© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Ästhetik von Licht und Schatten
Filmkunst: Zum 125. Geburtstag des Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau / Von ihm stammen „Nosferatu“, „Der letzte Mann“ und „Faust“
Wiebke Dethlefs

Von den großen Erscheinungen des Films war Friedrich Wilhelm Murnau der deutscheste. Westfale, gehemmt, streng mit sich selbst, gegen die anderen und streng in der Sache. Schroff nach außen und gütig im Innern“ – so verbreitete sich Emil Jannings über den größten Regisseur des deutschen Stummfilms. Murnau hat dessen Ausdruck wie kein anderer bereichert, seine Ästhetik von Licht und Schatten beeinflußte Generationen von Filmemachern nachdrücklich.

Als Friedrich Wilhelm Plumpe kam er am 28. Dezember 1888 in Bielefeld zur Welt. Seine frühen Ambitionen, Schauspieler zu werden, wie auch seine Homosexualität führten bald zum Bruch mit den Eltern. 1907 ging er zum Studium nach Berlin und lernte Hans Ehrenbaum-Degele kennen, mit dem er die stärkste intime Beziehung seines Lebens einging. Um 1911 änderte er seinen ihm immer verhaßten Namen in „Murnau“ – in Anlehnung an eine Begegnung mit Gabriele Münter und ihrem Künstlerkreis in der oberbayerischen Stadt – und schlug sich fortan als Theaterdarsteller durch.

Der Lebensfreund fiel schon in den ersten Kriegsmonaten, Murnau überlebte als Fliegeroffizier die Kriegsjahre unverletzt, wurde aber in der Schweiz nach einer Notlandung im Herbst 1917 interniert. Dort erfolgte seine erste Berührung mit dem Medium Film: Er stellte im Auftrag der deutschen Botschaft Kurzfilme her, doch ist über deren Inhalt nichts bekannt. Bis zu Murnaus Tod entstanden 22 Filme, acht davon aus seinem Frühwerk gelten als verschollen, darunter „Der Januskopf“, eine der ersten Adaptionen von Robert Louis Stevensons „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ mit Conrad Veidt in der Titelrolle. In den ersten Filmen ging es um psychologische Studien, Geschichten über Wahnvorstellungen und erotische Verwicklungen, doch die Handlungen lassen sich meist nicht mehr rekonstruieren.

„Der Gang in die Nacht“ von 1921 ist der erste erhaltene Film, wenigstens zu großen Teilen. In dem düster-fatalistischen Werk nimmt ein Boot eine wichtige dramaturgische Funktion ein – Murnau greift später immer wieder auf handlungsbestimmende Motive mit Schiffen zurück. Doch sind sie immer mit Unheil verbunden: das Pestschiff im „Nosferatu“, das kenternde Boot in „Sunrise“ und das Verhängnis-Kanu in „Tabu“.

„Nosferatu“ (1922) wird zum ersten großen Erfolg. Trotz seines Alters schafft es der Film mit seiner ungeheuren Suggestivkraft auch heute noch, den Zuschauer buchstäblich in Angst und Schrecken zu versetzen. Dabei reüssierte die Umsetzung von Bram Stokers „Dracula“ vielleicht nicht zufällig in jenen Jahren so sehr: Über der damaligen Gesellschaft liegen die nicht zu bewältigenden Schatten dunkler Ängste, der Instabilität – genau wie Nosferatu, der Pestträger, über der biedermeierlichen Hafenstadt Wisborg im Film.

„Nosferatu“ ist der erste in der Trias Murnaus größter Schöpfungen, gefolgt 1924 vom „Letzten Mann“, die tragische, aber glücklich endende Geschichte eines Hotelportiers (Emil Jannings). Der Film wurde ein Welterfolg, nicht zuletzt durch die „entfesselte Kamera“ Karl Freunds. Sie wurde entweder dem Kameramann an den Körper geschnallt oder an kleine Wagen und Feuerwehrleitern gebunden und erzielte damit ganz neue perspektivische Effekte.

Ebenfalls zur Trias gehört „Faust“ (1926), der Höhepunkt seines gesamten Schaffens, mit Emil Jannings als Mephisto. „So deutsch, so schön“ ruft Helma Sanders-Brahms über „Faust“ überschwenglich aus. In magischen, trotz der Schwarzweißtechnik ungemein differenzierten Tönen werden Mythen und Schrecken des Mittelalters heraufbeschworen. Mit der Verwendung von Doppelbelichtungen gelangte er freilich ans Ende der damaligen filmischen Möglichkeiten.

Murnaus Ruf war inzwischen bis nach Hollywood gedrungen, so daß er noch 1926 dorthin übersiedelte. „Sunrise“ (1927) nach Hermann Sudermanns „Reise nach Tilsit“ wurde die erste seiner amerikanischen Schöpfungen. Der Produzent William Fox räumte Mur-nau alle künstlerischen Freiheiten ein, den Film ausschließlich nach eigenen Vorstellungen zu formen. Aber seine hochartifizielle Kunst fand nur bei den Kritikern Beifall; die Einspielzahlen bedeuteten ein finanzielles Fiasko. William Fox verlor den Glauben an seinen deutschen „Einkauf“.

Mit seinem nächsten Filmprojekt „Our daily bread“, der Geschichte um ein Stadtmädel und einen Bauern , wollte Murnau eine „Symphonie des Getreides“ schaffen, eine Ode an die Natur. Querelen mit dem Produzenten, Änderungen am Drehbuch und eine Titeländerung in „City Girl“ führten dazu, daß Murnau den Vertrag mit Fox kündigte; seinen Film stellte ein Auftragsregisseur fertig. Murnau empfand sich in Hollywood als künstlerischer und geistiger Anachronismus – und floh in die Südsee, weg vom „verderbten“ Amerika in reine Natur.

Eine Legende aus Tahiti wurde Vorlage für den Film „Tabu“. Murnau plante, gleich nach Ende der Dreharbeiten nach Europa zurückzukehren. Der Film wurde Murnaus Testament. Er ist voller Schwermut und Sehnsucht nach einer idealen Welt, die aber lange verloren ist. Anfang 1931 beendete Murnau den Film, für den 18. März wurde die Premiere festgesetzt, für den 31. März hatte Murnau die Schiffskabine nach Europa gebucht. Doch am 11. März 1931 verunglückte er bei einem Autounfall nahe Santa Monica in Kaliforniens Bergen. Die Bremsen hätten versagt, hieß es. Doch Gerüchte wollten auch wissen, daß ein Priester aus Tahiti Mur-
nau nach Hollywood gefolgt sei, um ihn zu bestrafen, da er auf Tahiti in einem verbotenen Hain gedreht habe ...

Murnau starb im Zenit seines Könnens. Ob seine Kunst auch dem im Vergleich zum Stummfilm plakativen Tonfilm hätte gerecht werden können, mag bezweifelt werden. Was von diesem „Melancholiker des Films“ bleibt, sind je nach Betrachtung vier oder fünf Schöpfungen, die zur großartigsten Filmkunst des 20. Jahrhunderts zählen.

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