© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

„Solidarische Unterstützung“
Euro-Krise: Kontinuität in der Finanzpolitik der Bundesregierung / Die Vergemeinschaftung von Staatsschulden und Bankenrettung soll fortgesetzt werden
Wolfgang Philipp

Helmut Schmidt wechselte zwar schon vor 30 Jahren aus dem Kanzleramt in die Publizistik, doch wenn es um große Politik geht, redet der bald 95jährige immer noch mit: „Zur Zeit ist die Europäische Zentralbank unter Mario Draghi die einzige Instanz in ganz Europa, die vernünftig funktioniert“, behauptet der SPD-Altkanzler in seinem jüngsten Buch „Mein Europa“ (Hoffmann und Campe 2013) ungeachtet der Tatsache, daß deutsche Sparer angesichts der Niedrigzinspolitik der EZB um ihr Vermögen bangen müssen (JF 38/13).

Auch für die geplante Große Koalition hat der „Weltökonom“ (Süddeutsche) Ratschläge parat: „Es wäre eine unglaubliche Tat“, wenn die Regierung als erstes verkünden würde, „daß sie bereit ist zur gemeinsamen Aufarbeitung der Altschulden und zweitens bereit ist, sich an der Neuverschuldung zu beteiligen“, so Schmidt. „Das wird sie beides aber nicht tun“, fügt er resigniert hinzu.

Gemeinsame Verschuldung ist faktisch längst Realität

Wer den Koalitionsvertrag oberflächlich liest, könnte Schmidt bestätigt finden: „Das Prinzip, daß jeder Mitgliedstaat für seine Verbindlichkeiten selbst haftet“, müsse erhalten bleiben, steht dort geschrieben. Oder: „Jede Form der Vergemeinschaftung von Staatsschulden würde die notwendige Ausrichtung der nationalen Politiken in jedem einzelnen Mitgliedstaat gefährden.“ Von Euro-Bonds steht nichts geschrieben, doch Schmidts „gemeinsame Neuverschuldung“ ist faktisch längst Realität.

Denn wenn es keine „Vergemeinschaftung von Staatsschulden“ geben soll, müßte folgendes geschehen: Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Euro-Rettungsschirme dürften keine neuen Kredite mehr an insolvenzgefährdete Euro-Staaten gewähren. Doch obwohl der auslaufende Rettungsschirm EFSF seit Juli dieses Jahres keine neuen Kredite mehr vergeben sollte, hat die Bundesregierung zugestimmt, daß Portugal vom IWF und der EFSF weitere Kredite in Höhe von 5,6 Milliarden Euro erhält. Falls diese Kredite nicht zurückgezahlt werden, haftet Deutschland in Milliardenhöhe mit. Während also die künftigen Koalitionsparteien verkünden, keine Haftung Deutschlands für die Schulden fremder Länder mehr zulassen zu wollen, beschließt die bisherige Merkel-Regierung genau solches.

Von den 700 Milliarden Euro Grundkapital des dauerhaften Rettungsschirms ESM hat Deutschland rund 190 Milliarden Euro gezeichnet, die dem Fonds unwiderruflich geschuldet werden, 13 Milliarden Euro hat Deutschland bereits eingezahlt – aus Steuermitteln. Aufgabe des ESM wie zuvor der EFSF soll es sein, vor der Zahlungsunfähigkeit stehenden Euro-Staaten Kredite zu gewähren, deren Rückzahlung höchst zweifelhaft ist. Nach der Zwischenbilanz des ESM per 30. September hat dieser bis dahin schon 45,8 Milliarden Euro an Krediten für Euro-Staaten gewährt, außerdem weitere 23 Milliarden an Kreditinstitute.

Zur Refinanzierung hat der ESM rund 61,5 Milliarden Euro Kredite aufgenommen – Tendenz steigend. Für die Rückzahlung dieser Kredite haftet Deutschland über seine Einlage beim ESM. Die Euro-Mitgliedstaaten haben eine „gemeinsame Mindestdarlehenskapazität“ des ESM und der EFSF von 500 Milliarden Euro sicherzustellen. Nach der gegenwärtigen Vertragslage kann also der ESM immer weitere Kredite bereitstellen und dadurch die Haftung Deutschlands und anderer Euro-Staaten weiter erhöhen. Daß „ESM-Mittel weiterhin nur nach Zustimmung des Bundestages bewilligt“ werden sollen, ist angesichts der eindeutigen Aussage, weiterhin „solidarische Unterstützung beispielsweise in Form von Hilfskrediten“ zu leisten, bestenfalls eine Formalie.

Wenn die Behauptung (oder Befürchtung Schmidts) stimmte, es werde keine Vergemeinschaftung von Staatsschulden mehr geben, müßten die Koalitionsparteien darauf hinwirken, daß der ESM-Vertrag geändert wird, der ESM keine weiteren Kredite mehr gewährt und das Stammkapital von 700 Milliarden Euro herabgesetzt wird, so daß Deutschland von seiner Einlageverpflichtung, soweit sie noch nicht geleistet ist, befreit wird.

Haftung von Millionen deutschen Sparern

Wenn das nicht geschieht, braucht die Politik weder Euro-Bonds noch einen Schmidtschen Altschuldentilgungsfonds, noch eine Schuldenunion, um die Haftung Deutschlands für die Schulden anderer Länder zu begründen: Diese Haftung läuft bereits über die Rettungsschirme EFSF und ESM ab und wird weiter ablaufen.

Die „gemeinsame Neuverschuldung“ und Haftung vollzieht sich auch über die von Schmidt gefeierte EZB. Diese ist dazu übergegangen, Staatsanleihen von Euro-Ländern aufzukaufen, ohne „ausreichende Sicherheiten zu stellen“, was klar gegen Artikel 18 ihrer Satzung verstößt. Auch der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln anderer Staaten durch die EZB ist dieser nach Artikel 21 verboten, was aber dennoch geschieht. Für die daraus resultierenden Risiken haftet Deutschland entsprechend seiner Beteiligung an der EZB mit. Aber vielleicht wird das mit der Ankündigung, die „vertraglichen Grundlagen der Wirtschafts- und Währungsunion“ anzupassen, juristisch korrigiert?

Eine Haftung von Millionen Sparern in Deutschland ergibt sich daraus, daß die EZB in einer politisch motivierten und insoweit ihrer Satzung und ihrem Auftrag widersprechenden Weise die Zinsen Richtung Null senkt. Die auf vielen Millionen Lebensversicherungen mit Einlagen von etwa zwei Billionen Euro beruhende private Altersversorgung vieler Deutscher ist nun extrem bedroht, ebenso das Vermögen von Bausparern und Versorgungswerken. Diese Konsequenz verschweigen die Großkoalitionäre. Der Volkswirt Schmidt leugnet all das nicht, würde aber „dem deutschen Volk sagen, letzten Endes wirkt es sich aus zu unseren Gunsten“.

 

Dr. Wolfgang Philipp ist Wirtschaftsjurist. In seinem neuen Buch „Die Abschaffung der Zivilisation “ (Hess-Verlag 2013) analysiert er sechs Jahre Finanz- und Euro-Politik.

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