© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Zum Arbeiten gekommen
Auswanderung nach Island: Der Film „Eisheimat“
Sebastian Hennig

Als das Schiff der Auswanderer die Insel Helgoland passiert singen die jungen Leute „Ade, mein lieb Heimatland“. 120 Mädels und 72 Jungs aus Deutschland schifften sich 1949 in Richtung Island ein. Sie verdingten sich dort in der Landwirtschaft. Zu ihren Lebensläufen paßt das biblische Wort von der Mühe und Arbeit. Doch darüber gibt es keine Klage: „Mir sind ja auch zum Arbeiten gekommen und nicht zum Faulenzen“, sagt eine der inzwischen hochbetagten Damen. Außer frischem Blut für ein von Inzucht bedrohtes Inselbauerntum brachten die Deutschen den Anbau von Kartoffel und Korn.

Passionsgeschichten mit Männern

Der Dokumentarfilm „Eisheimat“ porträtiert sechs dieser ausgewanderten Frauen, die über die Umstände ihres Lebens sprechen und ihr Selbstverständnis als Deutsche in Island zusammenfassen. Als Minderjährige, die zur Ausreise einer schriftlichen Zustimmung der Mutter bedurfte, wurde Anna Anita Valtysdottir im äußersten Norden von einem ehebrüchigen Bauern geschwängert. Ihr späterer Mann nimmt die Tochter wie ein eigenes Kind an. Eine Adoption läßt sie nicht zu, denn die Unterhaltszahlung wäre das wenigste, was der biologische Vater für sein Kind tun könnte. Sie bekennt mit stiller Selbstverständlichkeit: „Ich habe mein Ich behalten, ich hab, ja das ist vielleicht falsch, meinen deutschen Stolz behalten.“

Anna Karolina Gustafsdottir kam mit ihrem Kind und dessen deutschem Vater, einem Luftikus, der wegen Arbeitsunwilligkeit bald ausgewiesen wurde. Auch sie hält an ihrem Kind fest und erlebt den Alptraum einer Ehe mit einem alkoholabhängigen Maurermeister. Erst als der sich totgesoffen hat, beginnt ihr Leben. „Der starb dann, und nun konnte ich leben.“ Sie denkt isländisch, auch während sie deutsch schreibt. „Ich bin Isländerin“, bekennt sie, während Ursula von Balszun sagt: „Man wird nie Isländerin. Man bleibt immer deutsch.“ Anna Anita Valtysdottir meint schlicht: „Ich vermisse Schlesien, die Heimat.“

Angesichts der großartigen Filmbilder mit riesigen Felsen und winzigen Holzhütten, kristallklarem Wasser, das zwischen Moospolstern sickert, kommt dem Betrachter eine Ahnung auf, wie eng den Mädchen die Brust von einer so weiten Landschaft geworden sein mag. Und doch waren für einige von ihnen Demütigung, Kälte und Hunger daheim eisiger als die neue „Eisheimat“ Island. Die Abschiedsworte der Mutter von Ursula von Balszun lauteten: „Wenn du nicht wärst, wäre ich glücklich.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen