© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

„Sie wollen die Welt erobern“
Der Schriftsteller Boualem Sansal zählt zu den führenden Intellektuellen der arabischen Welt. Der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels will mit seinem Buch „Allahs Narren“ Europa aufrütteln, das die Gefahr der schleichenden Islamisierung fatal unterschätze.
Moritz Schwarz / Christian Dorn

Herr Sansal, unterschätzen wir den Islamismus tatsächlich?

Sansal: In Deutschland weiß man in Wirklichkeit wenig über den Islam. Euer Interesse daran hat erst mit der Zuspitzung des Terrors zugenommen. Dabei würde Deutschland gerne die Dinge weiter nur als Zuschauer, wie mit einem Fernrohr betrachten, das geht aber nicht.

Warum nicht?

Sansal: Weil sich mittlerweile auch die Muslime in Ihrem Land organisieren und es ist notwendig, darauf eine Antwort zu geben. An dieser Antwort wird sich zeigen, ob Ihr Europäer den Islam wirklich verstanden habt.

Deshalb Ihr Buch „Allahs Narren“, das Sie, wie Sie betonten, nicht für Algerien, sondern für Europa geschrieben haben.

Sansal: Ja, ich habe auf mein eigenes Land geschaut, wo vor einigen Jahrzehnten die ersten islamistischen Zellen entstanden sind und das heute zerstört ist. Die Wirtschaft ist ruiniert, zigtausende von Getöteten liegen in seiner Erde verscharrt, Chaos regiert.

Was hat das mit Europa zu tun?

Sansal: „Allahs Narren“ soll analysieren, wie wir Algerier unser Land verloren haben – damit Ihr Europäer daraus lernt, unsere Fehler nicht wiederholt und dem gleichen Schicksal anheimfallt. Denn ihr glaubt, Algerien ist weit weg und habe nichts mit Euch zu tun. Aber was uns gestern geschehen ist, kann euch morgen passieren.

Was genau ist in Ihrem Land passiert?

Sansal: Ihr glaubt, Algieren ist ein islamisches Land, also sei es nicht verwunderlich, wenn dort Islamisten großen Einfluß haben. Nein! Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es dort so gut wie keine Islamisten: Es war vielleicht ein Prozent, sie waren gar nicht wahrzunehmen. Keiner machte sich Gedanken über sie. Und die, die es taten, gingen meist davon aus, daß der kleine Rest im Zuge der Modernisierung von alleine verschwinden würde. Wie gründlich haben wir uns geirrt! Heute haben die Islamisten in Algerien etwa vierzig Prozent – sie haben unser Land quasi erobert! Und in der ganzen Welt verfügen sie über finanzielle Netze, Banken, Öl – sie sind mächtig geworden und sie wollen die Welt erobern. Sie haben bei uns, in den arabischen Ländern, damit begonnen, aber nun unternehmen sie alles, um die islamistische Revolution zu exportieren. Und sie kämpfen nicht nur gegen Regierungen, sondern gegen jede andere Religion, Zivilsation und Kultur. Ein neues Kalifat soll entstehen, ein perfekter islamischer Staat, in dem kein Platz für Abtrünnige ist. Und das nicht nur im islamischen Raum, das ist nur der erste Schritt – ihr Ziel ist es, den ganzen Planeten zu islamisieren.

Den ganzen Planeten?

Sansal: Glauben Sie mir.

Wenn sie so gefährlich sind, warum nennen Sie sie dann „Allahs Narren“? Narren sind lächerlich, keine Bedrohung.

Sansal: Oh, gerade das ist das Gefährliche an ihnen. Hinter dem Anschein der Gewalt und Geistesverwirrtheit steckt eine Strategie. Als Algerien 1962 unabhängig wurde, schien unser Land unaufhaltsam in die Moderne aufzubrechen. Algier war damals die Hauptstadt der Fortschrittsgläubigen, das Mekka der Revolutionäre: Guevara, Castro, Nasser, Mandela, Malcolm X, Carlos, die Kämpfer der IRA, der ETA, der korsischen FLNC, alles was sich als fortschrittlich verstand, war da! Und wir waren so sehr mit unseren fortschrittlichen Aktionen beschäftigt, daß wir kaum bemerkten, als „sie“ plötzlich auftauchten – diese Gestalten in folkloristischer Tracht und von beflissener Frömmigkeit. Sie boten ein ungewohntes Schauspiel mit ihren Predigten voller Süßlichkeit und Donnerhall zugleich. Wie Magier aus dem Orient wirkten sie im revolutionären, von Fortschrittseuphorie beseelten und bis ins Mark materialistischen Algier.

Sie haben sie unterschätzt?

Sansal: Ja, sie erschienen uns närrisch, antiquiert. So empfingen wir sie freundlich, amüsierten uns wohl über sie. Und sie gaben sich ja auch diskret. Zudem waren sie mehrheitlich arme Verfolgte – Moslembrüder, die in ihren Heimatländern brutal unterdrückt wurden. So bemerkten wir die Woge der Frömmigkeit nicht, die über uns schwappte. Wir nahmen diese altertümlichen, mysteriösen Fremden lediglich zur Kenntnis.

