© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Korruptes System
Ägypten: Arabellion und Digitalisierung verändern die Medienlandschaft / Von westlicher Pressefreiheit weit entfernt
Billy Six

Ibn Metnaka! Ein schlimmeres Schimpfwort als dieses gibt es im Arabischen nicht. Beim Marsch Hunderter Ultras, Anhänger politisierter ägyptischer Fußballklubs, durch die Kairoer Hauptstraßen El-Behouth und El-Tahrir schreien die jungen Männer es der Polizei entgegen.

Reine Inszenierung, wie sich beim näheren Hinschauen herausstellt – denn die Veranstalter passen auf, daß es zu keinen echten Provokationen kommt. Diesmal bleibt der Abend in der ägyptischen Hauptstadt friedlich. Sogar ein gutes Dutzend junger Frauen, mit und ohne Schleier, ist anwesend – als Graswurzel-Reporterinnen. Sie machen Bilder und schreiben Berichte im Netz.

Viele junge Leute haben seit der Revolution vom Januar/Februar 2011 zum Journalismus gefunden. Michael Mounier (26) hat sein Journalismus-Studium frisch abgeschlossen und berichtet nun auf dem Netzportal „Youm7“ von den Ereignissen in der Millionenmetropole am Nil. „Zwei bis fünf Jahre werde ich brauchen, bis daraus eine bezahlte Arbeit wird“, meint er lächelnd. Immerhin: Benachteiligungen als koptischer Christ habe er bisher nicht erlebt.

Im dritten Jahr revolutionärer Wirren ist die ägyptische Medienlandschaft noch immer im Umbruch. Neue Medien schießen wie Pilze aus dem Boden. Junge Leute wollen von Bloggern zu hauptberuflichen Reportern aufsteigen. Was gar nicht so einfach ist.

Freiheit erstickt im Gestrüpp der Bürokratie

„Die Religion ist auch nicht das Problem“, meint dazu Wafaa al-Badry (27), eine bekannte Fernsehreporterin, die den Durchbruch nach vier Jahren Medientätigkeit ohne Vergütung geschafft hat. Davon können auch deutsche Dauerpraktikanten ein Lied singen, aber in der arabischen Welt sind diese Zustände gleich doppelt so problematisch.

„Das Problem ist das korrupte System.“ Wafaa beschreibt die Lage: Journalisten würden vor allem von ihrer Mitgliedschaft in den Mediensyndikaten leben – in Form eines Gehalts sowie vielfältiger Vergünstigungen im öffentlichen Leben. Um ins „Nakabath al Sahawijin“ für Zeitungsreporter oder ins „Etihad al Isea wah Television“ für Radio- und Fernsehreporter eintreten zu können, seien Voraussetzungen zu erfülllen: ein mindestens zwei Jahre laufender Angestelltenvertrag und ein zumindest für ein Jahr dokumentiertes Archiv eigener Veröffentlichungen.

Das Nachrichtengeschäft ist streng reglementiert

Und selbst dann sei die Nominierung durch einen Chefredakteur obligatorisch. Mancher nutze seine Position aus, so Wafaa, und verlange Schmiergeld oder von Frauen auch sexuelle Verfügbarkeit. Wafaas Berichte sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die nicht müde werden, vor einer „orientalischen Händlermentalität“ zu warnen.

„Menschliche Würde, gelassene Umgangsformen und ein simples Leben habe ich nur in Deutschland kennengelernt“, sagt Wafaa. Über das Goethe-Institut habe sie von August bis Oktober 2013 gemeinsam mit zehn anderen arabischen Journalisten an einer Schulung in Berlin und München teilgenommen. „Das war großartig – und ohne jeden Hintergedanken“, berichtet die junge Ägypterin, die mittlerweile nach blutgetränkten Erlebnissen auf dem Tahrir-Platz die Orte des Protestaufruhrs lieber meidet.

Wafaa denkt an ihren Berufskollegen Hussein Abu Dief, der Ende 2012 bei den Zusammenstößen zwischen „Demokratie-Aktivisten“ und Moslembrüdern erschossen worden ist. Er wurde nur dreißig Jahre alt. Aufgrund einer fehlenden Mitgliedschaft in den offiziellen Institutionen habe er nicht als Journalist gegolten – und der Familie stehen somit keinerlei Versorgungsansprüche zu.

So drängt sich im Gespräch dann doch die Frage auf, ob es um die Pressefreiheit zumindest in den letzten Jahren der Mubarak-Ära nicht besser bestellt gewesen war: Immerhin galt Ägypten insbesondere nach den Medienprivatisierungen im Jahr 2000 mit Abstand als jenes arabische Land mit der vielfältigsten Presselandschaft. Wenn der Staat durchgriff, dann gegen führende Redakteure.

Medienarbeit ist stets ein Politikum

Wafaa möchte dies nicht so stehenlassen – zu sehr hängen ihre Emotionen an der Hoffnung auf Wandel in Richtung zivilisierter Umgangsformen am Nil. „Es gab zu viel Staatswillkür unter Mubarak und keine Kulturförderung“, meint sie. Die zahlreichen Polit-Straßengraffiti seien nun dagegen Ausdruck einer freieren Kulturszene. Gefragt, wie offen sie jetzt im dritten Jahr der Revolution mit ihrer Berichterstattung verfahren könne, antwortet Wafaa: „Achtzig Prozent Manipulation und zwanzig Prozent frei.“

Daß in Zeiten des Krieges zwischen Armee und politischem Islam von Fernsehen und Zeitungen keine Objektivität zu erwarten ist, soll nicht weiter verwundern. Die Karikaturen, die derzeit unter dem Motto „Kampf gegen den Terror“ veröffentlicht werden, könnten in Deutschland „politkorrekten“ Anstoß erregen: Ein Moslembruder, dargestellt als häßlicher Gnom, der von der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton an die Hand genommen wird. Oder „die Bombe im Kopf“ als Ursache für die islamisch motivierte Gewalt. Bemerkenswert ist jedoch die mangelnde Qualität, selbst in Regierungsorganen.

Befremdliche Erlebnisse auch in Berlin

In einer Ausgabe der nationalen Al Ahram wird ausgeführt, wie sich die Beschäftigung von Journalisten im Land aufteilt: 70 Prozent arbeiteten als Angestellte der Privatwirtschaft, 22 Prozent in Regierungstätigkeiten und 10,5 Prozent als Selbständige – zusammengerechnet ergibt die Statistik mehr als 100 Prozent und hinterläßt einen stirnrunzelnden Leser. Auch die Darlegung, die 20.000 Mitarbeiter des „administrativen Systems“ würden 54 Milliarden ägyptische Pfund (ca. 5,7 Milliarden Euro) verdienen, läßt ihren Wert vermissen, wenn kein Zeitintervall benannt wird.

Bevor das Gespräch mit Wafaa zu Ende geht, fällt ihr dann doch noch ein unschönes Erlebnis aus Deutschland ein: „Als ich das Demonstrationslager der Flüchtlinge in Berlin-Kreuzberg am Oranienplatz besuchte, dachte ich, nicht mehr in Europa zu sein.“ Drohungen und Geldabschneiderei habe sie erleben müssen – und „mangelnde Ehrlichkeit“ der Betroffenen. Einen von ihnen habe sie dank ihrer Sprachkenntnisse als Kriminalitätsflüchtling ausgemacht. Doch mit den deutschen Medienvertretern sei das nicht zu thematisieren gewesen. „Ich hatte keine Beweise“, so Wafaa.

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