© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Blutiges Ende einer ungewollten Autonomie
Im Januar 1923 fiel der pfälzische Separatist Franz Josef Heinz-Orbis einem Attentat einer Gruppe um den Publizisten Edgar Julius Jung zum Opfer
Matthias Schneider

Der Jahreswechsel 1923/24 brachte für die damals zu Bayern gehörige und von Frankreich besetzte Pfalz bewegte Zeiten. Anfang November hatte sich eine separatistische Bewegung mit Unterstützung der französischen Besatzer gewaltsam an die Macht geputscht und am 12. des Monats in der Kreishauptstadt Speyer die „Autonome Pfalz“ ausgerufen.

Die französische Besatzungsmacht leistete den Separatisten mittelbare, aber wirksame Unterstützung, indem sie Sonderzüge bereitstellte, den Milizionären das Waffentragen erlaubte, örtliche Bürgerwehren entwaffnete und gezielt Wachen postierte, um nach Besetzung eines Gebäudes Gegenreaktionen zu verhindern. Langfristiges Ziel war die Etablierung eines selbständigen Staates, losgelöst vom Deutschen Reich und Bayern. Der Widerstand gegen dieses politische Abenteuer war vielschichtig. In zahlreichen pfälzischen Gemeinden kam es schon bei der Besetzung der öffentlichen Gebäude zu Tumulten, Aufläufen und Schießereien, bei denen auch Opfer zu beklagen waren.

Offizieller Attentatsauftrag vom Pfalzkommissariat

Im Auftrag der bayerischen Regierung war die sogenannte „Abwehrstelle“ oder „Haupthilfsstelle für die Pfalz“ mit Gegenmaßnahmen betraut. Sie hatte wechselnde Standorte im „badischen Exil“ und unterhielt in der besetzten Pfalz ein Netzwerk von Spitzeln und Kurieren, verbreitete Propagandaschriften und war rigoros bemüht, Personen zu ächten, die sich separatistischer Umtriebe verdächtig machten.

Auf höherer politischer Ebene nahm England eine deutliche Gegenposition zu den aggressiven Expansionsbestrebungen Frankreichs ein. Als Sieger- und Besatzungsmacht war auch England Mitglied der interalliierten Rheinlandkommission und konnte durch sein Veto alle Eingaben blockieren, die auf Anerkennung der autonomen Republiken im Rheinland und der Pfalz abzielten.

Präsident der „Autonomen Pfalz“ wurde Franz Josef Heinz, ein Landwirt aus dem nordpfälzischen Dorf Orbis und Führer der „Freien Bauernschaft“, in der Öffentlichkeit kurz als Heinz-Orbis bekannt. Er stand schon vor dem Putsch als Pfalzbevollmächtigter in direktem Kontakt zu Josef Matthes und Adam Dorten, den Anführern der Rheinland-separatisten.

Offizielle Verlautbarungen gibt es keine, jedoch genügend Indizien, die darauf hinweisen, daß der Ludwigshafener Rechtsanwalt und Publizist Edgar Julius Jung vom Pfalzkommissariat der bayerischen Regierung mit der Durchführung eines Anschlages beauftragt wurde. Sein Kommandotrupp war etwa zwanzig Mann stark und rekrutierte sich aus Widerstandskämpfern des „Rheinisch-Pfälzischen-Kampfbundes“ sowie Münchner Freikorpsleuten aus dem Dunstkreis der Organisation Consul. Als Ende Dezember bekannt wurde, daß Heinz-Orbis und einige seiner Kabinettsmitglieder nicht mehr im stark bewachten Regierungsgebäude zu Speyer, sondern im Hotel „Wittelsbacher Hof“ logierten, nahm der Plan der Verschwörer konkrete Formen an. Am Abend des 9. Januar 1924 war der Gastraum im „Wittelsbacher Hof“ gut besucht.

Bei Heinz-Orbis am Tisch saßen sein Pressechef Josef Schmitz-Epper, der Separatist Nikolaus Fußhöller aus Trier und Matthias Sand. Letzterer, ein Bekannter von Heinz, war in der separatistischen Bewegung nicht aktiv und nur zu Besuch. Später gesellte sich noch ein unbeteiligter Geschäftsmann dazu, weil anderswo kein Platz mehr frei war. Unter den sonstigen Gästen befanden sich einige der Verschwörer, französische Offiziere und ein Sonderkorrespondent der Times, der sich durch eine gezielte Indiskretion veranlaßt sah, den Abend hier zu verbringen.

Kuriere huschten durch die Nacht, heimlich wurden im Hotel Nebenräume und Schlüsselpositionen besetzt, auf der Straße sicherte ein Deckungstrupp den Fluchtweg. Gegen halb zehn Uhr abends betrat das Erschießungskommando den Speisesaal, umstellte den Tisch mit den Zielpersonen und eröffnete das Feuer. Heinz-Orbis, Fußhöller und Sand brechen im Kugelhagel tödlich getroffen zusammen. Nur der unbeteiligte Tischnachbar hat Glück im Unglück, er erhielt eine Schußwunde durch den Mund und verlor nur zwei Backenzähne. Schmitz-Epper hatte kurz zuvor den Speisesaal verlassen und entging dem Anschlag nur knapp.

Auch auf Seiten der Attentäter gab es Verluste, denn im Verlauf einer Schießerei vor dem Hoteleingang wurden Franz Hellinger, ein Unteroffizier vom Freikorps Oberland, und der Speyerer Finanzbeamte Ferdinand Wiesmann tödlich verletzt. Den übrigen gelang planmäßig die Flucht über den zugefrorenen Rhein, zurück ins unbesetzte Deutschland.

Aufgebrachte Volksmenge knüppelte sie nieder

Am 12. Februar 1924 ereignete sich im westpfälzischen Pirmasens die nächste Gewaltaktion. Nach einer mehrstündigen Schießerei wurde das Bezirksamt in Brand gesetzt und gestürmt. 15 Separatisten kamen zu Tode, sie wurden erschossen oder verbrannten. Wem die Flucht aus dem Gebäude gelang, wurde von der aufgebrachten Volksmenge niedergeknüppelt. Die per Bahn aus Zweibrücken eingetroffenen Besatzungstruppen griffen nicht ein, denn auf höherer politischer Ebene hatte sich eine Weichenstellung vollzogen, die eine offene Parteinahme Frankreichs für die separatistische Sache nicht mehr opportun erscheinen ließ. Auch diese Aktion war geplant, jedoch ähnelten die Ereignisse durch Beteiligung einer großen Menschenmenge einer spontanen Volkserhebung.

Am 14. Februar entsandte die Rheinlandkommission einen Sonderausschuß, um in der Pfalz geordnete Verhältnisse herzustellen. Drei Tage später wurde im Speyerer Abkommen unter anderem bestimmt, daß die „Autonome Pfalz“ ihre Regierungstätigkeit einstellt und stattdessen der Kreisausschuß die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung und einer geregelten Verwaltung übernimmt. Als wichtigster Punkt wurde der staatsrechtliche Status quo festgeschrieben, das heißt, die Pfalz verblieb bei Bayern.

Der „Tellschuß von Speyer“ und das „Strafgericht von Pirmasens“ wurden über Jahrzehnte als Befreiungstaten des Pfälzer Volkes glorifiziert, jedoch waren diese Aktionen nicht alleine ursächlich für den Niedergang der Separatistenherrschaft, denn deren Staatsgebilde stand von Anfang an auf wackeligen Füßen. Die überwiegende Bevölkerungsmehrheit verhielt sich ablehnend, die Beamten verweigerten die Gefolgschaft, und schier unlösbar waren die sozialen und wirtschaftlichen Probleme als Folge von Hyperinflation und Massenarbeitslosigkeit. Nicht zuletzt waren die Haltung Englands und die wirtschaftliche Stabilisierung durch Einführung der Rentenmark im November 1923 mit ausschlaggebend für das Ende dieses politischen Abenteuers.

Foto: Pfälzische Separatisten Josef Schmitz-Epper (l.) und Franz Josef Heinz-Orbis (2.v.l.) mit Anhängern: Von Frankreichs Gnaden

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