Sie wollen damit eine Parallele zu Europa ziehen, wo der Islam ebenfalls oft als liebenswürdiges, traditionelles Relikt in einer überlegenen Moderne betrachtet wird?

Sansal: Parallelen müssen Sie schon selbst ziehen. Ich schildere nur, was uns geschehen ist. Irgendwann, Jahre später entdeckten wir, daß dieser fundamentale Isalm, so rückständig und unterlegen er uns erschienen war, sich über ein Netz von Moscheen überall ausgebreitet hatte.

Warum fand der Islamismus so viel Anklang, wenn Algerien doch so modern war?

Sansal: Eine gute Frage. Vor allem der Jugend hatte er es angetan, die sich von der engen, perspektivlosen Welt, die der herrschende bürokratische Sozialismus in Aussicht stellte, längst abgewandt hatte.

Aus europäischer Sicht interessant ist Ihre Schilderung, wie die Strategie der Integration, also der Versuch dem Islamismus entgegenzukommen, diesen nicht etwa neutralisierte, sondern nur weiter wachsen ließ.

Sansal: Ja, denn bald präsentierten die Islamisten eine Liste an sozialen und kulturellen Forderungen, die immer länger wurde und aus der Vielzahl ihrer Ver- und Gebote bestand und die sich unsere verunsicherte Regierung mit empörender Eilfertigkeit mehr und mehr zu eigen machte. Eine Strategie, die das Land mehr und mehr in einen Zustand mentaler Rückschrittlichkeit abgleiten ließ.

Entgegenkommen ist die falsche Antwort?

Sanasl: Ja, in Europa schaut man bislang vor allem einfach zu. Doch inzwischen ist der Islamismus auch in London, Paris und Berlin angekommen. Deutschland hat den Vorteil, daß seine Muslime vor allem Türken sind und die Türkei im Vergleich zu anderen islamischen Staaten ein sehr entwickeltes Land ist. Der türkische Islam ist vergleichsweise moderat. Frankreich reagiert strenger, da es eher versucht, seinen Laizismus durchzusetzen. England dagegen reagierte eher multikulturell. Folge war, daß die Muslime vor allem hierher strömten. Das schien lange kein Problem zu sein – bis zu den Anschlägen von New York und London.

Aber wirkt der Westen auf die Mehrheit der Muslime hierzulande nicht domestizierend, so daß sie sich für den Kampf gegen den Islamismus gewinnen lassen?

Sansal: Täuschen Sie sich nicht darüber, daß sogar die in Europa lebenden Muslime in großer Zahl in ihrer Heimat die Islamisten wählen. Zudem gehen gemäßigte Muslime meist nicht nur deshalb nicht gegen den Islamismus vor, weil das gefährlich ist, sondern weil er quer durch ihre Familien geht: Gegen ihn anzugehen hieße, gegen Familie, Brüder, Nachbarn, Freunde vorzugehen.

Aber ist der Islamismus wirklich so erfolgreich? In Ägypten ist Mohammed Mursi unlängst mit Pauken und Trompeten gescheitert, jetzt steht er vor Gericht.

Sansal: Sie haben in Ägypten eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg. Das hört nicht auf. Warten Sie es ab. Wenn Mursi wirklich verurteilt wird, wird es knallen.

Das bedeutet?

Sansal: Dann steht Ägypten vor einem Bürgerkrieg: Eine Verurteilung werden die Muslimbrüder niemals akzeptieren!

Aber der Westen hat doch sowohl die Taliban wie auch Osama Bin Ladens al-Qaida erfolgreich in die Defensive gedrängt.

Sansal: Militärisch mag der radikale Islam besiegt sein, aber er erneuert sich unaufhörlich, paßt sich den veränderten Umständen an. Heute ist er in der Bevölkerung fest verwurzelt und breitet sich neuerlich aus. Und trotz all der Untaten der Islamisten werden die muslimischen Völker nicht müde, die Islamisten weiter zu wählen – so geschehen in der Türkei, Afganhistan, Algerien, Tunesien, Marokko, Ägypten. Und andernorts sind sie bereits so dominant, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sie dort auch in der Regierung sitzen. Der Westen hat stets jene arabischen Regierungen unterstützt, die den Islamismus mit Waffengewalt bekämpften. Aber das hat ihn letztlich nur gestärkt.

Aber ist denn eine „Islamisierung des ganzen Planten“ nicht völlig unrealistisch?

Sansal: Heute dominiert der Islamismus in über zwanzig Staaten, die zusammen mehrere Hundertmillionenen Einwohner zählen. Russen, Brasilianer, Südafrikaner, Chinesen etc. haben keine oder kaum historische Beziehung zu ihm und werden problemlos mit ihm zusammenarbeiten und ihn mit dem belieferen, was er braucht. Ich fürchte, daß sein Aktionsspielraum in Zukunft vermutlich eher noch wachsen wird.

