© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Einigung im Atomstreit mit dem Iran
Weder blind noch dumm
Günther Deschner

Den Worten von Israels Premier Netanjahu zufolge ist die Welt durch den vorläufigen Kompromiß, den der Westen unter Obamas Führung und die noch junge, neue Regierung des Iran Ende November in Genf erzielten, „ein noch gefährlicherer Ort“ geworden. Das wäre eine fatale Wahrheit, wenn ein Militärschlag Israels das einzig „denkbare Mittel“ wäre, das nun noch zur Verfügung stünde. Netanjahu und sein Verteidigungsminister Jaalon müssen die weltweit als erfolgreich registrierten Vorgespräche, denen nach sechs Monaten harte, konkrete Detailverhandlungen folgen sollen, schon für ein abschließendes Ergebnis gehalten haben, als sie sich über „iranische Tricks“ und das „schiitische Konzept“ der sogenannten „Taqia“ ausließen, die es erlaube, andere zu hintergehen und irrezuführen. Genau das sei es, was der Iran tue.

Diese Unterstellung, sachlich unkorrekt und diskriminierend, kommt ausgerechnet von der politischen Spitze eines Landes, das schon vor fünfzig Jahren unter absoluter Geheimhaltung sein eigenes Nukleararsenal entwickelte und das bis heute jede Auskunft über Zahl und Art seiner Atomwaffen sowie über seine Doktrin für deren Einsatz verweigert. Israel hat den Atomwaffensperrvertrag gar nicht erst unterzeichnet und läßt keine Inspektionen zu.

Um die materiellen Erwartungen der Iraner nicht zu enttäuschen und um den inneren Frieden zu erhalten, braucht Teheran dringend den Abbau der Spannungen mit dem Westen. Priorität hat deshalb die Aufhebung der für Irans Wirtschaft ruinösen Sanktionen.

Es ist trotzdem angebracht, bei den Folgeverhandlungen mit dem Iran wachsam zu bleiben, und von der US-Regierung mit dem äußerst skeptischen Kongreß im Nacken ist das auch zu erwarten. Doch man braucht keine hochgeschraubten Überlegungen über eine „hinterlistige Taqia“ anzustellen, um zu erkennen, was die Möchtegern-Atommacht Iran nach Genf getrieben hat: Bereits die Wahl des gemäßigten Hassan Rohani zum Präsidenten hatte deutlich gemacht, daß die Iraner nicht länger hinnehmen wollen, wie sich ihre Lebensbedingungen immer weiter verschlechtern. Für explodierende Preise, steigende Arbeitslosigkeit, Benzinknappheit (im Ölstaat Iran!) und für den Verfall ihrer Währung, des Rial, machten sie die verfehlte Wirtschafts-, die aggressive Außen- und Atompolitik von Ex-Präsident Ahmadinedschad verantwortlich, die ihren persönlichen Interessen schadete.

Um die materiellen Erwartungen der Iraner nicht zu enttäuschen und um den inneren Frieden zu erhalten, braucht Teheran demnach dringend den raschen Abbau der Spannungen mit dem Westen. Priorität hat deshalb für den Präsidenten die Aufhebung der für Irans Wirtschaft ruinösen Sanktionen. Voraussetzung dafür sind Fortschritte in den seit Jahren stagnierenden Atomverhandlungen. „Vollkommene Transparenz“, hat Präsident Rohani zugesagt, „soll das neue Element sein.“ Ähnlich wie bei US-Präsident Obama, der sich bei erfolgreichen Verhandlungen mit Teheran auch einen positiven innenpolitischen Nebeneffekt versprechen kann, würde auch Rohanis gemäßigtes Lager davon profitieren: Den Iranern würde es ohne Embargo deutlich besser gehen, und es würden immer weniger werden, die dem extremen Lager nachtrauern.

Bei dieser Sachlage und angesichts des neuen Momentums im geopolitischen Ringen wirkt es selbst für Verbündete irritierend, wenn aus Jerusalem als erstes Echo auf Teherans Offerten grob gepoltert wird. Israel stellt sich damit selbst ins Abseits – und riskiert, Verbündeten auf die Nerven zu gehen. Nicht von ungefähr hat Israels Staatspräsident Shimon Peres unmittelbar nach Netanjahus starken Worten gemahnt, mehr Respekt vor den USA zu zeigen, ganz offenkundig, um die Beziehungen zum mächtigsten Alliierten nicht noch weiter zu belasten. Daß selbst die US-Regierung über das Verhalten des Verbündeten „not amused“ ist, ist kaum zu überhören. Auf Netanjahus Vorwürfe, der angestrebte Iran-Deal sei „sehr, sehr schlecht“, antwortete US-Außenminister John Kerry zuletzt knapp, man sei „weder blind noch dumm“.

Und auch die Perser sind nicht so dumm, um nicht zu wissen, daß Israel über das effektivste Raketenabwehrsystem der Welt verfügt, über 200 bis 400 Atombomben, überlegene Trägersysteme – und nicht zuletzt auch über die USA und 27 weitere Nato-Staaten als Verbündete und Unterstützer.

John Kerry hat seinerseits sofort nach der Genfer Auftaktrunde erklärt, Amerika habe Iran „das Recht auf Anreicherung“ nicht zugestanden. Man kann daraus schließen, daß sich die Detailverhandlungen der kommenden sechs Monate hauptsächlich um dieses Recht drehen werden. Der denkbare Kompromiß würde natürlich lauten: „Anreicherung ja, das Recht darauf besteht weiter, jedoch innerhalb feststehender und kontrollierbarer Grenzen“. Dagegen würde Iran wohl auf der Aufhebung aller Sanktionen bestehen und auf einer „Normalisierung“ seiner Beziehungen mit den USA und Europa.

 

Dr. Günther Deschner, Jahrgang 1941, ist Journalist, Buchautor und Dokumentarfilmer. Der Historiker war zehn Jahre leitender Redakteur der Welt und schrieb unter anderem für Criticón. Anschließend arbeitete er als Verlagsleiter bei Lübbe und Straube.

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