© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Eine Armutskrankheit kehrt nach Europa zurück
Die Tuberkulose-Forschung sucht nach einem neuen Impfstoff / Einschleppung resistenter Erreger aus Afrika und Asien
Dirk Hamacher

Das Personal in Thomas Manns „Zauberberg“ besteht aus reichen Leuten, die in einem Davoser Sanatorium ihre lebensbedrohliche Schwindsucht auskurieren. Wer die Tuberkulose (TB) nur aus diesem Epos von 1924 kennt, dürfte sich wundern, wenn der renommierte Immunologe Stefan Kaufmann sie als „Armutskrankheit“ definiert. Tatsächlich sind Manns Romanfiguren wenig repräsentativ. TB breitete sich im Industriezeitalter eher in den Elendsquartieren zwischen London und St. Petersburg aus. Um 1900, als es Robert Koch gerade gelungen war, die TB-Bakterien zu identifizieren, starb jeder dritte Schwindsuchtpatient an dieser Krankheit.

Erst mit wachsendem Wohlstand und verbesserten hygienischen Verhältnissen ging TB in den fünfziger Jahren kontinuierlich zurück. Nach 1990 wurden in Deutschland nur noch 4.000 Fälle jährlich gemeldet. Die Impfung von Säuglingen endete in Westdeutschland bereits 1970, während sie in der DDR bis zur „Wende“ praktiziert wurde. Für Kaufmann, der die Abteilung Immunologie am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie leitet, ist dieser markante Rückgang kein Grund, den Tuberkelbazillus als medizinhistorisches Phänomen zu betrachten. In Afrika und Asien sei TB eine äußerst virulente Bedrohung. Indien und China hätten ein „riesiges Tuberkuloseproblem“.

Seit den 1990ern kehre die Krankheit aus dem Osten nach Europa zurück. Mit der Sowjetunion sei auch deren Gesundheitssystem kollabiert, so daß sich der Erreger inzwischen in ganz Osteuropa ausgebreitet habe, wie Kaufmann gegenüber der Wissenschaftsjournalistin Catarina Pietschmann warnt (Max-Planck-Forschung, 3/13). Die überfüllten russischen Gefängnisse, wo jeder Zehnte unter hochansteckender offener TB leide, gehörten zu den gefährlichsten „Brutstätten“. Das Hauptforschungsfeld für Kaufmann und seine Kollegen liegt jedoch in Südafrika, wo sich der Erreger wie ein Buschfeuer verbreitete. Daß im südlichen Afrika Millionen an HIV laborieren, steigert das „Wohlfühlambiente“ für die Tuberkelbazillen. HIV habe das Mycobacterium tuberculosis „förmlich im Schlepptau“. Da der Erreger jahrelang im Körper schlummern könne, werde er aktiv, wenn die Immunabwehr „an anderen Fronten kämpfen müsse“ – gegen HIV oder andere Infekte.

Zwei Milliarden Menschen gelten als infiziert, bei 200 Millionen werde die Krankheit auch ausbrechen. Dagegen stehe nur ein 100 Jahre alter Impfstoff zur Verfügung, der kaum schütze, sowie Antibiotika, die gegen zunehmend resistente Bakterienstämme nicht wirken. 50 Millionen Menschen in 85 Staaten seien mit multiresistenten Keimen infiziert. In Italien, dem favorisierten Ansteuerungspunkt afrikanischer Wirtschaftsflüchtlinge, seien, wie in Südafrika, Indien und im Iran, „sogar schon total resistente Erreger aufgetreten“.

Kaufmanns vordringlichstes Forschungsziel ist daher ein neuer Impfstoff. Der aussichtsreichste Kandidat dafür befindet sich in Südafrika in der zweiten klinischen Testphase. Unterstützt mit Bundesmitteln und vom größten Impfstoffhersteller der Welt (Serum Institute of India), setzt Kaufmanns Mannschaft dabei weniger auf Grundlagenforschung denn auf Feldstudien. Mehrere tausend Probanden aus Familien mit TB-Infizierten stehen in sieben südafrikanischen Studienzentren seit 2011 unter Beobachtung. Derzeit kostet aber eine sechsmonatige Behandlung eines mit multiresistenten Keimen infizierten Patienten, dem ein „Antibiotika-Cocktail“ verabfolgt werden muß, 50.000 Euro, ein Preis, den in Armutsregionen niemand für diese Therapie zahlen kann.

Doch selbst wenn Kaufmann bald einen neuen und günstigen Impfstoff parat hätte, beharrt der Immunologe auf der politisch-ökonomischen Dimension von Infektionskrankheiten, die sich in einer globalisierten Welt rasch zu Pandemien ausweiten. Schließlich seien nicht Wissenschaftler, sondern Gesellschaft, Politik und Industrie für den Hauptrisikofaktor der Tuberkulose verantwortlich: die Armut.

TB-Forschung von Stefan Kaufmann: www.mpiib-berlin.mpg.de

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