© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Phobie gegen den Westen
Studie des Wissenschaftszentrums Berlin: Alarmierende Zahlen zu Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit unter Moslems in Westeuropa
Christian Schreiber

Der Soziologe Ruud Koopmans hat ein heißes Eisen angefaßt. Der Niederländer hat für die Abteilung Migration des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) eine Studie unter dem Titel „Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit – Muslime und Christen im europäischen Vergleich“ erstellt, die kürzlich in Berlin vorgestellt wurde. Koopmans sprach bei der Präsentation von einem Erstarken des Fundamentalismus unter Moslems, besonders in Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Österreich sowie – wenn auch in geringerem Maße – in Deutschland und Schweden. In diesen sechs Ländern hat er mit seinem Team die Untersuchungen durchgeführt.

Demnach gaben 65 Prozent der befragten Moslems an, religiöse Regeln seien wichtiger als weltliche Gesetze. 75 Prozent meinten, es könne nur eine Auslegung des Korans geben. Verschiedene Studien hätten zudem gezeigt, daß sich moslemische Einwanderer häufiger als die Mehrheit der Bevölkerung als religiös definieren, sich stärker mit ihrer Religion identifizieren, daß sie religiöse Praktiken wie das Gebet oder den Besuch der Moschee öfter ausüben und religiöse Vorschriften wie „Halal“-Speisen oder das Tragen eines Kopftuchs häufiger einhalten.

Feindselig gegenüber Homosexuellen und Juden

Interessant ist die Studie vor allem auch deshalb, weil sie neben dem islamischen auch den christlichen Fundamentalismus analysiert. Hier fanden allerdings nur 13 Prozent religiöse Regeln wichtiger als weltliche, und 17 Prozent meinten, es gebe nur eine wahre Bibel-Auslegung. Demnach wäre der Fundamentalismus im islamischen Milieu mehr als viermal so groß.

Entgegen der Annahme, daß der Fundamentalismus eine Reaktion auf eine mögliche Ausgrenzung durch das Gastland ist, stellt die Studie den niedrigsten Grad an Fundamentalismus in Deutschland fest, wo der Islam bisher nicht gleichberechtigt mit christlichen Glaubensrichtungen als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt wurde und Moslems auch sonst weniger religiöse Rechte genießen als in den anderen fünf Ländern. Dies bedeutet im Umkehrschluß, daß eine Anerkennung des Islam nicht gleichzeitig zu einem Rückgang extremistischer Bestrebungen führt.

Dabei sind selbst unter deutschen Moslems fundamentalistische Ansichten weit verbreitet: So stimmten 2007 in der Studie „Muslime in Deutschland“ 47 Prozent der befragten Moslems der Aussage zu, das Befolgen der Regeln der eigenen Religion sei wichtiger als die Demokratie. Laut aktueller WZB-Studie meinen gar 65 Prozent der Moslems, daß die Regeln des Koran wichtiger seien als die deutschen Gesetze.

Ein weiterer bemerkenswerter Befund der Studie ist, daß religiöser Fundamentalismus unter Moslems sehr viel ausgeprägter ist als unter einheimischen Christen.

Nach Koopmans Erkenntnissen wären demnach weniger als vier Prozent der christlichen Bevölkerung als konsistente Fundamentalisten zu bezeichnen. Die starke Tendenz zu religiösem Fundamentalismus unter Europas Muslimen ist für Koopmans alarmierend. „Fundamentalismus ist keine unschuldige Form strenger Religiosität“, erklärt der Soziologe. „Unsere Untersuchung zeigt vielmehr, daß Menschen mit fundamentalistischer Haltung gleichzeitig Gruppen, die von ihrem Standard abweichen – wie Homosexuellen oder Juden –, feindselig gegenüberstehen.“

Ein Grund zur Sorge sei zudem die Tatsache, daß fundamentalistische Haltungen unter jungen Moslems ebenso weit verbreitet sind wie unter älteren, während sie bei jungen Christen sehr viel seltener anzutreffen sind als bei älteren Christen. Die Studie weist allerdings auch darauf hin, daß die Feindseligkeit gegenüber sogenannten Fremdgruppen unter einheimischen Christen keineswegs zu vernachlässigen sei. Immerhin neun Prozent seien offen antisemitisch und würden der Aussage zustimmen, daß man Juden nicht trauen könne. In Deutschland sei dieser Prozentsatz sogar noch höher ( elfProzent). Ähnlich viele lehnen demnach Homosexuelle als Freunde ab (durchschnittlich 13 Prozent in allen Ländern, zehn Prozent in Deutschland).

Doch der Grad der Fremdgruppenfeindlichkeit unter europäischen Moslems ist weitaus höher. Fast 60 Prozent lehnen Homosexuelle als Freunde ab, und 45 Prozent denken, daß man Juden nicht trauen könne. Während etwa jeder fünfte Einheimische als islamfeindlich gelten kann, ist das Ausmaß der Phobie gegen den Westen – Koopmans nennt sie „Abendlandphobie“ – unter Moslems viel höher. 55 Prozent glauben, daß der Westen den Islam zerstören will. Dagegen ist nur ein Viertel der befragten Christen der Ansicht, der Islam führe die Zerstörung des Christentums im Schilde.

Besonders ausgeprägt sei der islamische Fundamentalismus unter in Europa lebenden Türken, was Koopmans zu der Schlußfolgerung veranlaßt, „daß diese Befunde ganz klar der oft gehörten Behauptung widersprechen, daß islamischer religiöser Fundamentalismus in Westeuropa ein Randphänomen ist oder sein Ausmaß sich nicht vom Fundamentalismus unter Christen unterscheidet“.

Gleichzeitig warnt der Soziologe vor der Schlußfolgerung, daß jeder Mensch mit einer fundamentalistischen Einstellung auch gewaltbereit sei. Aber es sei zweifelsohne wahrscheinlich, daß diese Ansichten einen guten Nährboden für eine weitere Radikalisierung bieten würden.

Foto: Zwei Welten treffen am Strand von Knokke-Heist in Westflandern aufeinander: Für die große Mehrheit der Moslems in Westeuropa sind religiöse Regeln wichtiger als säkulare Gesetze

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