Da die militärische Strategie gescheitert ist, ist doch nachvollziehbar, daß der Westen auf Wandel durch Annäherung setzt.

Sansal: Mag sein, aber die Demokratie nach westlichem Modell erfordert eine Ideenrevolution, die im Islam bisher nicht durchführbar war, da sie im eklatanten Widerspruch zu dessen grundlegenden Gesetzen stand. Im muslimischen Universum gab es in 14 Jahrhunderten keinen einzigen der europäischen Aufklärung vergleichbaren erfolgreichen Ansatz einer geistesgeschichtlichen Revolution. Heute hat der Islamismus zwei Strategien, neben der mit dem Terror verquickten militärischen, die des sehr langsamen Vordringens – die auch beinhaltet, sich eventuell zweitweise wieder zurückzuziehen und abzuwarten. Unter der Maske des gemäßigten Islamismus steckt aber immer noch der radikale Islamismus, der stets auf mehrere Pferde setzt. Bei uns hat er die demokratische Stoßrichtung des Arabischen Frühlings geschickt unterwandert – und bei Ihnen bedient er sich subtil und gekonnt demokratischer Mittel bei seinem Angriff auf Ihre Demokratie.

Allerdings hat der Islam gemäß der Religionsfreiheit doch ein Recht zu missionieren. Was ist aus Ihrer Sicht gegen eine friedliche Ausbreitung des Islam einzuwenden?

Sansal: Ich antworte: Es kommt auf die Europäer an – ob sie das als Problem ansehen.

Sie selbst sehen kein Problem?

Sansal: Doch, wenn der Islam sich ausbreitet, applaudieren die Islamisten. Und als in Algerien die Islamisten schließlich an der Macht waren, haben sie alle möglichen Leute umgebracht.

Allerdings hat der Isalm eine ehrwürdige Tradition und reiche Kultur. Reduzieren Sie ihn nicht auf den islamistischen Aspekt?

Sansal: Sicher, man darf Islam und Islamismus nicht verwechseln. Natürlich ist der Islam an sich eine Religion wie jede andere. Und auch andere Religionen haben abscheuliche Dinge getan. Aber der Islam ist für den Glauben, nicht für die Politik gemacht. Der Islamismus aber nützt den Islam eben, um Politik zu machen. Und wenn Ihr Europäer einverstanden seid, künftig zu leben wie unter den Taliban – dann ist der gegenwärtige Prozeß auf Eurem Kontinent sicher kein Problem. Ich wünsche viel Spaß!

Wer als Deutscher hierzulande solche Kritik übt, wird schnell als „Islamhasser“ oder als „Rassist“ beschimpft.

Sansal: Ja, das ist ein Problem. Dieser Vorwurf der Islamfeindlichkeit, den man sich in Europa rasch einhandelt, entsteht auch deshalb, weil man sich des Problems des Islamismus nicht ausreichend bewußt ist. Es ist schwierig, diese Angst zu überwinden. Aber die Gefahren die drohen, wenn Euch Europäern das nicht gelingt, sind noch viel größer.

Welche Lösung schlagen Sie vor?

Sansal: Im Westen habt Ihr die Frage, wie dem Islamismus zu begegnen ist, zu einem Fall für Experten und Sicherheitsdienste gemacht, zu einer Debatte unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Dabei handelt es sich doch um eine Frage des öffentlichen Interesses! Wer aber ein soziales Problem allein Experten überläßt, wird mir aller Wahrscheinlichkeit erleben, daß es sich zuspitzt und potenziert. Ich sage: Verscheucht die Schatten! Wagt endlich, die Debatte offen zu führen!

 

Boualem Sansal: Erhielt 2011 in Frankfurt am Main den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 2012 wurde er in die Jury der Berlinale berufen. Geboren 1949 in Algerien, studierte er zunächst Ingenieurwesen und wurde in Volkswirtschaftslehre promoviert. 1992 berief ihn das algerische Handelsministerium zum Berater, 1996 ernannte man ihn zum Generaldirektor im Ministerium für Industrie. 1999 veröffentlichte Sansal seinen ersten Roman „Der Schwur der Barbaren“, für den er vor allem in Frankreich gefeiert wurde und zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Der Titel sollte nach einem Drehbuch von Jorge Semprún auch verfilmt werden, was die algerische Regierung allerdings zu verhindern wußte. Wegen seiner Kritik an den algerischen Zuständen wurde Sansal schließlich entlassen, seitdem arbeitet er als Schriftsteller. Alle seine Romane sind bei Merlin auch auf Deutsch erschienen, zuletzt „Das Dorf des Deutschen“ (2010), „Rue Darwin“ (2012) und nun der Essay-Band „Allahs Narren. Wie der Islamismus die Welt erobert“.

www.boualem-sansal.de

 

Autor Sansal: „Ich habe mein Buch geschrieben, damit Europa daraus lernt, unsere Fehler nicht wiederholt und dem gleichen Schicksal anheimfällt. Was uns gestern geschehen ist, kann Euch morgen passieren.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen