© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Der Glaube an Erneuerung
Ausstellung: „Jugend im Aufbruch“ im Germanischen Nationalmuseum
Karlheinz Weissmann

Die Ausstellung „Aufbruch der Jugend“ im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, gruppiert sich um drei Zentralpunkte: den Eingangsbereich, den Mittelpunkt mit einem Fahnenkreis und die Kohte vor dem Schlußteil. Man könnte sie den Themen „Ursprung“, „Entfaltung“ und „Wirkung“ zuordnen, ohne dem Ganzen Gewalt anzutun, denn die Präsentation hält sich klugerweise an die Chronologie, um die Geschichte der deutschen Jugendbewegung darzustellen.

Der Besucher betritt die Ausstellung im Neubau des Nationalmuseums und steht unmittelbar vor dem großen Gemälde „Die Glut“ von Sascha Schneider, das eine Gruppe junger athletischer Männer zeigt, die eine Art Flammenschale emporstemmen, an deren Rand man ein Mädchen, aufgerichtet, mit gelöstem Haar sieht. Wesentlich sind die ausgebreiteten Arme, eine Geste, die am Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts zum festen Inventar der bildenden Kunst gehörte.

In Nürnberg werden deshalb auch noch zeitgenössische Werke von Max Klinger, Ernst Seger und Max Ackermann gezeigt, deren stilistische und inhaltliche Verwandtschaft mit dem Bild Schneiders unbestreitbar ist. Immer ging es um eine an antiken Vorbildern orientierte Darstellung, die allerdings etwas ganz Modernes zum Ausdruck bringen sollte: Erneuerungsglauben und Gottsuchertum.

Die geistigen Strömungen des Wilhelminismus waren sehr stark durch das eine wie das andere bestimmt, und die Jugendbewegung hatte ihrerseits Teil an dieser Zeitstimmung. Das wird in Nürnberg auch deutlich gemacht unter Verweis auf die Lebensreform, deren Ziele und deren Habitus dem der Jugendbewegung in vielem so ähnlich war.

Daß es sich aber doch um ein selbständiges Phänomen handelte, wird dann durch jene Exponate geklärt, mit deren Hilfe man die Entwicklung der Urzelle, des Wandervogels, erläutert: Kleidung und Klampfe, Wimpel und Band, Zeitschrift und Liederbuch, Fotografie und Scherenschnitt.

Die Konzentration der Stücke zeigt auch, daß der Wandervogel trotz seiner Vielgestaltigkeit in der letzten Phase vor dem Ersten Weltkrieg zu einem erstaunlich geschlossenen Ganzen wurde. Daß das nicht frei von skurrilen Zügen war, ist unbestreitbar, unbestreitbar aber eben auch die fruchtbare Wirkung, die die Jugendbewegung früh auf Gesellschaft und Kulturleben, insbesondere Schul- und Erziehungswesen, ausübte.

Wie gut der Versuch gelingen konnte, etwas vom jugendbewegten Geist ins Erwachsenenalter zu retten, ohne im „ewigen Wandervogeltum“ steckenzubleiben, macht in der Ausstellung die Rekonstruktion des Wohnzimmers von Hans Breuer sinnfällig. Breuer gehörte neben Hermann Hoffmann, Karl Fischer und Hans Blüher zu den legendären Figuren der Gründergeneration. Er war der Herausgeber des „Zupfgeigenhansl“, des berühmtesten Liederbuchs der Jugendbewegung, aber noch mehr als das: Führer des Wandervogel – Deutscher Bund, einer der wichtigsten und maßgeblichen Gruppen, Arzt, Philanthrop und Kriegsfreiwilliger von 1914.

Damit und mit seinem Tod im Feld war er repräsentativ für den Wandervogel insgesamt, dessen Welt durch das Kriegserlebnis nachhaltig verändert wurde. Die alte Unbeschwertheit kehrte niemals wieder.

