© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Taktische Spielchen an der Spree
Große Koalition: Die Verteilung der Ministerposten läßt den Verhandlungserfolg der SPD in einem anderen Licht erscheinen
Paul Rosen

Auf der Suche nach historischen Vorbildern für den Berliner Regierungsbildungsprozeß wird man leicht fündig: Taktik und Verhalten des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel erinnern an Charles Maurice de Talleyrand, jenen französischen Außenminister, der sein Land auf dem Wiener Kongreß trotz der Niederlage Napoleons zum gleichberechtigten Partner der Siegermächte erhob. Gabriel verstand es, nach der schweren Niederlage bei der Bundestagswahl am 22. September seine SPD so weit aufzuwerten, daß sie den gesamten Regierungsbildungsprozeß bestimmte.

Allerdings haben Gabriel und die Sozialdemokraten spätestens bei der Regierungsbildung in Kanzlerin Angela Merkel den deutschen Machiavelli des 21. Jahrhunderts erlebt. Der italienische Meisterdiplomat hat den Leitsatz für die Kabinettsbildung der CDU-Chefin geprägt: „Da, wo der Wille groß ist, können die Schwierigkeiten nicht groß sein.“ Natürlich wird die These vertreten, die Sozialdemokraten könnten mit den wichtigsten Schlüsselpositionen Arbeit und Wirtschaft die großen und teuren Projekte vorantreiben. Doch das Gegenteil ist richtig.

Wenn man Gabriel als Gegenspieler von Merkel sieht, der sich für die Kanzlerkandidatur 2017 warmläuft, so wird er bereits von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) weitgehend neutralisiert. Die Loyalität von Steinmeier hat Merkel in der ersten Großen Koalition kennengelernt. Im Zweifel hält Steinmeier, vom Naturell kein Politiker, sondern Beamter, zur Macht, also zu Merkel. Der Regierungschefin gilt seine Loyalität, weniger der Partei und schon gar nicht dem unsteten Gabriel.

Merkel und Steinmeier bilden die Stahlachse des Kabinetts. Im Innenbereich wird sie verstärkt durch den bisherigen Verteidigungsminister Thomas de Maizière, einen Vollstreckertyp, über den sein Vetter, der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière spottete, das beste, was man über Thomas sagen könne sei: er funktioniere. Der durch die Drohnenaffäre geschädigte de Maizière dient Merkel so loyal, daß das Innenministerium zum Wurmfortsatz des Kanzleramts wird. Hier werden Wünsche schon erfüllt, ehe Merkel sie äußert.

Als weiterer Achsenpunkt kommt Finanzminister Wolfgang Schäuble hinzu. Schäuble steht gewiß nicht loyal zu Merkel, aber zu Europa, und das ist für die Kanzlerin im Moment entscheidender als persönliche Antipathien. Die Neuberufung des 71jährigen hat einen großen Vorteil für die Kanzlerin: Scheitert der Euro, scheitert Schäuble, aber nicht Merkel, die dann als Deutschlands Retterin auftreten wird.

Daß in Europa 2014 möglicherweise finanzielle Sturmfluten aufkommen, macht eine weitere, auf den ersten Blick unscheinbare Personalie deutlich: Jörg Asmussen (SPD), bisher Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, wechselt von dem lukrativen Frankfurter Posten ins Berliner Arbeitsministerium zur neuen Ministerin Andrea Nahles (SPD). Da er ausgewiesener Finanzfachmann ist, läßt das auf Flucht schließen. Offenbar ahnt Asmussen, daß ein weiteres Verbleiben auf dem EZB-Direktoriumssessel seine Karriere gefährden könnte. Und der Genosse will noch viel werden, später einmal Schäuble beerben. Aber er will nicht verantwortlich sein, wenn deutschen Sparern nach dem Modell Zypern die Sparbücher teilentwertet werden.

Auch Gabriel kann zappeln, wie er will, Merkel hat ihn unter Kontrolle. Stets in Erwartung guter Spielkarten hat der zum Zocken neigende Gabriel sich die Verantwortung für die gesamte Energiewende aufladen lassen. Das dürfte nicht gutgehen; der deutsche Energiesonderweg steht vor dem Scheitern. Sollten Strompreise explosionsartig steigen und Stromnetze zusammenbrechen, ist der Schuldige schnell gefunden: Gabriel. Mag auch die Süddeutsche Zeitung Gabriel loben, er habe Stroh zu Gold gesponnen, so zeigt doch die bittere Realität auf diesem Planeten, daß die Naturgesetze auch von Politikern, denen Zauberkünste zugeschrieben werden, nicht außer Kraft gesetzt werden können.

Das Verteidigungsministerium wird wenige Jahre nach dem Hochstapler Guttenberg wieder zur medialen Pilgerstätte, nachdem dort Ursula von der Leyen (CDU) Platz genommen hat. Tatsächlich hat die neue Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt ein Himmelfahrtskommando: ein falsches Bombardement, ein mißglückter Einsatz und sie muß gehen. Von der Leyen ist strafversetzt; das ist die Rache der Kanzlerin für die Drohung, in Sachen Frauenquote mit der Opposition zu stimmen.

Auffällig ist, daß der lautstarken CSU und ihrem hallodrihaften Chef Horst Seehofer nach einem fulminanten Wahlergebnis die Luft ausgegangen ist: Verkehrs-, Landwirtschafts- und Entwicklungshilferessort sind keine reiche Beute. Der Verlust des Innenministeriums ist dem laienhaften Verhalten des Amtsinhabers Hans-Peter Friedrich (CSU) in der NSA-Spähaffäre zu verdanken. Genau aus diesem Grund wurde auch Ronald Pofalla im Kanzleramt durch Peter Altmaier, einen geübten Handwerker der Macht, ersetzt. Merkel hat es Friedrich und Pofalla nicht verziehen, daß die Opposition sie mit der NSA-Spionageaffäre vor sich hergetrieben hat.

Wie sehr Politiker an Stühlen kleben, Macht wollen und dabei zur Selbstdemütigung bereit sind, macht das Beispiel der früheren Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) klar, die jetzt als Parlamentarische Staatssekretärin in das Wirtschaftsministerium geht. Talleyrand meinte dazu: „Kein Abschied auf der Welt fällt schwerer als der Abschied von der Macht.“

Foto: Ernennung der Minister durch Bundespräsident Joachim Gauck in Schloß Bellevue: Gabriel wird von Steinmeier neutralisiert

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen