© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Das war kein Völkermord
Hererokrieg in Deutsch-Südwestafrika vor hundert Jahren: Wie DDR-Geschichtsbild und britische Propaganda aus dem Ersten Weltkrieg bis heute überdauern konnten
Wolfgang Kaufmann

Am 12. Januar 1904 rebellierten rund 8.000 bewaffnete Herero unter der Führung des Ovaherero-Häuptlings Samuel Maharero gegen die etwa 3.000 deutschen Siedler, Händler und Soldaten, welche sich mittlerweile in Deutsch-Südwestafrika befanden. Grund des Aufstands war der Verlust von Weidegebieten und Rindern an die Neuankömmlinge.

Allerdings resultierte dieser nicht aus einer „kolonialistischen Ausplünderung“, wie vielfach kolportiert wird, sondern aus dem exzessiven Konsum der Herero, allen voran der Häuptlinge: Sie wollten gerne auch alle die Statussymbole besitzen, welche sie bei den Deutschen sahen und gaben zu diesem Zweck bedenkenlos Vieh oder Land hin. Daß ihre Vorliebe für europäische Kleidung, Genußmittel und Waffen fatal war und auf einen nicht wiedergutzumachenden Ausverkauf der Stammesressourcen hinauslief, begriffen die Herero erst, als sie ökonomisch mit dem Rücken zur Wand standen.

Mahereros Kämpfer unterbrachen die lebenswichtige Eisenbahnstrecke von Swakopmund nach Windhuk und belagerten Okahandja, Windhuk und Omaruru. Parallel hierzu fanden Überfälle auf deutsche Farmen statt. Aufgrund des geringen Personalbestandes der Schutztruppe von nur 770 Mann, von denen sich zudem das Gros 20 Tagesmärsche entfernt im Süden der Kolonie im Gebiet der Bondelzwart-Nama befand, konnten die Herero zunächst weitgehend ungehindert wüten: Schon am ersten Tage des Aufstands massakrierten sie 29 Zivilisten, darunter zwei Frauen und ein Kind in Okahandja, Omuserakomba und Otjiseva.

Die Stammeskrieger erschlugen ihre Opfer zumeist mit Streitkeulen oder folterten sie zu Tode, teilweise vor den Augen der hochgradig traumatisierten Angehörigen. Zudem wurden die Männer nicht selten noch durch Abschneiden von Nase, Ohren und Genitalien verstümmelt. Hieran beteiligten sich auch und gerade die Frauen der Herero, was natürlich Auswirkungen auf deren spätere Behandlung durch die Schutztruppe hatte: „Sollten in dem einen oder anderen Ausnahmefalle Frauen erschossen worden sein, so ist zu bedenken, daß Frauen sich nicht nur an den Kämpfen beteiligt haben, sondern auch die hauptsächlichsten Urheber der grausamen und scheußlichen Martern waren, denen unsere Verwundeten oft unterworfen worden sind.“ So Generalstabschef Alfred von Schlieffen in einer Stellungnahme gegenüber Reichskanzler von Bülow im Dezember 1904. Insofern ist es mehr als zynisch, wenn der DDR-Historiker Horst Drechsler tönt: „Die Kriegführung der Herero war ausgesprochen human.“ Zugleich zeugt es vom erbärmlichen Zustand der heutigen deutschen Geschichtswissenschaft, daß diese Agitprop-Floskel aus der Blütezeit des Kalten Krieges trotz eindeutiger Gegenbeweise bis in die heutige Zeit nachgebetet wird, so zum Beispiel von Jörg Wassink und Susanne Kuß.

„Vernichtungsbefehl“ war praktisch nicht durchführbar

Am Ende kostete der Aufstand 121 Deutsche und sieben Buren das Leben. Die offizielle Opferliste der Kriegsgräberfürsorge in Windhuk nennt 32 Farmer, elf Farmangestellte, vierzig Kaufleute und Händler, neun Handwerker und zehn Regierungsbeamte. Dazu kommen 13 Militärangehörige, welche nicht im Kampf fielen, sondern zu Aufstandsbeginn hinterrücks ermordet wurden, sowie fünf Frauen und zwei Kinder.

Die Schutztruppe benötigte bis Anfang Februar, um die Kontrolle über den Norden Deutsch-Südwestafrikas zurückzuerlangen. Parallel zu den Kämpfen erfolgte eine schnelle Aufstockung auf 9.200 Mann. Mit 2.000 davon stellte der Oberbefehlshaber Generalleutnant Lothar von Trotha die Aufständischen in der Schlacht am Waterberg am 11. August 1904. Allerdings gelang es den Herero am Folgetag, den deutschen Belagerungsring zu durchbrechen und sich nach Osten in die wasserarme, aber beileibe nicht wasserlose Omaheke-Wüste abzusetzen – das ganze übrigens nach dem Verlust von gerade einmal 42 Kämpfern.