Die neue Generation und der neue Stil – das „Bündische“ – mußten nach Kriegsende und Niederlage zu einer massiven Veränderung führen. Man kann das zuerst an den Fahnen ablesen, die in Nürnberg eindrucksvoll in einem großen Kreis aufgestellt wurden. Das Spektrum reicht vom älteren, bunten Wandervogelwimpel mit dem „Greif“ bis zum riesenhaften Pfadfinderbanner in Schwarz mit einer streng gezeichneten Speerspitze in Weiß, aber wichtiger als das ist noch die Akzentverschiebung, weg vom spielerischen Umgang mit den Symbolen im Wandervogel, hin zum Fahnenkult der Bündischen Jugend, die auch sonst so viele Anleihen an kriegerischen Ausdrucksformen genommen hat.

Die Veränderung im Habitus ließen die noch in der Endphase der Weimarer Republik geschaffenen Elitebünde – Nerother, Graues Corps, dj 1.11 – deutlicher erkennen als die Massenorganisationen, die in den zwanziger Jahren begannen, für ihre Jugendarbeit in Partei, Gewerkschaft oder Kirche die Muster der Bündischen zu kopieren.

Wie scharf die Auslesevorstellungen (auch in bezug auf die Physiognomie) von Führern wie den Brüdern Oelbermann, Eberhard Koebel – tusk oder Fred Schmid war, ist an dem an prominenter Stelle aufgehängten Gemälde „Der Fahnenträger“ Oskar Justs ablesbar. Das Bild hat man so angebracht, daß der Weg des Besuchers in einer Richtung zur Abteilung über die Hitler-Jugend, in der anderen zu den Exponaten führt, die sich auf den Jugendwiderstand in der Zeit des NS-Regimes beziehen. Zu Recht wird betont, wie sehr sich die HJ bemühte, Konzepte der Jugendbewegung nutzbar zu machen, und auch daß das bündische Ethos genauso zu der Illusion führen konnte, daß der Traum vom „Hochbund“ endlich in Erfüllung gegangen sei, wie zu der Entschlossenheit, als einzelner den Kampf gegen die staatliche und ideologische Übermacht aufzunehmen.

Man hätte sich an dieser Stelle in der Wertung der von Jugendlichen getragenen Opposition etwas mehr Differenzierung gewünscht, aber die Verzeichnungen sind doch nur marginal. Man sieht sich jedenfalls vorbereitet auf das, was dann noch kommt: die kurze Renaissance der Bünde in der Nachkriegszeit, die Krise bei Entstehung einer ganz neuartigen „Jugendkultur“ seit den fünfziger Jahren, der Bruch mit der „Jugendrevolte“ der sechziger Jahre.

Dabei hat das Erbe des Wandervogels sogar noch auf ’68 eingewirkt, etwa im Zusammenhang des Singewettstreits auf Burg Waldeck. Trotzdem war der Einschnitt unverkennbar. Er hat die Bünde nicht vollständig verschwinden lassen. Die Kohte, in Nürnberg prominent plaziert, nutzen bis heute zahlreiche Gruppen, und mittlerweile haben sich viele auch von Subversion und Politisierung erholen können. Ihre eigentliche Gefährdung liegt auch nicht mehr in der Politisierung, sondern im Zerfall des Bindungsinteresses und der Bindungsfähigkeit der Jugendlichen.

Die letzte Installation in Nürnberg zeigt alle möglichen Formen von Freizeitgestaltung, die Heranwachsenden in der Gegenwart zur Verfügung stehen, und die trotz aller Verschiedenheit gemeinsam haben, was ganz im Gegensatz zur Leitidee der Jugendbewegung steht: Isolation, Bewegungsarmut, Ichbezogenheit.

Die Ausstellung „Aufbruch der Jugend. Zwischen Selbstbestimmung und Verführung“ im Nürnberger Germanischen Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, ist noch bis zum 19. Januar 2014 täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 0911 / 13 31-0

Der Katalog (gebunden, 343 Seiten, 25 Euro) ist vorzüglich bebildert und ausgestattet, die Beiträge sind allerdings sehr konventionell gehalten.

www.gnm.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen