© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

In eine Sackgasse geführt
Euro-Rettung: Der überzeugte Europäer François Heisbourg sieht „Das Ende des europäischen Traums“ vorher
Alain de Benoist

Vor zwanzig Jahren sah eine Mehrheit der Europäer im Auf- und Ausbau des europäischen Zusammenschlusses noch die Lösung all ihrer Probleme. Heute ist Europa selbst zum Problem geworden. Es beunruhigt, beängstigt, enttäuscht seine Bürger. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union wird nicht länger als Vorteil, sondern eher als Handicap betrachtet.

Das gilt nicht nur für die Euro-Skeptiker, die nicht nur der Gemeinschaftswährung, sondern der Gemeinschaft selber kritisch gegenüberstehen und sich für ein „Europa der Nationen“ stark machen, also ein Europa ohne eigene politische Strukturen. Es gilt genauso für viele Befürworter eines politisch geeinten Europa – sowohl jene, die auf die Entstehung einer von den USA unabhängigen europäischen Macht hoffen, als auch bekennende Atlantiker, die sich im Gegenteil für eine Stärkung des transatlantischen Bündnisses einsetzen.

Die Rezession verursacht soziale Spannungen

François Heisbourg gehört letzterer Kategorie an. Der Vorsitzende des International Institute for Strategic Studies und des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik bezeichnet sich als „überzeugten Europäer“, der für den Maastrichter Vertrag und für den Verfassungsvertrag von 2005 gestimmt hat. Auch am Aufbau der französisch-deutschen Zusammenarbeit in verteidigungs- und sicherheitspolitischen Fragen hat er mitgewirkt. Deswegen erregte sein neues Buch um so mehr Aufsehen. Schon der Titel ist vielsagend: „La fin du rêve européenne“ – Das Ende des europäischen Traums.

Heisbourg konstatiert, der „anfängliche mobilisierende Mythos ist einer skeptischen oder gar ablehnenden Haltung gegenüber dem europäischen Gedanken gewichen“. Die gegenwärtig in der Mehrzahl der europäischen Staaten herrschende Rezession (das Bruttoinlandsprodukt der EU liegt insgesamt unter den 2007 erzielten Zahlen) verursache unerträgliche politische und soziale Spannungen. Hinsichtlich der europäischen Institutionen gelangt er zu der Einschätzung, daß „die Krise der demokratischen Legitimität, die sie derzeit erschüttert, inzwischen Proportionen erreicht hat, die sie politisch unregierbar machen“. Denn „diese Mischung aus indirekter Demokratie, Technokratie und Sonderinteressen (kann) praktisch keine operativen Entscheidungen hervorbringen und schon gar nicht auf Notfälle reagieren“: „Es besteht eine tiefe Kluft zwischen den an eine Verwaltung gestellten Erwartungen – daß sie nämlich über funktionsfähige Institutionen verfügt – und dem, was eine Regierung ausmacht, nämlich politische Handlungsfähigkeit im weiteren Sinne“.

Sein Fazit lautet, die „Existenzkrise des Euro und der Union“ sei noch lange nicht ausgestanden, der europäische Zusammenschluß „in seiner Existenz bedroht“, seine Zukunft so unsicher wie die der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow.

Heisbourg weist darauf hin, daß Deutschland zunächst die sogenannten Hartz-Reformen anging und sich erst danach Gedanken um die Haushaltspolitik machte. Er vertritt den Standpunkt, eine Regierung könne nicht gleichzeitig „Einsparungen und Reformen“ vornehmen in der Hoffnung, Haushaltslöcher zu stopfen und zugleich strukturelle Änderungen an Arbeitsrecht und Rentenwesen auf den Weg zu bringen. Seiner Auffassung nach hat die Ankurbelung der Konjunktur Vorrang, was wiederum eine Politik ausschließt, die den Euro um jeden Preis zu retten versucht und so zwangsläufig Sparmaßnahmen erfordert: „Aus dem Euro als einstigem Motor des Wachstums ist eine Wachstumsbremse geworden.“

