© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Die traditionellen Werte schützen
Rußland: Nicht nur in heimischen Gefilden, auch in der EU positioniert sich Präsident Putin als Kämpfer gegen den westlichen Zeitgeist
Thomas Fasbender

Es waren markige Worte, mit denen der russische Präsident Wladimir Putin seine Rede zur Lage der Nation im Dezember ideologisch untermalte. Im Zuge des weltweiten Werteverfalls, so Putin, gelte vielerorts das Prinzip einer „geschlechtslosen und unfruchtbaren Toleranz“, so weit, daß mitunter Gut und Böse ihrem Wert nach gleichgestellt würden. So etwas sei mit der russischen Tradition unvereinbar. Sein Land bleibe dem „Schutz der traditionellen Familie und des traditionellen Lebens“ und damit einer konservativen Politik verpflichtet.

Wenige Tage zuvor hatte das kremlnahe Zentrum für strategische Kommunikation seinen jüngsten Bericht präsentiert: „Putin – der neue Führer des weltweiten Konservatismus“. Anhand globaler Zahlen versucht das Zentrum zu belegen, daß die überwiegende Mehrheit aller Menschen Stabilität und Sicherheit, traditionelle, familienorientierte Werte und den Nationalstaat als Normalfall des Zusammenlebens präferiere.

Tagung mit europäischen Rechtsparteien

In den USA wurden die intellektuellen Vertreter der Tea-Party-Bewegung schon im vergangenen Sommer auf neue Töne aus Moskau aufmerksam. Der konservative Kommentator Patrick Buchanan schrieb, daß Putin durchaus „für einen Großteil der Menschheit“ spreche. Nicht ausgeschlossen, so Buchanan, daß im 21. Jahrhundert der „Kampf der Konservativen und Traditionalisten aller Länder gegen den militanten Säkularismus einer multikulturellen, transnationalen Elite“ zum beherrschenden Thema werde.

Zwei Tage nach Putins Rede im Dezember war eine russische Delegation zu Gast beim Parteitag der italienischen Lega Nord in Turin. Die Veranstaltung diente gleichzeitig als Plattform für prominente Rechtspolitiker: Heinz-Christian Strache (FPÖ), der Vorsitzende der niederländischen Freiheitspartei Geert Wilders, der persönliche Referent der Front-National-Chefin Marine Le Pen und prominente Rechtskonservative aus anderen EU-Ländern (JF 52/13 – 1/14).

Aus Rußland waren der sibirische Parlamentsabgeordnete Viktor Subarew und Alexej Komow aus Moskau, GUS-Repräsentant des Weltkongresses für die Familie, nach Italien gereist.

Subarew stammt aus Krasnojarsk, einer sibirischen Millionenstadt, die er als Fraktionsmitglied der Regierungspartei Einiges Rußland in der Staatsduma vertritt, dem Parlament der Russischen Föderation. In Turin war er offiziell als Duma-Vertreter, auf Bitten des Parlamentsvorsitzenden Sergej Naryschkin.

Der 52jährige bezeichnet sich im Gespräch als Wirtschaftsliberaler mit traditionellen gesellschaftspolitischen Ansichten. In Krasnojarsk leitet er seit Jahren das „Zentrum sozial-konservativer Politik Jenissei“. Es ist eine Plattform, die auf regionaler Ebene Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Kultur und Religionen vereint und die politische Willensbildung begleitet – eine russische Variante der Zivilgesellschaft.

Subarew sieht darin bewußt ein alternatives Modell zur westlichen Demokratie, wo Öffentlichkeit und Partizipation des einzelnen im Mittelpunkt stünden. So eine Form gesellschaftlicher Willensbildung sei der russischen Tradition und Mentalität fremd. Überhaupt hält er die Demokratie in Rußland für repräsentativer als im Westen, wo der politische Prozeß seiner Ansicht nach weniger vom Willen breiter Volksschichten als von artikulierten Minderheiten geprägt sei.

Was also war das Ziel der Reise nach Turin? Ein Grund sei, ein besseres Verständnis der Positionen traditioneller Kräfte in Europa zu gewinnen, etwa zur Stellung der Familie. Die übergroße Mehrheit der Russen könne die Diskussion im Westen gar nicht mehr nachvollziehen. Als Beispiel nannte Subarew das Recht eines jeden Kindes auf einen männlichen Vater und eine weibliche Mutter. Das überhaupt in Zweifel zu ziehen sei aus Sicht der russischen Gesellschaft schier absurd.

Der zweite russische Gast war Alexej Komow, ein gepflegter Vierziger, Vater von fünf Kindern und engagiert im Schutz der traditionellen Familie, unter anderem als Uno-Botschafter des Weltkongresses für die Familie. Seiner Ansicht nach sind es nicht die sozialen Prozesse in den Industriestaaten, die für den Niedergang der Werte verantwortlich sind. Vielmehr sei eine letztlich überschaubare Gruppe von Intellektuellen und Wissenschaftlern am Werk, die es in den vergangenen zwanzig Jahren – Komow verwendet den Ausdruck „Marsch durch die Institutionen“ – geschafft habe, die Agenden der westlichen Politik, der Medien und vor allem der supranationalen Organisationen wie Uno und EU zu dominieren.

Das russische Volk, das im 20. Jahrhundert am eigenen Leib erfahren habe, wie es ist, wenn von oben der „neue Mensch“ diktiert wird, ist laut Komow gegen vergleichbare Bestrebungen inzwischen immun. Das gebe seinem Land auch die Kraft, sich gegen den westlichen Zeitgeist zu stellen: gegen die Relativierung der Familie und den Rückzug der Religion aus Staat und Gesellschaft, gegen überzogene Individualisierung, gegen Homo-Ehe und soziales Engineering der Geschlechter.

Wobei auch Komow hinter dieser Politik die Suche nach einer neuen, integrativen Rolle Rußlands in der Welt sieht. Antiwestliche Positionen seien beim russischen Publikum immer populär. Ihre eigentliche Relevanz erhalte die konservative Re-Ideologisierung jedoch mit Blick auf die aufstrebenden Länder in Asien, Afrika und Südamerika. Dort nehme man sehr wohl – und zwar positiv – wahr, daß Rußland sich als einzige europäische Nation noch zum überkommenen Wertekanon bekenne.

Foto: Rußlands Präsident Putin bei einer Rede an die Nation: Der „ge-schlechtslosen, unfruchtbaren Toleranz“ des Westens Paroli bieten

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