© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Dunkle Flecken auf der weißen Weste
Türkei: Korruptionsvorwürfe und Machtkämpfe in der eigenen Partei setzen Erdoğan unter Druck
Günther Deschner

Es kriselt in der Türkei – und es sieht nicht gut aus für den „starken Mann von Ankara. Seit drei Wochen, ausgerechnet an der Schwelle des für den türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan wichtigen Wahljahrs 2014 (mit Kommunalwahlen im März und der Präsidentschaftswahl im August) wird die Türkei von Skandalen und politischen Machtkämpfen erschüttert. Immer mehr zieht sie auch Erdoğans Familie und den Regierungschef selbst in ihren Sog.

Es begann Mitte Dezember mit der Aufdeckung eines der größten Korruptionsskandale, den die türkische Republik bislang erlebte: Die juristisch-polizeilichen Ermittlungen vor den Razzien dauerten über ein Jahr lang an, ohne daß die Regierung davon Kenntnis erlangt hatte. In der Hauptsache ging es darum, ob die halbstaatliche Halkbank gegen Schmiergeldzahlungen Wirtschaftssanktionen gegen den Iran durch illegale Goldgeschäfte unterlaufen hat. Außerdem wird untersucht, ob die Umwidmung von Naturschutzgebieten in Bauland und illegale Baugenehmigungen infolge von Korruption erteilt worden sind.

Bei Razzien in Istanbul und Ankara wurden mehr als 50 Verdächtige festgenommen, darunter drei Ministersöhne. Sie und andere Festgenommene gehören zum Umfeld von Erdoğans Regierungspartei AKP. Dutzende Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft, darunter auch der Direktor der Halkbank, Süleyman Aslan.

Mehrere Minister traten zurück, einige forderten Erdoğan auf, es ihnen gleichzutun. Weitere wurden vom Regierungschef selbst entlassen, zehn der 26 Kabinettsposten wurden neu besetzt. Mindestens sechs Parlamentsabgeordnete der AKP sind aus ihrer Partei ausgetreten. Auf Weisung des Premiers wurden auch 500 mit den Korruptionsermittlungen befaßte Polizisten des Amtes enthoben.

Auch Erdoğans eigene Familie ist in den Fokus der Ermittler geraten – allen voran sein jüngerer Sohn Necmettin Bilal. Er soll öffentlichen Grundbesitz in Istanbuls Innenstadt statt für den Marktwert von einer Milliarde Dollar für weniger als 500 Millionen erhalten und dafür einige Millionen Dollar Schmiergeld gezahlt haben.

Eigentlich war Bilal von der Istanbuler Staatsanwaltschaft einbestellt worden, die von der Regierung neu eingesetzte Polizeiführung hat sich der Anweisung allerdings widersetzt, ihn vorzuführen. Bekannt wurde jedoch, daß Erdoğans ältester Sohn, Burak, sechs Containerschiffe besitzt, und Bilal – gemeinsam mit einem Onkel – ein Bauunternehmen und eine Reederei sein eigen nennt. Woher der Grundstock für das Vermögen kam, darüber gibt es nur Spekulationen.

Regierungspartei AKP leidet unter Ansehensverlust

„Der Machtkampf schwächt Erdoğan und seine Partei schon jetzt“, urteilt Günter Seufert, Türkei-Experte der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik. Gerade durch die Aufdeckung der Korruptionsfälle aus dem familiären Umfeld von Ministern habe das Ansehen der AKP-Regierung bei den Wählern gelitten. Hatte Erdogan seine AKP nicht gerne als die Partei dargestellt, die niemals korrupt sein würde?

In der Tat wird Regierungschef Erdoğan immer nervöser. So verstieg er sich am vergangenen Wochenende in einer im Fernsehen übertragenen Rede, der Justiz seines Landes eine „Verschwörung gegen die Regierung“ vorzuwerfen, „einen richterlichen Putschversuch“, „einen versuchten Mordanschlag auf den Volkswillen, der auf die Zukunft, die Stabilität unseres Landes zielt“.

Auch „ausländische Diplomaten“, selbst der US-Botschafter in Ankara, werden für ein „Komplott“ gegen Erdoğan verantwortlich gemacht, und nicht näher bezeichnete „innere Kräfte“, angeblich unterstützt vor allem von der Bewegung seines politischen Rivalen, dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen (JF 35/13).

Gülen hatte die Türkei Ende der neunziger Jahre verlassen, nachdem ihn die Staatsanwaltschaft bezichtigte, einen islamistischen Umsturz vorzubereiten. Seine Anhänger haben Schulen gegründet, eine Bank, Kliniken – und Medienhäuser, in 140 Ländern der Welt.

Die Tageszeitung Zaman, Gülens wichtigstes Medium, schoß immer wieder gegen die Regierung und prangerte etwa Erdoğans „aggressive Rhetorik“ oder sein „autoritäres Auftreten“ an.

Doch Gülens Haupttätigkeitsfeld liegt im Bereich der Bildung, „temsil“, das „beispielhafte Auftreten“, sein Lockmittel: höflich, respektvoll, bescheiden; nicht mit dem Koran in der Hand, nicht laut und zornig wie Erdoğan.

Die Gülen-Bewegung gilt als besonders einflußreich in Justiz und Polizei. Sie steht oder stand eigentlich Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung nahe, doch der Regierungschef brachte die Bewegung mit der Ankündigung gegen sich auf, Hunderte ihrer privaten Schulen, ihre Kaderschmieden, zu schließen. Daß Erdoğan seit geraumer Zeit den Einfluß der Bewegung zurückzudrängen versucht, wird auch von Medienberichten bestätigt, denen zufolge Hunderte Polizeichefs zwangsversetzt worden sind, die der Gülen-Bewegung angehören sollen.

Auch im inneren AKP-Gefüge knirscht es vernehmlich. Schon seit der Wahl von 2011 hatte sich Erdogan vorgenommen, die Verfassung zu ändern und die Kompetenzen des Staatspräsidenten auszubauen, um bei der ersten Direktwahl des Präsidenten, die jetzt im kommenden August stattfinden soll, Nachfolger des in einem halben Jahr aus dem Amt scheidenden Abdullah Gül zu werden. Gül stammt zwar aus dem Erdoğan-Lager, vertritt aber liberalere Positionen und soll Gülen nahestehen. Bei der Präsidentenwahl könnte er zu einem direkten Konkurrenten Erdoğans werden, der Staatschef werden will.

Immer deutlicher zeichnet sich damit auch ein Machtkampf innerhalb der AKP ab. Als mögliche Nachfolger Erdoğans im Amt des Premierministers werden vor allem drei Politiker genannt: der im Volk beliebte Noch-Staatspräsident Gül, der ein Garant für die Fortsetzung einer Politik der Reformen wäre; der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arınç, der so wie Gül ebenfalls die einflußreiche Gülen-Bewegung hinter sich hat, und der derzeit stellvertretende Premier Ali Babacan, der das Vertrauen der Wirtschaft besitzt. Erdoğan bliebe dann kaum etwas anderes übrig, als eine neue, eigene Partei zu gründen oder sich aus der Politik zurückzuziehen.

Foto: Recep T. Erdoğan spricht im türkischen Parlament: In die Ecke getrieben, kritisiert der Premier Umsturzversuche und droht „Verschwörern“

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