© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Pankraz,
das Kamel und der Reiche im Nadelöhr

Papi, kommen auch die reichen Leute in den Himmel?“ So die schüchterne Frage eines aufgeweckten kleinen Jungen (8) am Mittagstisch eines gutbürgerlichen katholischen Haushalts. Der Papi wußte aber auch nicht so recht Bescheid, stotterte etwas zusammen und verwies im übrigen auf den Religionsunterricht. Der Herr Pfarrer werde es ihm genau erklären können.

Wirklich? Pankraz hat den Eindruck, daß zur Zeit gerade unter den christlichen Pfarrern über die Frage, ob auch Reiche in den Himmel kommen, ob also auch sie der Gnade ihres HERRN teilhaftig werden, ein großes geistiges Tohuwabohu herrscht. Von höchster Stelle in Rom setzt es immer machtvollere Donnerworte gegen die „Anbeter des goldenen Kalbes“ und gegen den „Kapitalismus“, den sie sich geschaffen hätten. Die Kirche müsse endlich wieder „eine Kirche der Armen“ werden. Denn „eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ (Markus 10,25).

Andererseits wollen die Pfarrer natürlich nicht frontal gegen ihre eigene Gemeinde anpredigen, in der sich ja auch so mancher Wohlhabende befindet, zumal es speziell diese Wohlhabenden sind, die am eifrigsten spenden und so den Reichtum von Gottes Kirche kontinuierlich mehren. Vor allem aber widerstrebt es vielen Gemeindepraktikern, ihren Gottesdienst in eine Art soziologisches Seminar zu verwandeln, wo nicht mehr von Seelenheil, sondern nur noch von materiellen Einkommensverteilungen gesprochen wird. Gott ist für alle da, ob arm oder reich.

In den meisten übrigen Religionen versteht sich das von selbst: im Christentum freilich hat es von Anfang an – historisch bedingt – eine starke sozialrevolutionäre Komponente gegeben, was sich auch in der Bibel vielfach niederschlug. Immer wieder tauchten „Tschandala-Apostel“ (Nietzsche) auf, die die angeblich von Gott privilegierte Position der (materiell wie geistig) Armen aggressiv herausstellten und die Herstellung „wahrhaft gerechter“ Zustände schon hier auf Erden forderten. Zahllose Sekten bildeten sich, wo Armut regelrecht als Voraussetzung für Christsein postuliert wurde.

Vergleichsweise harmlos waren in der Frühzeit noch die sogenannten „Montanisten“, die auf den Selbstlauf der Dinge vertrauten, auf das Erscheinen himmlischer Heerscharen, welche einem faktisch alle Arbeit abnehmen würden. Folglich stellten sie jegliche eigene Surplus-Arbeit ein, zahlten keine Steuern mehr, beteten nur noch, geißelten sich und warteten auf den großen Kladderadatsch. Wenn der dann nicht kam, verkrümelten sie sich friedlich, irgendwie enttäuscht natürlich, doch auch irgendwie erleichtert.

Gefährlicher waren jene Formationen, die glaubten, dem kommenden Himmelreich aktiv unter die Arme greifen zu müssen, indem man beispielsweise schon vorher alle Reichen, die ja in dieser Sicht identisch mit den Bösen waren, ausschaltete, enteignete, abschlachtete. Zum ersten Mal wurde das übrigens im alten Persien von Zarathustra gepredigt, der die Menschen fein säuberlich in Gute und Böse aufteilte und zum „Endkampf“ zwischen beiden aufrief. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß die sozialrevolutionäre Komponente im Christentum von zarathustrischen Manichäern gespeist worden ist.

Pankraz hat immer bewundert, mit welcher Scharfsicht die großen Kirchenväter des Frühchristentums dieses Manichäertum durchschaut und mit welcher Konsequenz sie es bekämpft haben, Hieronymus in seinem Jeremia-Kommentar, Augustinus in seiner Schrift „De civita Dei“. Es wird nie ein Reich Gottes hier auf Erden geben, donnerten sie gegen Tertullian, Irenäus und andere. Das Reich Gottes sei in unserem Inneren, und es werde inkarniert in der Kirche als einer Gemeinschaft, die sich nicht als ein irdisches Regime versteht, sondern als sittliche Instanz, deren Gebote in der Hoffnung auf Transzendenz aufgerichtet werden.

Bei den Protestanten hat früh schon Martin Luther gegen die „Rottenmeister“ à la Thomas Müntzer und deren sozialrevolutionären „Gaukelzack“ angewettert. Natürlich war er, nicht anders als Müntzer, gegen die Ausplünderung der Bauern, gegen Ablaßhandel und übermäßiges Prunken mit teurer Kunst und weltlichem Reichtum bei den Päpsten in Rom. Doch das hinderte ihn nicht daran, auch die andere Seite der Medaille in den Fokus seines Zorns zu rücken: „Wenn es Kunst wäre, das Himmelreich auf Erden mit Feuer zu erlangen, so wären die Henker die gelehrtesten Doctores auf Erden.“

Luther wußte, was heute selbst höchste kirchliche „Dienstleister“ nicht mehr zu wissen scheinen: Gerade der christlichen Kirche ziemt die Tugend des Maßhaltens, der Vermeidung aller Extreme. Neuerdings tönt es aus Rom: „Ebenso wie das Gebot ‘Du sollst nicht töten’ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir ein Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen sagen. Diese Wirtschaft tötet.“ Wenn das jetzt der offizielle Reim des Vatikans ist, dann, findet Pankraz, wird die Grenze zum Extremismus überschritten.

Eines der gewaltigsten christlichen Gleichnisse, die Austreibung der Händler aus dem Tempel, gilt wahrlich für alle diese Händler, nicht nur für die, die mit Derivaten und Immobilien handeln, sondern auch für jene, die mit Ideologien und politischen Parolen handeln. Beide gehören zur realen Lebenswelt, beide verschaffen sich mit Hilfe ihrer Sachen Reichtum und mediale Reichweite, Macht und sichere Pensionen. Doch im Tempel haben sie ihren Handel einzustellen. Und das ist gut so.

Kirche ist weder SPD-Parteitag noch Hollywood-Gala. Franz von Assisi, der mit den Vögeln und dem Vieh sprach wie mit unsresgleichen, findet darin ebenso einen Platz wie die prachtliebenden Päpste Sixtus IV. und Julius II., die den Petersdom vollendeten. Nicht zuletzt die Berichte über das Weihnachtsfest belegen das. Heilige Könige und Gelehrte kommen dort ebenso vor wie Ochs und Esel, nicht zu vergessen die fleißigen Hirten. Sie alle verdienen Gnade.

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