© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Schiefergas revolutioniert die Chemie
Utrechter Forscher untersuchen Chancen und Risiken des Fracking / Exxon Mobil appelliert an Geldbeutel
Christoph Keller

In der Stromerzeugung aus Erdgas wird im Vergleich zur Kohle rund 60 Prozent weniger CO2 emittiert“, argumentiert der US-Konzern Exxon Mobil, um für die Erdgassuche in Deutschland zu werben. Aber die Förderung aus konventionellen Lagerstätten gehe zurück. „Doch dank hochentwickelter Technologie und jahrzehntelanger Erfahrung können wir auch in Deutschland zusätzliche Vorkommen erschließen.“ Laut Bundesanstalt für Geowissenschaften warten 2,3 Billionen Kubikmeter Erdgas auf die Förderung. Dies entspricht dem 200fachen der deutschen Jahresproduktion, die ein Siebtel des Bedarfs deckt.

Aber die „hochentwickelte Technologie“, Gasreserven durch das Aufsprengen tiefer Gesteinsschichten zu erschließen, das Fracking, ist ökologisch umstritten (JF 11/13). Das mit hohem Druck eingepreßte Gemisch aus Wasser, Quarzsand und Chemikalien, das das Gestein aufbricht, um Schiefergas freizusetzen, kann Grundwasser und Böden verseuchen. Anders als im dünnbesiedelten North Dakota oder im ländlichen Pennsylvania, wo „Anti-Drilling“-Aktivisten eine einflußlose Minderheit sind, regt sich in Deutschland breiter politischer Widerstand gegen Fracking. Auch die an der Universität Utrecht forschenden Chemiker Pieter Bruijnincx und Bert Weckhuysen sehen „Anlaß zur Besorgnis“, da Studien einen Zusammenhang zwischen Methan im Grundwasser und Schiefergasförderung bestätigten (Angewandte Chemie, 125/13). Überdies erweise sich die US-Schiefergasrevolution als „direkte Bedrohung“ für Anstrengungen, die Weltwirtschaft auf erneuerbare Energien umzustellen. Denn das unkonventionelle Erdgas sei ein Energieträger, den man nur einmal verbrauchen könne. Schon jetzt habe das außerordentliche Wachstum der Schiefergasgewinnung, das die USA bis 2020 zum Nettoexporteur von Erdgas aufsteigen lasse, erheblichen Einfluß auf globale Energieströme.

Trotz der Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der Ausbeutung mitteleuropäischer Reserven böte dies auch ungeahnte Chancen, sowohl mit Blick auf die Produktion von Biokraftstoffen wie auf die Petrolchemie. Da Wasserstoff hauptsächlich aus Erdgas gewonnen werde, könnten die kommerziellen Bioraffinerien, die viel Wasserstoff bei katalytischen Pyrolyseverfahren einsetzen, erheblich geringere Kosten haben. Auch die Erzeugung von Grundstoffen der Farben- und Kunststoffchemie, die sich in den USA wegen des günstigen Erdgases seit 2008 um die Hälfte verbilligte, während die Preise in Europa um 20 Prozent stiegen, werde durch das Schiefergas revolutioniert. Es sei daher kein Wunder, daß sich US-Chemiekonzerne gegen den forcierten Export von Flüssiggas wenden, da sie den heimischen Überfluß lieber kostensparend selbst einsetzen möchten.

So lasse sich der neue Preisvorsprung der USA bei der Produktion wichtigster Grundstoffe der chemischen Industrie wahren. Diese würden künftig nicht mehr durch Vergasung, Veredlung oder Cracken teurer fossiler Rohstoffe erzeugt, sondern durch thermische, bio- und chemokatalytische Veredlung von billigem Schiefergas. Ein neues Tor zur Produktion von Massenchemikalien würde damit aufgestoßen.

Exxon Mobil zückt hingegen die soziale Karte: „Bei der heimischen Förderung bleiben rund 80 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland; somit gewinnen zuerst und am meisten die Bürger und das Bundesland, in dem gefördert wird.“

Informationsportal von Exxon Mobil: www.erdgassuche-in-deutschland.de

Foto: Fracking-Anlage in North Dakota: Bleiben wirklich 80 Prozent der Wertschöpfung im Heimatland?

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