© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Des Glaubens liebstes Kind
Wissenschaft und Technik haben das Leben entzaubert. Doch die religiöse Sehnsucht lebt in uns weiter
Wolfgang Ockenfels

Goethe hat doch recht behalten. Trotz moderner Entzauberung der Natur zur Inthronisierung von Naturwissenschaft und Technik. Trotz Entmythologisierung der Religion, damit das Licht der Aufklärung endlich auch die Offenbarung überblende: „Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.“

Das liebste Kind des Glaubens ist immer noch das Jesuskind, nicht ein seniler Weihnachtsmann. Mit diesem göttlichen Kind verbinden wir die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft, auf ein gelungenes Leben der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens. Wer das mit der Verheißung einer politisch-ökonomischen Utopie verwechselt, ist im Lauf der Geschichte oft genug enttäuscht worden – und landet schließlich beim Weihnachtsmann. An den glauben heute vorzugsweise jene, die aus Weihnachten eine Marktveranstaltung und aus den Geschenken einen Tauschhandel machen.

Das kapitalistische Kalkül: Ich schenke, damit ich vielleicht noch mehr geschenkt bekomme, geht freilich nicht auf. Jedenfalls nicht auf Dauer – und vor allem nicht angesichts der unverdienten Gnade, von der die Weihnachtsbotschaft spricht. Denn es gibt Geschenke – wie das eigene Leben und vor allem den Lebenssinn, die wir nicht unserer eigenen Leistung zu verdanken haben.

Davon zeugen auch Berichte über Visionen und Gesichte, spontane Heilungen und Gebets-erhörungen. Wenn es sich nicht um politische „Visionen“ handelt, läßt man sich gerne davon ergreifen. Diese Ergriffenheit ist das knisternde Herdfeuer, an dem sich der ausgekühlte Glaube ein wenig erwärmen kann. Die „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ zeigt sich innerkirchlich immer noch in Lourdes und Fatima. Wallfahrten bieten der Volksfrömmigkeit immer wieder reichliche Nahrung.

Die Volkskirche der einfachen Leute scheint hierzulande ziemlich ausgedünnt und in die Jahre gekommen zu sein, aber sie zeigt nach wie vor einen kindlichen Glauben, der sich auf die Bibel berufen kann. „Ich kann es mir nicht erklären, aber es ist da“, beteuerte die kleine Bernadette Soubirous. Es nutzte nichts, sie theologisch lächerlich zu machen oder amtlich einzuschüchtern: Sie blieb dabei, die Mutter Gottes gesehen zu haben. Und ihr Biograph Franz Werfel bemerkte dazu: Für die Gläubigen ist keine Erklärung nötig – und für die Ungläubigen nicht möglich.

Ein Mangel an Wundern ist nicht kompensierbar, etwa durch kirchliche Caritas oder Sozialpolitik. Auch die moderne Technik ist kein Ersatz für Wunder mehr, weder als Wirtschaftswunder noch als Wunderwaffe. Vielmehr hat sie ihren pseudoreligiösen Verheißungsglanz eingebüßt und ihre Ambivalenz zwischen Heil und Verderben offenbar gemacht. Mit einer Handbewegung einen elektrischen Schalter zu bedienen, bedeutet längst nicht mehr jene naive Begeisterung des „fiat lux“ („es werde Licht!“), die zur Entmythologisierung heiliger Schriften führte, sondern eher ein Luxus, der zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Mit dieser Handbewegung könnte auch ein elektrischer Stuhl eingeschaltet werden, auf dem man selber sitzt, oder ein Knopf, der einen Weltkrieg auslöst.

Schon in Goethes „Zauberlehrling“ deutet sich die gefährliche Anmaßung an, „mit Geistesstärke“ auch Wunder tun zu wollen. Freilich läßt der „alte Meister“ lange auf sich warten. Zwischenzeitlich melden sich säkulare Ersatzformen als wunderliche Karikaturen zu Wort: virtuelle Welten im Science-fiction-Format, unbekannte Flugobjekte, wundertätige Steine und Amulette, die segnende Gebärde eines Pop-Messias oder politischen Stars. All das zeigt, wie sehr das Außerordentliche ersehnt wird – und wie sehr unsere Gesellschaft religionsproduktiv geworden ist. Das mag den Modernisten als Torheit und den Christen als Ärgernis vorkommen.

Der Glaube an die Existenz von Engeln hat hierzulande erheblich zugenommen, dementsprechend nimmt auch die Produktion von Engelbüchern zu. Schutzengel spielen in der Werbung eine tragende Rolle. Freilich ist das Spiel mit dem himmlischen Feuer nicht ganz ungefährlich. Dem Engel folgt der Teufel, und wo das Rettende wächst, naht das Verderben auch.

Wunder haben es an sich, daß sie sich der Überprüfbarkeit und planenden Kalkulation entziehen: Plötzlich sind sie da, verstoßen gegen die theological correctness und unterbrechen die Banalität des soziologischen Alltags, in dem nun auch das „Schicksal“, des Wunders liebstes Kind, erforscht wird. Eher machen Naturwissenschaftler eine Pilgerreise, als daß sie ihren Glauben von den Hypothesen einer Wissenschaft abhängig machen, die es ihnen lediglich ermöglicht, mit einem technisch geeigneten Verkehrsmittel nach Bethlehem zu reisen.

Wo aber ist der Gott, „der auch heut’ noch Wunder tut“? Diese klassische Theodizee-Frage angesichts der Nachhaltigkeit von Not und Elend bezeugt die unstillbare Sehnsucht nach dem machtvollen Eingreifen des gütigen Gottes, der ewigen Frieden, Glück und Heil bringt. Die neuzeitliche Antwort auf diese Frage lief aber auf die Entmachtung Gottes hinaus und bewirkte die blasphemische Selbstermächtigung des Menschen. Einige dieser Ideologien der Selbsterlösung haben sich inzwischen katastrophal erledigt, andere müssen sich erst noch austoben, bevor sie zur Vernunft kommen – und zum Glauben an den einen Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist.

Was wir brauchen, ist eine christlich inspirierte Vernunft und ein vernünftiges Christentum, das zwar Wunder ersehnt, aber nicht fatalistisch erwartet oder utopisch konstruiert, sondern sich sozialethisch in die Verantwortung nehmen läßt.

 

Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels ist Publizist und Professor für christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät Trier.

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