© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Die Rückkehr der Feme
Schiedsgericht ICSID: Der schwedische Staatskonzern Vattenfall verlangt wegen des deutschen Atomausstiegs eine milliardenschwere Entschädigung
Heiko Urbanzyk

Anstelle des Galgens die Schuld in Geld ablösen, geheime Prozesse und sofort vollstreckbare Urteile ohne Rechtsmittel – das waren Merkmale der westfälischen Femegerichte im Mittelalter. Im 21. Jahrhundert sind dies die Kennzeichen internationaler Schiedsgerichte in Wirtschaftsfragen. Über 3.000 Abkommen mit Investitionsschutz- oder Schiedsgerichtsklauseln gibt es weltweit, Tendenz steigend.

Was ursprünglich Firmen vor willkürlichen Enteignungen schützen sollte, verkommt zunehmend zum Hebel mächtiger Konzerne gegen demokratische Entscheidungen souveräner Staaten. Wo immer auf der Welt durch frei gewählte Parlamente im Einklang mit dem nationalen Recht ein strenges Tabakgesetz verabschiedet wird, Erdgasförderung mittels „Fracking“ (JF 11/13) verboten oder eine Minenkonzession nicht verlängert wird, zerren hochspezialisierte Anwaltskanzleien im Konzernauftrag die Staaten vor öffentlichkeitsscheue Schiedsgerichte – und siegen meistens.

Der bekannteste deutsche Fall ist der des Energieriesen Vattenfall, der im Zuge der Stromprivatisierung den Zuschlag für die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW), die Berliner Bewag und die Energiebetriebe der früheren DDR erhielt. Der schwedische Staatskonzern verklagt zur Zeit vor dem Schiedsgericht des Internationalen Zentrums für Investmentstreitigkeiten (ICSID) in Washington die Bundesrepublik Deutschland wegen des Atomausstiegsgesetzes von 2011 und des Kernbrennstoffsteuergesetz auf schätzungsweise 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz. Die im Vertrauen auf die 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung getätigten Investitionen in die Vattenfall-AKWs in Brunsbüttel und Krümmel würden dadurch wertlos. Öffentlich bekannt ist nur das Aktenzeichen ARB/12/12. Anderes bleibt geheim, solange nicht Vattenfall selbst redet. Nur das Urteil des Geheimgerichts erfährt die Öffentlichkeit. Selbst Bundestagsabgeordnete wurden vom Wirtschaftsministerium unter Verweis auf Geheimschutz nur rudimentär informiert.

Das Verfahren läuft, die Chancen für Vattenfall stehen trotz zwischenzeitlicher Prozeßunterbrechung gut. Bereits 2009 wehrte sich der Konzern in Washington erfolgreich gegen Umweltauflagen der Stadt Hamburg für das Kohlekraftwerk Moorburg. Angesichts des Streitwerts von 1,4 Milliarden Euro akzeptierte Hamburg eine „einvernehmliche Einigung“, deren Inhalt nie öffentlich wurde.

Vor dem zur Weltbankgruppe gehörenden ICSID ist die fehlende Transparenz Programm. Es geht um verdammt viel Geld für nur wenige Protagonisten. Das könnte die Geheimniskrämerei erklären. Der Bürgerverein Corporate Europe Observation (CEO) enthüllte, daß das Schiedsgericht von gerade einmal 15 Juristen dominiert wird, die für drei Viertel aller Verfahren mit Forderungen von über vier Milliarden Dollar die Entscheidungen trafen. Ein kleiner Zirkel von international tätigen Kanzleien betätigt sich mal als Kläger, mal als Verteidiger, ein anderes Mal als Schiedssprecher. Sie schreiben ihre Literaturbeiträge, sprechen die eigenen Präzedenzurteile und erweitern sich so ihre Möglichkeiten selbst. Der ehemalige Verfassungsrichter Winfried Hassemer wollte zumindest dem Verdacht solcher Mauscheleien kürzlich in einem WDR-Beitrag nicht widersprechen.

Der Gerichtsbarkeit des ICSID unterwerfen sich derzeit 143 Staaten durch völkerrechtlichen Vertrag. Bolivien, Ecuador und Venezuela sind ausgetreten. Deutschland ist an 131 Investitionsschutzabkommen gebunden, die vom ICSID geprüft werden könnten. Laut Pia Eberhardt von CEO warnen mittlerweile sogar die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) und der Internationale Währungsfonds (IWF) vor Investitionsschutzabkommen.

Dennoch droht eine Ausweitung der geheimen Schiedsgerichtsbarkeit. Das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP, JF 28/13) könnte eine Welle von Investitionsschutzklagen auslösen, mit denen beispielsweise US-Konzerne die hohen rechtlichen und demokratisch unterlegten Standards der EU-Staaten ohne Revisionsmöglichkeit einfach wegwischen könnten: Gentechnik- und Klonfleischverbote, Nichtzulassung von Medikamenten, Verweigerung von Patenten, DIN-Normen oder Einschränkungen bei der Wasserprivatisierung.

Eberhardt warnt, daß der TTIP-Vertrag ebenfalls Konzernklagerechte und neue Schiedsgerichte beinhalten werde. Daß im Gegenzug europäische Datenschutzrichtlinien oder das metrische System den US-Konzernen aufgezwungen werden, ist unwahrscheinlich. Das Umweltinstitut München startete sogar eine Unterschriftenkampagne und fordert den Abbruch der EU-Verhandlungen mit den USA. Es gelte, „zukünftige Freihandelsabkommen mit Investitionsschutz-Kapiteln wie das zwischen der EU und den USA als das zu entlarven, was sie sind: nämlich antidemokratische neoliberale Zwangsjacken“. In einem irren die bayrischen Ökoaktivisten aber: Die Schiedsgerichte sind weder neu noch freiheitlich.

ICSID-Dokumente und Schiedsordnung: www.worldbank.org

Foto: Atomkraftwerk Krümmel bei Hamburg: Streitigkeiten zwischen ausländischen Investoren und Deutschland werden in Washington entschieden

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