© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

„Es schreit zum Himmel!“
Einst waren die Christen die „Ureinwohner“ Syriens, heute sind sie Minderheit im eigenen Land und stehen mit dem Rücken zur Wand. Im Schatten des Krieges hat eine Christenverfolgung begonnen, die im Westen weitgehend beschwiegen wird.
Moritz Schwarz

Herr Rode, gibt es in Syrien gezielte Christenverfolgung?

Rode: Ja, und ich kann mich nur wundern, daß manche dies nicht zur Kenntnis nehmen. Wenn ich bei uns Sätze wie „Syrische Christen sind nicht das Ziel von Angriffen“ lese, frage ich mich, was noch passieren muß, bis wir von Christenverfolgung sprechen.

Was passiert denn in Syrien?

Rode: Der Bürgerkrieg ist zu einem Religionskrieg mutiert – Ziel: ein islamistischer Staat. Zunächst waren alle Syrer gleichermaßen von den Kämpfen betroffen, nun aber sind Christen besonders im Visier. Aus Sicht der Islamisten sind sie Fremde, die das Land zu verlassen haben.

Dabei war Syrien ursprünglich ein christliches Land.

Rode: Es gehört sogar zur Wiege des Christentums. Die Araber wanderten dagegen erst im 7. Jahrhundert ein. Lange lebten Christen und Muslime dennoch friedlich miteinander. Heute aber geht es um einen Scharia-Staat, in dem für Christen kein Platz ist.

Von wem geht die Verfolgung aus?

Rode: Es ist die oppositionelle „Freie Syrische Armee“, darin vor allem die Gruppe „Islamischer Staat Irak und Syrien“, die das Ziel hat, die Christen auszurotten.

Also jene Opposition, der der Westen lange die Daumen hielt, die er teilweise materiell unterstützt?

Rode: Zumindest wurden die Rebellen als die Guten dargestellt.

Verfolgen auch Assads Regierungstruppen die Christen?

Rode: Nein, die Christen versuchen sogar, in die von diesen beherrschten Gebiete zu gelangen.

Warum?

Rode: Um vor den Rebellen in Sicherheit zu kommen. In der säkularen Diktatur Assads haben die Christen ein recht friedliches Leben geführt. Sie mußten sich nicht verstecken, konnten Gottesdienste feiern und genossen gesellschaftliche Anerkennung.

Die syrische Staatspartei setzt auf einen religiös toleranten, weil syrisch-nationalen Kurs.

Rode: Ja, Mitglieder der Staatspartei hatten gute Kontakte zu Christen. Und die Assads gehören der Minderheit der Alawiten an.

Warum unterstützen wir jene Kräfte, die Christen verfolgen, und stellen uns gegen die, die ihnen Anerkennung gewähren?

Rode: Das ist der Punkt, auf den wir die Politik hinzuweisen versuchen. Wir machen darauf aufmerksam, daß das Schicksal von etwa 1,6 der 20 Millionen Syrer in der Syrien-Agenda der westlichen Politik nicht vorkommt.

Allerdings gab es auch in Syrien eine schleichende Islamisierung.

Rode: Ja, trotz der Regierungspolitik des Ausgleichs zwischen den Religionen herrscht dort eine islamische Kultur, der man sich nicht entziehen kann. Eine gesellschaftliche Islamisierung, die im arabischen Raum seit Jahren festzustellen ist, gibt es auch in Syrien, wenn auch in nur geringem Maß.

Dennoch mit dramatischem Effekt: Waren vor hundert Jahren noch dreißig Prozent der Syrer Christen, sind es heute nur noch etwa acht.

Rode: Christen haben in allen islamischen Ländern nicht die Bedingungen wie in Ländern mit echter Religionsfreiheit. Denn trotz allem ist das gesellschaftliche System ein islamisches, und Christen sind in diesen Ländern, mal mehr, mal weniger, Bürger zweiter Klasse. Jedoch waren die Bedingungen für die syrischen Christen immer noch vergleichsweise gut – bis zum Ausbruch des Krieges.

Was genau geschieht im Land?

Rode: In den Gebieten, die unter Kontrolle der islamistischen Rebellen geraten, werden Dörfer und Städte von Christen regelrecht gesäubert. Ganze Landstriche werden christenfrei gemacht. Kirchen werden zerstört, Altäre und Kreuze umgestürzt und der islamische Schlachtruf „Allahu akbar!“darauf gesprüht. Bischöfe werden entführt und Christen werden gezielt angegriffen, getötet, christliche Frauen gezielt vergewaltigt. Wir haben Berichte, nach denen Christen nicht einfach nur umgebracht, sondern regelrecht geschlachtet wurden.

Was meinen Sie damit?

Rode: Man kann es gar nicht beschreiben. Ich selbst habe Bilder gesehen, die einfach Unbeschreibliches zeigen, Bilder die man in deutschen Medien gar nicht veröffentlichen kann, weil sie so grauenvoll sind. In einem Fall etwa wurden Christen Holzkreuze in den Rachen gerammt.

Woher haben Sie diese Informationen?

