© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Von der Wurzel bis zur Krone
Lebensraum Regenwald: Der Dokumentarfilm „Das Geheimnis der Bäume“ von Luc Jacquet plädiert für den Schutz dieses einzigartigen Ökosystems
Claus-M. Wolfschlag

Die Urwälder der Erde sind gefährdet. Brandrodung, der Abbau von Bodenschätzen und der Siedlungsdruck lassen sie weltweit rapide schrumpfen. Es droht die Gefahr, daß wir in wenigen Jahrzehnten über keine großflächigen Primärwälder mehr verfügen. Diese düstere Aussicht hat Regisseur und Oscar-Preisträger Luc Jacquet zum Anlaß genommen, gemeinsam mit dem Biologen Francis Hallé einen Dokumentarfilm zu drehen, der die Faszination des Ökosystems Wald sinnlich nahebringen soll.

„Das Geheimnnis der Bäume“ erhielt von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) die Auszeichnung „Prädikat besonders wertvoll“. Es sei „einer der ungewöhnlichsten, spektakulärsten und klügsten Dokumentarfilme, der die gewohnten Pfade des Genres sprengt“, urteilte die Jury. Zu Recht.

Ausgangspunkt der Schilderung ist eine gerodete Waldfläche, an der die Selbstheilungskräfte der Natur verdeutlicht werden. Würde man nämlich die gerodeten Flächen unberührt lassen, so könnte sich der Urwald innerhalb weniger Jahrhunderte von selbst regenerieren. Dabei entstünde erst ein schnell wachsender Sekundärwald mit niedrigeren Bäumen, der nach einigen Jahrzehnten abstirbt und dem Neuwachstum des Primärwaldes den Boden bereitet. Jacquet zeigt das Entstehen dieses Primärwaldes, auf dessen Boden zwar wenig Licht fällt, in dessen Kronen sich aber das Leben tummelt.

„Das Geheimnis der Bäume“ verdeutlicht nicht nur die biologischen Abläufe, sondern bietet tiefe Einblicke in die unbekannte Welt des Ökosystems Wald und das Zusammenwirken zwischen Pflanze und Tier. Dabei werden dem Betrachter die Bäume als aktive Lebewesen nahegebracht, trotz ihrer scheinbaren Unbeweglichkeit. So zeigt der Streifen beispielsweise das kämpferische Wechselspiel zwischen den Passionsblumen und ihrem größten Schädling, den Raupen des Heliconius-Falters. Durch immer neue Veränderungen versucht die Pflanze den Falter zu täuschen, der wiederum mit neuen Taktiken reagiert. Die Pflanze täuscht bereits auf ihr abgelegte Eier vor oder sie verändert das Aussehen ihrer Blätter, um den Falter zu verwirren, bis dieser hinzugelernt hat. Auf diese Weise wurden durch Mutation zahlreiche neue Unterarten innerhalb nur weniger Jahrzehnte hervorgebracht.

Der Film zeigt auch das Wirken von Schlingpflanzen oder wie Bäume das Verhalten von Tieren nutzen. Eingearbeitete Animationen versinnbildlichen die Kommunikationsweise der Bäume, die vor allem über Düfte erfolgt. So locken die Pflanzen Ameisen und andere Insekten, um sich zu schützen oder den Blütenstaub zu verbreiten. Der Moabi-Baum läßt seine Früchte aus 50 Metern Höhe herabfallen, und wenn diese auf dem Boden aufschlagen, dient das als Signal für Elefanten, die von weit her kommen, um sich an ihrem Geschmack zu laben. Der Samen wird dadurch transportiert und keimt später im weit entfernt plazierten Elefantendung.

Pflanzen senden Duftsignale aus, wenn sie von Tieren massiv attackiert werden. Die Signale erreichen Artgenossen in der Umgebung, deren Blätter daraufhin toxisch für die Schädlinge werden. Die Tiere sind durch diesen Schutzmechanismus bald gezwungen, den sich auf diese Weise schützenden Ort zu verlassen, um an anderer Stelle nach pflanzlicher Nahrung zu suchen. Das System reguliert sich also von allein.

Die Dreharbeiten fanden 2012 im peruanischen Nationalpark Manú und in zwei Parks im afrikanischen Gabun statt. Francis Hallé erklärt die Spezifität dieser Lebensräume: „Gleiches Licht, gleiche Geräusche, gleiche Bäume und gleiche Luftfeuchtigkeit. Allerdings – und das ist das Paradoxe – gibt es nicht einen Baum und nicht ein Tier, das in beiden Wäldern identisch ist. Es sind die gleichen Wälder, aber alles ist unterschiedlich. Wenn sie jemandem die Augen verbinden und ihn in einen der beiden Wälder bringen, ohne daß er ein Naturforscher ist, wird es ihm sehr schwerfallen herauszufinden, ob er in Amerika oder Afrika ist.“

Die beeindruckenden Naturaufnahmen werden durch Animationen ergänzt und sind mit atmosphärischer Musik unterlegt. Das mag nicht den Geschmack jedes Dokumentarfilm-Puristen treffen, dient aber den Aussagen und der Botschaft. Der Film endet mit einem Plädoyer für den Waldschutz und einen regenerierten Urwald. Es bleibt zu hoffen, daß Einsicht Oberhand gewinnt und eine Umkehr stattfindet.

Foto: Urwald: „Einer der ungewöhnlichsten, spektakulärsten und klügsten Dokumentarfilme“ (Filmbewertung)

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