© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Eine politische Linke gibt es nicht mehr
Westliche Wertideen: Frank Böckelmann hat ein erhellendes Buch über den „Jargon der Weltoffenheit“ vorgelegt
Thorsten Hinz

Zwischen Linken und Rechten, schreibt der Publizist Frank Böckelmann, gebe es ein „stillschweigendes Einvernehmen“. Beide glaubten an die Effizienz der politischen Aufklärung und an die Kraft der moralischen Entscheidung. Unterschiedlich seien nur die Perspektiven: Während die Linke in Deutschland ihr vermeintliches Machtmonopol zelebriere und genieße, verharre die Rechte in Depression und verbeiße sich in alte Feindbilder, allen voran in die (von ihr insgeheim beneideten) 68er.

Böckelmann, Jahrgang 1941, in Dresden geboren, aufgewachsen in Stuttgart, zählte erklärtermaßen selbst zu den „revolutionären Linken“. Er beteiligte sich in München, wo er studierte, an der „Subversiven Aktion“ mit Dieter Kunzelmann, Rudi Dutschke und Bernd Rabehl, löste sich aber bereits Anfang der siebziger Jahre von linken Gruppierungen. Von den gängigen Mythen der Zeitgeschichte und Freund-Feind-Konstellationen hält er wenig.

Sicher, der Marsch der 68er durch die Institutionen war für viele ein persönlicher Erfolg, und ihre Terminologie – Emanzipation, Gleichberechtigung, Toleranz, Vielfalt usw. –, die Böckelmann „Jargon der Weltoffenheit“ nennt, hat den öffentlichen Raum okkupiert. Dennoch sei es nicht stichhaltig, daraus die revolutionäre Kraft der Studentenbewegung und die Macht der Linken abzuleiten. Sie hätten bloß nachvollzogen beziehungsweise vorweggenommen, was die Ökonomie und die konsumorientierte Massengesellschaft ihnen diktierten. Nirgendwo hätten die ausgelaugten Institutionen echte Gegenwehr geleistet. Deren Machtlosigkeit und der moralische Furor der studentischen Attacken seien wegen der NS-Vergangenheit in Deutschland freilich ausgeprägter gewesen als in anderen Ländern.

Marxistisch gesprochen, handelt es sich um ein typisches Überbau-Phänomen. Wer sich heute „als ‘links’ tauft, kündigt an, nur noch hartnäckiger fordern zu wollen, was alle anderen ebenfalls fordern“. Auch deshalb stehe die Rechte, wo sie sich dem Trend frontal entgegenstelle, auf verlorenem Posten.

Böckelmann, der zuletzt 2008 die scharfsinnigen Bücher „Die Welt als Ort“ (JF 14/08) und „Risiko, also bin ich. Von Lust und Last des selbstbestimmten Lebens“ (2011) veröffentlicht hat, argumentiert weiträumig und bezieht sich auch auf die klugen Köpfe, die auf dem Themenfeld Rang und Namen besitzen: von Arnold Gehlen über Peter Furth, Panajotis Kondylis, Helmut Schelsky bis Karlheinz Weißmann.

Zwei Drittel des Buches nimmt der Aufsatz „Die Hegemonie der Linken?“ ein, der 2008 an entlegener Stelle (in einer in Spanien herausgegebenen Festschrift zum 65. Geburtstag von Günter Maschke) publiziert worden ist. Ein 2013 verfaßter Epilog komplettiert den Band. Böckelmann überprüft hier die wichtigsten Begriffe des aktuellen Weltoffenheits-Jargons und die mit ihnen verknüpften „Werte“.

Was zum Beispiel bedeutet „Vielfalt“? Die Konflikte jedenfalls, die sich aus unterschiedlichen nationalen und religiösen Herkünften ergeben, werden unterschlagen. Vielfalt soll aus der „Auflösung herkunftsgespeister Eigenarten“ entstehen, aus einer „Gesellschaft der Vereinzelten“; die „praktisch nichts anderes (wäre) als eine Ansammlung von Schattengestalten mit täglich, stündlich am Computer neu sortierten Vorlieben“. An diese „postmoderne Utopie“ aber, so Böckelmann, glaubten ihre Propagandisten „wohl selbst nicht“. Woran aber dann? Reduziert die Utopie sich auf den simplen Willen zur Umverteilung? So oder so sind die Aussichten ungemütlich!

Statt wütender Gegenwehr empfiehlt Böckelmann „störrische Geduld“. Denn „hinter dem Vorhang gehen einschneidende Ereignisse wie entrückte Meteoritenschauer auf den politischen Konsens nieder“. Und die scheinbar allmächtige Linke, die aus der Gegenwart moralischen und geldwerten Nutzen zieht, hat die Zukunft genausowenig in der Hand wie die machtlose Rechte.

Böckelmann hat ein erhellendes, sprachmächtiges und zum Schluß sogar tröstliches Buch verfaßt.

Frank Böckelmann: Jargon der Weltoffenheit. Was sind unsere Werte noch wert? Edi-tion Sonderwege bei Manuskriptum, Waltrop und Leipzig 2014, broschiert, 131 Seiten, 9,80 Euro

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