Rode: „Open Doors“ ist weltweit gut vernetzt, auch nach Syrien unterhalten wir enge Kontakte, zum Teil haben wir eigene Mitarbeiter dort. Der syrisch-orthodoxe Erzbischof von Homs und Hama zum Beispiel berichtet von verheerenden Angriffen auf Christen, etwa vom Massaker im christlichen Sadad. Er sagt: „Was zur Zeit passiert, sind die schlimmsten Verbrechen an Christen, die wir bisher erlebt haben!“

Was erwartet die Christen, sollte das Regime stürzen?

Rode: Dann würden wohl die islamistischen Kräfte untereinander in Konflikt um die Vorherrschaft geraten – und die Christen weiter im Weg stehen.

Peter Scholl-Latour warnte in dieser Zeitung, bei einem Sieg der mit al-Qaida-Elementen durchsetzten syrischen Rebellen könnte es „ein schreckliches Massaker“ geben.

Rode: Es ist zu befürchten, daß es dann zu einem Genozid, zum Mord an Christen in unvorstellbarem Ausmaß kommt.

Droht also nach 2.000 Jahren der Untergang des Christentums in einem seiner Ursprungsländer?

Rode: Ich glaube nicht, daß es gelingt, das Christentum je in einem Land vollständig auszulöschen. Das schafft nicht einmal Nordkorea, das seit Jahren Platz eins auf dem Weltverfolgungsindex belegt. Ich glaube vielmehr, daß es zu einer Situation wie zur Frühzeit des Christentums kommt und die Christen in den Untergrund gehen müssen. Allerdings, auch wenn der Glaube überleben würde, wohl um den Preis der physischen und kulturellen Vernichtung des historischen Christentums, also Vertreibung oder Ermordung der großen Mehrheit der Gläubigen und Zerstörung der Kirchen.

Wenn das das drohende Schicksal der Christen in Syrien ist, müßte der Westen dann nicht – trotz aller Vorbehalte gegen die Regierung wegen deren Verbrechen – dennoch Assad unterstützen?

Rode: Es ist leider nicht so, daß sich die Regierungstruppen ausgesprochen um den Schutz der Christen bemühen. Wir hören vielmehr, daß sie die Christen mitunter im Stich lassen. Dennoch ist die Frage berechtigt, denn die Christen Syriens fühlen sich von ihren westlichen Glaubensbrüdern verlassen. Wir werden von ihnen wortwörtlich gefragt: „Wo ist das christliche Gewissen der Welt? Wo sind unsere Glaubensgeschwister?“

Während des Arabischen Frühlings gab es in deutschen Medien eine enorme Identifikation mit den Protestlern – wobei es nur um Bürger-, nicht um Menschenrechte ging. Im Fall der Christen dagegen, die um ihr nacktes Leben kämpfen, gibt es diese Identifikation nicht.

Rode: Natürlich, dieser Prozeß wurde mit so viel Sympathie begleitet, während das Schicksal der Christen in den meisten Medien nur eine Randnotiz ist. Wo bitte sind die großen Berichte, die dicken Schlagzeilen, die Diskussionsrunden in Funk und Fernsehen darüber, daß in Syrien massenhaft Christen vor der Ermordung stehen?

Was tut Open Doors?

Rode: Wir haben die Kampagne „Save Syria“ gestartet, haben in Deutschland bislang mehr als 82.000 Unterschriften gesammelt, die wir der Politik übergeben. Auf unserer Webseite kann jeder mitmachen. Wir bitten weiter um Spenden, weil wir in Syrien etwa 45.000 Christen fortdauernd materiell unterstützen, die vom Verhungern bedroht sind. Die Christen vor Ort haben daraufhin begonnen, auch muslimischen Familien zu helfen. Inzwischen sind in Syrien etwa 200.000 Christen auf der Flucht, sie haben meist alles verloren, leben bestenfalls in Zelten, und nun bricht auch noch der in Syrien sehr kalte Winter herein. Es schreit zum Himmel, und ich kann nur jeden bitten, uns zu unterstützen, damit wir diesen Menschen nicht nur materiell helfen, sondern auch dieses Zeichen ihrer Glaubensbrüder im Westen geben: „Wir haben euch nicht vergessen!“

 

Markus Rode, ist Geschäftsführer der deutschen Abteilung der internationalen Hilfsorganisation Open Doors (Logo oben), die sich seit 1955 weltweit für verfolgte Christen einsetzt. Wenn Sie für die Christen in Syrien spenden oder die internationale Syrien-Petition unterzeichnen möchten, finden Sie diese auf der Open-Doors-Netzseite. Oder per Telefon unter: 0 61 95 / 67 67 00

www.opendoors.de

Foto: Kirche von Maalula, angeblich die älteste Kirche der Welt, ein im Juli 2013 von islamistischen Kämpfern erobertes Kleinod des östlichen Christentums in West-Syrien; Beerdigung von Opfern des Massakers von Sadad im Oktober 2013: „Wir fürchten einen Mord in unvorstellbarem Ausmaß“

 

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