks geläutert und gereinigt erscheinen. Ein derartiges Unterfangen entspricht dem Purismus des aufgeklärten Zeitalters. Kaum zu widerlegen ist gemäß der Meinung der traditionellen Mohammed-Forschung Goethes Ansicht, Mohammed habe einem Wüstenvolk ein einheitliches politisches Gepräge und eine einheitliche Moral gegeben.

Was waren nun Goethes Motive, sich näher mit dem Islam zu beschäftigen? Im „West-östlichen Divan“ zeigen sich vor allem zwei Beweggründe: die Vermutung, die Poesie durchdringe das alltägliche Leben, und der hohe Stellenwert, den (gemäß Goethes Vorstellungswelt) die Liebe in der islamischen Kultur einnehme. Zudem ist die Verehrung des islamischen Dichters Hafis in dieser Sammlung von Gedichten überall präsent.

Auffallend sind wenigstens an einigen Stellen die Versuche, eine ersichtlich islamophile Haltung hervorzukehren. Der Autor, heißt es, lehne „den Verdacht nicht ab, daß er selbst ein Muselmann sei“. Hier ist eine Einstellung evident, die man in der Gegenwartskultur erst recht beobachten kann. Das Loblied vieler, vornehmlich intellektueller Kreise auf das Fremde, der Reiz des Multikulturellen offenbart einen simplen Hintergrund: die Verachtung des Eigenen – ein Grundtatbestand in westlichen Gesellschaften, der außer der Studie des Berliner Publizisten Frank Lisson noch weitere Untersuchungen verdiente.

Oswald Spengler hätte diese fundamentale Tendenz dem Stadium der Zivilisation zugeordnet. Goethes Perspektive setzt die Epoche der Aufklärung voraus, in der eine Reihe kritischer Geister die Loslösung von Herkunftsbindungen propagierte. Nur so ist die schwärmerische Sicht des erklärten Nichtchristen auf den angeblich poetischen Islam zu erklären. Fast so, also könnte man die muslimische Religion als Schöpfung aus „1001 Nacht“ begreifen!

Goethe projizierte, wie einige andere Literaten der damaligen Zeit, etwa der jüngere Zeitgenosse Wilhelm Hauff, seine Phantasien auf die orientalische Welt. Gewiß sind einige Annahmen des imaginär nach Arabien Reisenden durchaus richtig, nicht zuletzt diejenige, die besagt: Im Islam äußere sich Gott in der Natur und die praktizierte Religion ziehe gute Werke nach sich. Das entspricht Goethes Meinung von dem, was Aufgabe der Religion sei. Bei aller Sympathie kann er sich immerhin dazu durchringen, die kritikwürdigen Seiten des Islam zu benennen. Die Unterdrückung der Frau zählt er ebenso zu diesen wie die Einschränkung der Freiheit der Dichter, denen diese Religion die „Religionshülle“ übergeworfen habe. Auch die bereits sehr frühe Verquickung von Politik und Religion betrachtet Goethe als nachteilig.

Zusammenfassend ist festzustellen: Den Dichter des „West-östlichen Divans“ preist man häufig als Brückenbauer zwischen der Welt des Abendlandes und der des Morgenlandes. Begrüßt wird allgemein sein vorbildlicher Umgang mit fremden Kulturen – und doch lassen sich bei Goethe einige Hinweise finden, die auf eine Mentalität schließen lassen, die der der heutigen liberalen und linken Intelligenz nicht ganz fremd sein dürfte.

Die ersten beiden Teile dieser JF-Serie von Felix Dirsch widmeten sich Goethes Auseinandersetzung mit der Globalisierung und Modernität (JF 2/14) sowie dem Thema „Goethe und die Wirtschaft“ (JF 3/14).

Foto: Darstellung Mohammeds, wie dieser seine erste Offenbarung von dem (Erz-)Engel Gabriel empfängt (aus dem Manuskript „Jami‘ al-tawarikh“ von Rashid-al-Din Hamadani, 1307, aus der Zeit der Ilkhane)

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