© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Habe die Ehre
Ehrenamt: Millionen Deutsche engagieren sich unentgeltlich für andere. Dieser freiwillige Dienst hat eine lange Tradition, die jedoch bedroht ist
Christian Schreiber

Das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf in Berlin ist neulich einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Mittels einer Zeitungsannonce suchte die Verwaltung „für den Gratulationsdienst kontaktfreudige Freiwillige, die Toleranz, Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Probleme älterer Menschen mitbringen“.

Der freiwillige Dienst an und in der Gesellschaft, jahrzehntelang eine Grundlage des Miteinanders in Deutschland, scheint etwas aus der Mode gekommen. Ehrenamts-Organisationen beklagen Überalterung, mangelnde Bereitschaft und immer höher werdende bürokratische Hürden. Dabei sind die Zahlen noch beeindruckend.

„Wer mehr verdient, bringt sich häufiger ein“

Ein gutes Drittel der Bevölkerung arbeitet ehrenamtlich – und dies in einem breiten Beschäftigungsfeld. Ältere Menschen sind häufig in der Alten- und Krankenpflege aktiv, Berufstätige engagieren sich gerne in Freizeit- oder Berufsverbänden, und junge Menschen stehen häufig als Trainer in Sportvereinen zur Verfügung oder tun bei der Freiwilligen Feuerwehr ihren Dienst.

2011, im Jahr des Ehrenamts, hatte die Versicherungsgesellschaft Generali eine Studie in Auftrag gegeben und interessante Ergebnisse ermittelt. Exakt 34,3 Prozent haben sich demnach für ehrenamtliche Belange eingesetzt, eine Zahl, die sich bis heute kaum verändert hat. Der soziale Bereich wäre ohne das Engagement der Helfer vielerorts vom Zusammenbruch bedroht. So leisten die Ehrenamtler laut der Studie 4,6 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit pro Jahr. Würden diese mit 7,50 Euro pro Stunde honoriert, brächte dies einen Nutzen für das Gemeinwesen in Höhe von 35 Milliarden Euro. Diese unentgeltlichen Leistungen entsprechen demnach etwa einer Arbeitszeit von 3,2 Millionen Vollzeitbeschäftigten.

Doch es herrscht leider nicht überall eitel Sonnenschein. Vielerorts wird ein Nachwuchsmangel festgestellt, immer häufiger bleiben Vorstandsposten unbesetzt. Dies geht auch aus den Freiwilligenberichten hervor, die die Bundesregierung Jahr für Jahr veröffentlicht. Zwar wurde auch im Jahr 2012 die Zahl der Engagierten mit einem guten Drittel der Bevölkerung bestätigt, doch einen Großteil davon machen die Vereinsmitgliedschaften aus. Doch die sind oftmals an einen Ort gebunden und von einer sicheren Zukunftsplanung abhängig. „Junge Menschen sträuben sich mehr und mehr davor, Ämter zu übernehmen, die sie für drei Jahre in die Verantwortung nehmen, weil sie nicht wissen, ob sie so lange am selben Ort bleiben“, heißt es in dem Bericht.

Der Vorsitzende der in Bonn ansässigen „Stiftung Mitarbeit“, Hanns-Jörg Sippel, sieht eine große Differenz zwischen der grundsätzlichen Bereitschaft und einem tatsächlichen Engagement. Die Anforderungen in der Arbeitswelt seien gestiegen, Zukunftsängste gewachsen. „Durch G8 haben wir die Schulzeitverkürzung auf zwölf Jahre, durch Bologna eine extreme Verschulung des Studiums – die Strukturen lassen den jungen Leuten wenig Zeit“, sagte Sippel in einem Gespräch mit der Wochenzeitung Die Zeit.

Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes und die Furcht, Kollegen eine Mehrarbeit aufhalsen zu müssen, würden im Berufsleben dem Ehrenamt zunehmend entgegenstehen: „Der Grund liegt auf der Hand: Viele Unternehmen dünnen ihre Belegschaft immer weiter aus. Die meisten arbeiten sowieso schon bis zum Anschlag. Wenn die Kollegen die Arbeit eines Mitarbeiters, der ad hoc zum Feuerwehreinsatz muß, auch noch übernehmen sollen, wird es schwierig“, so Sippel. Gerade die Einheiten der Freiwilligen Feuerwehr machen sich Sorgen um den Nachwuchs, gleiches gilt für Organisationen wie das Technische Hilfswerk (THW), welche im Katastrophenschutz tätig sind.

Interessant ist die Tatsache, daß ehrenamtliches Engagement vor allem in höheren Bildungsschichten sehr weit verbreitet ist: „Wer mehr verdient, bringt sich – obwohl er oft viel zu tun hat – häufiger in die Gesellschaft ein“, heißt es in der Generali-Studie. Auch die Kirchensteuer sei ein guter Anhaltspunkt: Wer mehr zahle, der helfe auch öfter freiwillig, besagt die Studie. Im Umkehrschluß gilt allerdings auch: Arbeitslose und bildungsärmere Schichten engagieren sich seltener.

