© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Wir sollen weniger werden
US-Autor Alan Weisman wandelt auf den Spuren Paul Ehrlichs und warnt vor der Gefahr Überbevölkerung
Heiko Urbanzyk

Wie viele Menschen verträgt unsere Erde? Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler seit Jahrhunderten. Der englische Ökonom Thomas Malthus warnte schon 1798 in seinem „Essay on the Principle of Population“ vor Überbevölkerung: Hätten die Menschen genug Nahrungsmittel, führe ihr Fortpflanzungstrieb zu einem Geburtenüberschuß. Die so verarmte Bevölkerung werde aber durch Seuchen, Hungersnöte und Verteilungskämpfe reduziert, bis schließlich für eine geschrumpfte Bevölkerung wieder ausreichend Nahrung zur Verfügung stünde. Danach beginne der Zyklus erneut.

Dieses „Bevölkerungsgesetz“ sei quasi eine göttliche Gesetzmäßigkeit, glaubte der anglikanische Pfarrer. 170 Jahre später hatte sich die Weltbevölkerung trotz zahlloser Hungersnöte und Kriege von einer auf weit über drei Milliarden erhöht. Und anders als von Malthus befürchtet konnte die landwirtschaftliche Produktion – dank massiver Ausweitung sowie neuer Dünge- und Anbaumethoden – entsprechend angepaßt werden.

Die Bevölkerungsbombe ist noch nicht explodiert

Der US-Zoologe Paul Ehrlich (Stanford University) hielt die damit verbundenen ökologischen Langzeitschäden jedoch für so gravierend, daß er in seinem Buch „The Population Bomb“ (1971 unter dem Titel „Die Bevölkerungsbombe“ auf deutsch erschienen) vor der hemmungslosen Vermehrung der Menschen warnte. Ehrlich, der bis 2003 mit seiner Frau Anne zum Beraterkreis der einwanderungskritischen Federation for American Immigration Reform (FAIR) zählte, forderte vor 45 Jahren, mit einer radikalen Bevölkerungspolitik gegenzusteuern, um so die Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert auf einem Niveau von zwei Milliarden stabilisieren zu können.

Auch ohne Ehrlichs Sondersteuern auf Kinderbedarf und Massensterilisationen wurde dieses Ziel in Europa und Ostasien übererfüllt. In Afrika wächst die Bevölkerung weiter, aber auch in den USA hat sich die Einwohnerzahl seit 1968 um mehr als die Hälfte auf 314 Millionen erhöht. Laut seriösen Schätzungen könnte die Weltbevölkerung – trotz fallender Fruchtbarkeitsrate – von derzeit über sieben bis auf elf Milliarden im Jahr 2100 anwachsen.

Ob weitere vier Milliarden Menschen ernährt und ihre Konsumbedürfnisse befriedigt werden können, ist umstritten – und neues Thema des US-Starautors Dan Brown („The Da Vinci Code/Sakrileg“). In seinem Erfolgsbuch „Inferno“ (Bastei Lübbe 2013) strickt Brown eine spannende Schauergeschichte um die „populationsapokalyptische Gleichung“ eines fiktiven Schweizer Biochemikers, der die Überbevölkerung mittels künstlicher Krankheitserreger eindämmen will.

Gänzlich unbelletristisch unternimmt der US-Professor und Lateinamerikaexperte Alan Weisman (University of Arizona) in „Countdown – Hat die Erde eine Zukunft?“ einen eher nüchtern-wissenschaftlichen Versuch, die Problematik darzulegen. Aber wie bei Paul Ehrlich läuft es letztlich auf eine einzige Lösung hinaus, die Mensch und Erde retten könne: Wir müssen viel weniger Menschen werden. Aber was heißt Überbevölkerung konkret? In Schwarzafrika liegen die Geburtenraten zwischen 30 und 40 pro Jahr, bezogen auf 1.000 Einwohner. In den islamischen Ländern, Indien oder Südamerika sind es zwischen 15 und 30. Die USA erweisen sich mit 13,7 geburtenfreudiger als Thailand.