Entgegen der in Deutschland verbreiteten Meinung sieht Heisbourg die Krise nicht als „Exportprodukt“ der „Club Med“-Staaten, sondern als Strukturkrise, die letztlich auch auf Deutschland übergreifen werde. Trotz dessen beachtlicher Exportleistung von über 188 Milliarden Euro im Jahr 2012 liege sein jährliches Wachstum über die vergangenen zehn Jahre bei knapp 1,3 Prozent, während die USA über den gleichen Zeitraum ein Wachstum um fast zwei Prozent pro Jahr verzeichneten. Damit wendet sich der Autor der Gemeinschaftswährung zu, die er als „gescheitertes Abenteuer“ bezeichnet.

Den Euro abschaffen, um die EU zu retten

Der Euro, der nach deutschem Willen so „stark wie die Mark“ sein sollte, erwies sich für die südeuropäischen Staaten als unbrauchbar. Anstatt die Volkswirtschaften wie gehofft näher zusammenrücken zu lassen, hat er die Kluft zwischen ihnen aufgrund der Unterschiede zwischen ihren Wirtschafts- und Sozialsystemen nur noch breiter gemacht. Heisbourg sieht die Ursache darin, daß „Europa weder über einen politischen Sockel noch über robuste Institutionen verfügt“.

Die Geschichte zeige im übrigen, daß in der Regel eher die politische Einheit die Entstehung einer gemeinsamen Währung begünstigt als umgekehrt: „Die Währung muß im Dienst der kollektiven Struktur stehen, die sich die Menschen verleihen, und nicht andersherum.“ Insofern sei die Währung „ein politischer Zweck“. Der Euro hingegen sei „übereilt konzipiert und falsch umgesetzt worden“ und habe „die Union in eine Sackgasse geführt“.

Entgegen der Behauptung, die Rettung des Euro sei überlebensnotwendig für die EU, stellt Heisbourg die These auf, die Politik der Rettung des Euro gefährde das Fortbestehen der EU. „Für die Zukunft unserer Völker,“ schreibt er, „ist weniger die Währung als vielmehr die Union entscheidend. (...) Der Euro, die Gemeinschaftswährung eines Europa ohne Zentralregierung, bringt Instabilität, Ungleichgewicht und Stagnation mit sich. Es muß gelingen, die Währung abzuschaffen, um die EU zu retten.“

Um ein brutales Scheitern des Euro zu vermeiden, das seiner Meinung nach katastrophale Auswirkungen hätte, schlägt der Autor eine konzertierte Aktion zur Abschaffung des Euro und Rückkehr zu den Landeswährungen vor. „Damit hätten die Völker zumindest genügend Atemluft, um sich aus der Rezession zu befreien und die Zunahme der Arbeitslosigkeit aufzuhalten“. Es sei höchste Zeit, eine neue europäische Währungspolitik auf der Basis einer erfolgreichen wirtschaftlichen Sanierung zu beschließen.

„Die Auflösung des Euro ist nur möglich, wenn darüber Konsens besteht.“ Dazu sei es erforderlich, daß Frankreich und Deutschland die Initiative ergreifen. Das Problem ist, daß ein derartiger Konsens derzeit ebenfalls illusorisch ist. Und daß weder Frankreich und Deutschland den Euro abschaffen wollen. Gegenwärtig stoßen Heisbourgs Mahnungen auf taube Ohren. Und der europäische Traum schlägt derweil in den Alptraum um.

 

Alain de Benoist, Jahrgang 1943, französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften „Nouvelle École“ und „Krisis“. In der Edition JF veröffentlichte er zuletzt die Bücher „Am Rande des Abgrunds. Eine Kritik der Herrschaft des Geldes“ (2012) und „Abschied vom Wachstum. Für eine Kultur des Maßhaltens“ (2009).

François Heisbourg: La fin du rêve européen. Éditions Stock, Paris 2013, broschiert, 200 Seiten, 18 Euro

Foto: Eine zerrissene, verschlissene Europafahne in Trapani auf Sizilien (2013): „Instabilität, Ungleichgewicht und Stagnation“

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