Dort sollen dann angeblich bis zu 80.000 Aufständische und deren Angehörige eines jämmerlichen Todes gestorben sein, weil die deutsche Schutztruppe die Wüste „abgeriegelt“ habe, um das Volk der Herero systematisch und kaltblütig zu „vernichten“. Hierzu ist zunächst festzustellen, daß eine solche „Abriegelung“ objektiv überhaupt nicht möglich war: Die wenigen hundert geschwächten und schlecht versorgten Soldaten waren außerstande, einen 250 Kilometer langen „Sperrbogen“ im Westen der 40.000 Quadratkilometer großen Wüste „undurchlässig“ zu machen.

Das läßt die immer wieder zitierte Proklamation von Trothas vom 2. Oktober an das Volk der Herero, mit dem Kernsatz „innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero (...) erschossen“, als substanzlose Prahlerei dastehen, zumal sich die Drohung laut einem zeitgleich erlassenen Zusatzbefehl eindeutig nur auf männliche Kämpfer im Bereich der Omaheke und somit eben nicht auf Frauen und Kinder bezog. Der sogenannte „Vernichtungsbefehl“ von Trothas erging also quasi als Mittel der psychologischen Kriegführung, weil die Schutztruppe aufgrund von Krankheiten, fehlendem Nachschub und personeller Zersplitterung infolge des nun auch im Süden losgebrochenen Nama-Aufstandes überhaupt nicht imstande war, wirksam gegen die Flüchtenden zu agieren.

Des weiteren gehört die Zahl der Toten zu den „ungewissen Gewißheiten“, wie die frühere Leiterin des Windhuker Nationalarchivs, Brigitte Lau, feststellte. Auch wenn Historiker wie Helmut Bley – natürlich wiederum unter Berufung auf den SED-Propagandisten Drechsler – den Anschein erwecken, ihre Zahlen seien belegt, ist das ganze Gegenteil der Fall: Niemand weiß bis heute genau, wie viele Menschen eigentlich damals zum Volk der Herero zählten und wie viele davon starben. Fest steht nur, daß zum Beispiel Samuel Maharero mit seinem Troß schon Wochen vor dem Erlaß von Trothas Proklamation in Britisch-Betschuanaland (heute Botswana) Zuflucht gefunden hatte – wobei diese Flucht quer durch die „tödliche“ Omaheke von langer Hand vorbereitet und mit den Briten abgesprochen war und somit eben keine Folge deutscher Verfolgungs- oder gar Vernichtungswut darstellte. Weitere Herero kamen bei den Ovambo im Norden unter, und der Rest flutete trotz der angeblichen Abriegelung durch die Schutztruppe ins Stammesgebiet zurück.

Die Völkermordthese wird nach wie vor verbreitet

Ebenso abenteuerlich, weil aktenkundig in keiner Weise belegt, ist Drechslers gleichsam fleißig kolportierte Behauptung, die Hälfte der überlebenden Herero, nämlich etwa 7.500, seien in deutschen „Konzentrationslagern“ durch unmenschliche Behandlung und „Sklavenarbeit“ vernichtet worden. Die einzige „Quelle“ hierzu ist das „Blaubuch“ der britischen Regierung von 1918, dessen propagandistischer Zweck darin bestand, die deutsche Kolonialpolitik in Südwestafrika derart zu diskreditieren, daß nur eine Lösung übrigblieb: Großbritannien die Aufsicht über das rohstoffreiche Schutzgebiet anzuvertrauen. Diese bis heute gern zitierte Quelle wurde bereits 1926 von der gesetzgebenden Versammlung des nach dem Ersten Weltkrieg Südafrika zugeschlagenen Mandatsgebietes zur Fälschung erklärt.

Das hinderte den bundesdeutschen Drechsler-Epigonen Joachim Zeller freilich nicht daran, 2003 einen Reprint des „Blaubuches“ zu besorgen. Überhaupt betätigt sich gerade Zeller im Verein mit Jürgen Zimmerer und Christoph Marx als besonders eifriger Propagandist der Lüge vom kolonialen Völkermord, welche sich so perfekt dazu eignet, eine Kontinuität zwischen Kaiserreich und Drittem Reich zu konstruieren und Deutschland immerwährende Gelüste zur Vernichtung fremder Rassen zu unterstellen.

Foto: Kamelreiterkompanie der Schutztruppe während des Hereroaufstands in Deutsch-Südwestafrika 1904 (o.) und Nama-Kaptein (Häuptling) Hendrik Witbooi mit Mitstreitern (l.): Belastende Quellen gegen die Deutschen wurden bereits 1926 von der Mandatsmacht Südafrika als Fälschung anerkannt

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