Deutschland, Österreich, Italien, Ungarn, Südkorea, Taiwan oder Singapur verzeichnen Werte weit unter zehn. Hier heißt die Sorge Überalterung und Schrumpfung. Weisman, der auf eine jahrelange Erfahrung als Auslandskorrespondent zurückblickt, reiste nach Japan und machte Bekanntschaft mit dem Roboter Riba II. Dieser soll so bald wie möglich in der Altenpflege eingesetzt werden. Im Land der aufgehenden Sonne stoßen niedrige Geburtenraten zusätzlich auf die weltweite höchste Lebenserwartung – und kumulieren in einer drastischen Alterungsspirale.

Ein Ingenieur, der den Robo-Teddy entwickelte, sagt, daß man künftig nicht nur für medizinisch-pflegerische Aufgaben Roboter brauche, weil es nicht mehr genug Arbeitskräfte geben werde. Und was ist mit der in Deutschland propagierten Anwerbuung ausländischer Pflegekräfte? „Für Japan war Einwanderung noch nie eine Option“, schreibt Weisman. Man schätze dort die Homogenität. „Manche Japaner klagen zwar über Rassismus in ihrem Heimatland, aber die meisten von ihnen sind sich einig, daß gemeinsame kulturelle Werte der Grund dafür sind, daß die japanische Gesellschaft so reibungslos funktioniert“, konstatiert Weisman. Japan sei das Testlabor für das, was auf Europa in etwa 20 Jahren demographisch zukomme.

Länder wie Bangladesch, Pakistan oder Indien wachsen hingegen scheinbar unaufhörlich. Der Überbevölkerungsdruck Lateinamerikas und Afrikas wird an der Südgrenze der USA und Europas augenfällig. Aber selbst dort, wo genug Land da wäre, kann dieses seine Bewohner oft nicht mehr ernähren. Mit hungrigen Kindern überfüllte Dörfer sind zur Armut verdammt. Braucht es eine Ein-Kind-Politik wie in China? Weisman wehrt sich gegen staatliche Eingriffe in die Familienplanung. Die Erkenntnis, daß weniger Kinder mehr sind, müsse in den Menschen selbst reifen.

Ist die moderne Technik kein Zukunftsretter?

Malthus’ alte Botschaft, Bildung helfe, präzisiert Weisman so: Wo Frauen Zugang zu Bildung erhielten, regulierten sich die Geburtenraten von selbst. Im Iran beispielsweise studierten inzwischen mehr junge Frauen als Männer; die durchschnittliche Kinderzahl sei bei ihnen von sieben auf unter zwei Kinder gesunken. Ähnliches sei im zu hundert Prozent alphabetisierten indischen Kerala und bei palästinensischen Frauen im Westjordanland zu beobachten. Weisman, der 2006 in die Sammlung „Best American Science Writing“ aufgenommen wurde, meint, daß dies dem Wunsch der jungen Frauen entspreche. Die „Gebärmaschinen“ der Dritten Welt hätten ihre Rolle satt. Die bisher vergeudete weibliche Intelligenz könne die schrumpfende Arbeitskraft ergänzen.

Aber ist nicht auch moderne Technik ein Zukunftsretter? Weisman ist skeptisch: Selbst wenn der Westen seinen Energiebedarf drastisch senke und die Armen dieser Erde nur geringfügig mehr verbrauchen, ließe sich der Energiehunger für elf Milliarden Konsumenten nicht befriedigen. Das Uran für Atomkraftwerke werde knapp und für Solarzellen seien nicht einmal die erforderlichen Rohstoffe vorhanden, geschweige denn Fläche. Die Effizienzsteigerungen hechelten gnadenlos hinterher. Und woher sollen Nahrung und Frischwasser kommen? Weisman präsentiert Berechnungen, nach denen die Erde etwa 1,6 Milliarden Bewohnern etwas Luxus und Nahrung bieten könnte, ohne dabei das Ökosystem langfristig zu zerstören. Das wären immerhin 400 Millionen mehr, als Paul Ehrlich vor 45 Jahren angenommen hatte.

Neugeborene in Bombay/Indien: Sind für künftig elf statt sieben Milliarden Konsumenten genug Nahrung und Energie bereitstellbar?

Alan Weisman: Countdown – Hat die Erde eine Zukunft? Piper-Verlag, München 2013, 576 Seiten, gebunden, 24,99 Euro

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