Regional gibt es in der Bundesrepublik große Unterschiede. In den west- und süddeutschen Bundesländern ist das Ehrenamt ein wichtiger Faktor, im Osten herrscht dagegen laut Studie eine regelrechte „Todesspirale.“ Niedriger Wohlstand und Erwerbslosigkeit seien verantwortlich, daß die Menschen weniger tun, um ihre gesellschaftlichen Verhältnisse durch freiwilliges Engagement zu verändern. Sozialforscher glauben zudem, daß die DDR hier noch massiv nachwirke, weil dort die Möglichkeiten für die Entwicklung einer Engagement-Kultur, etwa durch die Kirche, äußerst eingeschränkt waren. „Es wurde kaum eine bürgerschaftliche Tradition aufgebaut oder zugelassen“, sagt Lorin Sattler, Leiter des Generali-Zukunftsfonds.

Das Ehrenamt hat in Deutschland eine lange Tradition. Der Hamburger Kaufmann Caspar Voght gründete 1788 die Hamburger Armenanstalt. Die Unterstützung der Mittellosen war für ihn eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Fast zeitgleich trat auch der Staat einige Rechte an die Bürger ab. Man fürchtete, die Wellen der Französischen Revolution könnten nach Preußen überschwappen. Um dies zu verhindern, gab die preußische Regierung 1808 einige kommunale Gestaltungsmöglichkeiten an das Volk ab. Etwa zeitgleich entstanden die ersten Vereinsstrukturen, in denen sich die Menschen auch im Privaten engagieren konnten. Daran hat sich bis heute wenig geändert.

Verschärfte Vorschriften behindern das Ehrenamt

Doch der gesellschaftliche Wandel hat seine Spuren hinterlassen. In ländlichen Regionen, in dörflichen Strukturen, herrsche nach wie vor eine große Mitmach-Kultur. In Freizeitvereinen oder der Feuerwehr ist es teilweise Tradition, daß sich Generationen von Familien engagieren: „Es gilt die Faustregel: Je kleiner die Gemeinde, desto größer das Engagement. Durch die soziale Kontrolle gibt es oft einen Mitmach-Effekt“, erklärt Generali-Mann Lorin Sattler.

Diese Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen von Hans Joachim Müller. Der langjährige SPD-Politiker und Handballfunktionär hat vor über einem Jahrzehnt im Saarland die Landesarbeitsgemeinschaft „Pro Ehrenamt“ gegründet. Für sein Engagement wurde er mittlerweile mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, seine Initiative hat bundesweiten Modellcharakter: „Es ist in der Tat so: Engagiert sich der Opa, macht dies der Vater auch. Und der gibt es an den Enkel weiter. Aber das gilt eher für den ländlichen Raum.“ In den Großstädten seien andere Freizeitangebote interessanter, zudem würden sich junge Leute nicht mehr so gerne festlegen.

„Wir haben in vielen Vereinen das Problem, daß wir 25 Jahre denselben Vorsitzenden oder Schatzmeister haben. Die Bereitschaft, Funktionen zu übernehmen, sinkt sehr stark“, sagt Müller. Dies hängt auch mit den hohen bürokratischen Hürden zusammen, die das Ehrenamt und vor allem das Vereinsleben mittlerweile erschweren.

Seit dem tragischen Unglück bei der „Love Parade“ in Duisburg vor drei Jahren sei „ein Sicherheitswahn“ ausgebrochen, bei jedem Dorffest werde Sicherheitspersonal gebraucht, welches viel Geld koste. Zudem hat der Staat andere Vorschriften verschärft. Nach dem Bundeskinderschutzgesetz sollen neben den Hauptamtlichen auch Ehrenamtliche in der Kinder- und Jugendarbeit ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Der Gesetzgeber will so verhindern, daß Kinder von Menschen betreut werden, die wegen sexuellen Mißbrauches vorbestraft sind.

Viele potentielle Ehrenamtler sehen darin allerdings einen Eingriff ins Private. Zudem schauen Behörden wie die Finanzämter bei Abrechnungen und Prüfungen der Gemeinnützigkeit immer genauer hin. Haftungsverpflichtungen für Vorstandsmitglieder werden da schon mal zu einem unkalkulierbaren Risiko. „Wenn man selbst kein Steuerberater ist, wird das problematisch“, sagt Saar-Ehrenamtler Müller und fordert, daß Land und Kommunen Hilfestellung auch im fachlichen Bereich liefern. Sonst könnte es passieren, daß demnächst nicht nur Bezirksverwaltungen freiwillige Helfer per Annonce suchen müssen.

Foto: Feuerwehrleute helfen, Kinder spielen Fußball, Posaunenchöre musizieren: Ohne ehrenamtliches Engagement vieler Freiwilliger wäre unser Leben ärmer

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