© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Der Volker und der Tarek
Hessen: Die einstmals konservative CDU und die Grünen sind jetzt auf du und du
Christian Schreiber

Plötzlich ging es ganz schnell. Noch vor Weihnachten war alles unter Dach und Fach. Mit Hessen wird erstmals ein bundesdeutsches Flächenland von einer Koalition aus CDU und Grünen regiert. Im Stadtstaat Hamburg hatte man es zwischen 2008 und 2010 miteinander versucht. Das Unternehmen schlug jedoch fehl. Und im Saarland probierte man zwischen 2009 und 2012 ein Jamaika-Bündnis mit der FDP, welches aber an der internen Selbstzerfleischung der Liberalen scheiterte.

Nun soll ausgerechnet in Hessen, wo die Grünen vor mehr als 30 Jahren zum erstenmal in ein Landesparlament einzogen, politisches Neuland betreten werden. Zur Belohnung bot der alte und neue Ministerpräsident Volker Bouffier seinem designierten Stellvertreter Tarek Al-Wazir von den Grünen zudem das „Du“ an. Der Deutsch-Jemenite soll Wirtschaftsminister werden. Zusätzlich erhalten die Grünen erwartungsgemäß auch noch das Umweltressort. Für die CDU hat der schwarz-grüne Versuch in Hessen Modellcharakter. Daher ist sie den Grünen auch in vielen Punkten entgegengekommen.

Das ist vor allem beim Streit um die Nutzung des Flughafens in Frankfurt deutlich geworden. Durch die abwechselnde Nutzung von Start- und Landebahnen sollen regelmäßige nächtliche Lärmpausen von sieben Stunden möglich werden. Das derzeitige Nachtflugverbot für den Rhein-Main-Airport gilt für sechs Stunden zwischen 23.00 und 5.00 Uhr. Zudem soll der Bau des geplanten und bisher in der Landespolitik heftig umstrittenen Terminals 3 auf den Prüfstand gestellt werden. Allerdings ist der Zugriff des Landes hier begrenzt, die Regierung ist auf den guten Willen von Flugsicherheit, Flughafen und Fluggesellschaften angewiesen. Experten hatten bereits im Vorfeld ihre Bedenken gegen die Pläne angemeldet.

Bemerkenswert ist außerdem, daß die neue Koalition beim Streitthema Integration in eine Richtung gehen will. Schwarz-Grün will mit einem Integrationsplan eine verbesserte Einbindung von Menschen mit ausländischen Wurzeln erreichen. Die Zeiten, in denen Bouffiers Vorgänger Roland Koch mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft Wahlen gewann, sind endgültig vorbei.

Weniger Probleme, einen gemeinsamen Nenner zu finden, hatten Bouffier und Al-Wazir beim Thema Finanzen. Sparen ist angesichts leerer Kassen angesagt: Bis 2019 soll das Haushaltsdefizit um eine Milliarde Euro gesenkt werden. Im nächsten Jahr sollen 800 Stellen im Landesdienst wegfallen, in den Jahren darauf je weitere 350. Beamtengehälter sollen ab 2016 nur noch um ein Prozent erhöht werden. Gewerkschaften und Interessenverbände haben bereits Proteste angekündigt.

In Fragen der Umweltpolitik ist die Union den Grünen erwartungsgemäß ebenfalls weit entgegengekommen. Dies betrifft nicht nur den Lärmschutz am Frankfurter Flughafen, sondern auch die Energiewende. So soll der Ökostromanteil in den kommenden fünf Jahren auf knapp 25 Prozent verdoppelt werden. Die Kommunen sollen sich zudem stärker am Ausbau erneuerbarer Energien beteiligen dürfen. Ebenso sollen weitere Windkraftanlagen gebaut werden.

Bereits Übereinstimmung bestand seit Jahren in Sachen Schulpolitik. Am Schulsystem werden daher keine großen Änderungen vorgenommen. Bestehende fünfte und sechste Gymnasialklassen dürfen aber auf Wunsch zum Abitur nach 13 Jahren (G9) zurückkehren. Das erst Anfang des Jahres eingerichtete Landesschulamt wird wieder abgeschafft, außerdem ist ein Bildungsgipfel geplant, der weitere Fragen klären soll. Grundschulkinder sollen demnach künftig bis 17.00 betreut werden.

Einen Kompromiß mußten die Grünen allerdings beim Kinderförderungsgesetz eingehen. Im Wahlkampf war die Abschaffung des Gesetzes eines der zentralen Themen der Grünen. Doch die ungeliebte Neuregelung wird wie geplant mit Jahresbeginn in Kraft treten. Es stellt die Finanzierung von Gruppen auf das einzelne Kind um. Für behinderte Kinder soll zudem der Pauschalbetrag erhöht werden. Ansonsten hat man strittige Punkte einfach vertagt und Expertenrunden für die Zukunft angekündigt. Ein Verfassungskonvent soll Vorschläge zur Aktualisierung der Landesverfassung erarbeiten, eine Regierungskommission Konsequenzen aus dem Versagen des Verfassungsschutzes beim NSU-Skandal ziehen, außerdem soll es einen regelmäßigen Integrationsgipfel geben.

Bei einem gemeinsamen Auftritt zeigten sich Bouffier und Al-Wazir sicher, „ein tragfähiges Fundament für die kommenden fünf Jahre gefunden zu haben“. Der Ministerpräsident räumte aber dann doch ein, daß das Bündnis auch für ihn eher überraschend zustande gekommen sei. „Wir hätten uns vor vier Monaten nicht vorstellen können, daß wir gemeinsam einen Koalitionsvertrag vorlegen könnten.“ Auffallend oft betonte der 62jährige die Übereinstimmungen mit dem neuen Partner: „Wir und die Grünen denken in Werten, nicht in Strukturen, wir setzen auf Freiheit und Verantwortung des Individuums.“ Bei soviel Übereinstimmung war es dann fast schon störend, daß er einräumte, daß der Landtag auch in Zukunft keine „Schmuseveranstaltung“ sein werde.

Kommentar Seite 2

Foto: Volker Bouffier (l.), Tarel Al-Wazir: Gemeinsamer Kurs in der Intergrationspolitik

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