© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Dorn im Auge
Christian Dorn

Der du den Menschen schautest / so Gott als Schaf –, / den Gott zerreißen im Menschen / wie das Schaf im Menschen / und zerreißend lachen –“. Die Zeilen aus Nietzsches Dionysos-Dithyramben führen mich gedanklich zurück zur konspirativ anmutenden Buchvorstellung dieser Tage in der Atelierwohnung von Feodora Prinzessin zu Hohenlohe-Oehringen. Unter dem mit religiöser Symbolik aufgeladenen „Schaf“, einem beeindruckenden Gemälde der Hausherrin – das Lamm Gottes erscheint hier mit einer verstörend herrschaftlichen Aura –, hat André Brie Platz genommen, Chefideologe der Linken. Der Weg hierher, ins dritte Stockwerk eines gediegenen Gründerzeithauses, erinnert unwillkürlich an die verschworene Hauskreisatmosphäre in der Spätphase der DDR. Tatsächlich ist das Publikum mit Vera Lengsfeld, Rainer Eppelmann, Dieter Althaus, Arnulf Baring oder Alexander Graf von Schönburg-Glauchau von einer eigentümlichen Mischung.

Der Ch. Links Verlag hat hier zur Vorstellung des Titels „Oh Du, geliebter Führer“ über den Personenkult im 20. und 21. Jahrhundert geladen. Die eingespielten Bilder von Hitler, der von einer Tribüne auf die Massen einredet, wirken gerade so, als sei das eigentlich Chap-lin. Die begeisterten Gesichter des Jungvolks dagegen sehen gar nicht verhetzt aus, wie ich es mir vorstelle. Der Perser Arash Sarkohi, der einen Beitrag über Ayatollah Khomeini geschrieben hat, berichtet den Zuhörern völlig wertfrei von der ungebrochenen Verehrung und Heilserwartung der Massen nach dem Tode des Revolutionsführers. Mit Blick auf den „Führer“ wäre die gleiche Erzählhaltung unvorstellbar. Gleiches zeigt sich am Beispiel Nordkorea, wo der Gast neben mir zu einer Stadioninszenierung murmelt: „Choreographisch ’ne saubere Leistung!“

Dem Wunsch des Verlegers Christoph Links, das Buch möge eine „kritische Sensibilität für die Gegenwart“ hervorrufen, sekundiert Pfarrer Rainer Eppelmann, der als Wehrdienstverweigerer letzter Verteidigungsminister der DDR geworden war. Ganz Protestant, bekennt dieser, daß wir ja selbst an den potemkinschen Dörfern der Gegenwart mitbauten und fragt: „Warum mußten bei dem G8-Treffen in Nordirland die Straßen mit Foto-Tapeten, die geschäftiges Treiben vortäuschten, zugeklebt werden?“

Alexander von Schönburg plädiert für den selbstlosen Monarchen und für das Prinzip der Autorität – und spricht damit an diesem Abend die eigentliche (konter-)revolutionäre Botschaft. Von Aufstand aber ist hier keine Spur.

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