© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Spion fährt mit
Autoversicherungen: Die Tarife steigen zum Jahreswechsel erneut an / Wer seine Privatsphäre preisgibt, soll künftig von Rabatten profitieren
Christian Schreiber

Die Enthüllungen über amerikanische Geheimdienstaktivitäten in Deutschland scheinen kein Ende zu finden. Vorige Woche wurde gemeldet, daß die NSA jeden Tag weltweit fünf Milliarden Datensätze über die Standorte von Mobiltelefonen sammelt. Damit könnten Bewegungsprofile erstellt werden, die früher unvorstellbar waren, schrieb die Washington Post. Die NSA werte Ortungsdaten von mindestens 100 Millionen Geräten aus.

Die „Schlapphüte“ zapfen dafür jene Kabel an, die die Mobilfunknetzwerke weltweit verbinden. Geschulte Analysten können Telefone überall ausfindig machen, Bewegungen nachvollziehen und verborgene Beziehungen zwischen Personen aufdecken. Die Installation spezieller Spionageapps auf den Telefonen, die Einblick in Aufenthaltsorte geben, scheint hierfür überflüssig.

Bewegungsmuster von,Autofahrern ermitteln

Fast gleichzeitig flatterten Millionen Deutschen saftige Prämienerhöhungen für ihre Kfz-Police ins Haus. Paragraph 40 des Versicherungsvertragsgesetzes erlaubt jedoch die Kündigung und den Wechsel zu einem günstigeren Anbieter. Aber was haben der NSA-Skandal und das Drehen an der Prämienschraube miteinander zu tun? Bislang wenig, sieht man vom geheimdienstlichen Interesse an Versichertendaten einmal ab. Künftig könnte sich das ändern, denn mit Analysewerkzeugen wie dem „Co-Traveler“ der NSA lassen sich nicht nur Terrorverdächtige und Dschihadisten überwachen. Der „Mitreisende“ ist auch eine Errungenschaft für Automobil- und Versicherungskonzerne. Ihr Zauberwort heißt Telematik. Die Verbindung von Telekommunikation und Informatik diente bislang zur Routenplanung oder der Steuerung des Verkehrsflusses. Künftig soll individuell observiert werden.

Einfallstor ist das Dauerargument Sicherheit und das vermeintliche Versprechen, Geld zu sparen. Ein erster Schritt ist das „eCall“ genannte EU-weite automatische Notrufsystem für Verkehrsunfälle. Es ist ab 2015 Pflicht für alle Neuwagen. Das „eCall“-Gerät wählt bei einem schweren Unfall die Notrufnummer 112 und übermittelt dabei den Standort des Unfallfahrzeugs an Rettungsdienste. „Es wird erwartet, daß so bis zu 2.500 Menschenleben pro Jahr gerettet werden könnten“, argumentiert die EU-Kommission.

Doch in die kleine „eCall“-Mobilfunkbox lassen sich zahlreiche weitere Funktionen einbauen. Etwa die als ständiger Aufpasser für die Autoversicherung. Die Sparkassentochter S-Direkt will dafür den Zorn und die Wechselwilligkeit der Autoversicherten nutzen, bereits ab Januar die Fahrdaten ihrer Kunden auswerten und so von der Fahrweise abhängige Tarife anbieten. Dieser Service ist vorerst freiwillig und zusätzlich zur gängigen Kfz-Police buchbar.

Kunden mit einer sicheren Fahrweise sollen so durch niedrigere Beiträge belohnt werden. Das Telematik-Angebot könnten zunächst bis zu tausend Versicherte nutzen. „Es handelt sich um eine Testphase“, erklärte S-Direkt-Vorstandsmitglied Jürgen Cramer. Entwickelt wurde die Technik vom spanischen Konzern Telefónica, der in Deutschland unter O2 firmiert und – bei Genehmigung der Übernahme von E-Plus durch die Kartellbehörden – vor der Telekom zum größten Mobilfunkanbieter wird.

Die Telematik-Box soll nicht nur die „eCall“-Funktion beherrschen, sondern zusätzlich persönliche Daten wie die Fahrzeit, zurückgelegte Kilometer, Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Bremsverhalten sammeln und auswerten. Diese Rohinformationen werden laut Cramer bei Telefónica gespeichert. An S-Direkt würden nur die Kilometeranzahl und auf Basis der Fahrweise errechnete versicherungstechnische Punktwerte übermittelt. Darüber hinaus könne die Box bei Autodiebstahl den Standort übermitteln.

„Sicherheit, Sparen, Feedback, Wiederfinden“ seien die „vier Trümpfe“ des Telematiktarifs, heißt es bei S-Direkt. „Fünf Prozent Rabatt auf Ihre nächste Jahresrechnung bei gutem Gesamtpunktwert (Score), und natürlich müssen Sie nichts nachzahlen!“, verspricht der öffentlich-rechtliche Anbieter – „und das alles natürlich unter strengster Einhaltung des Datenschutzes“.

Daß die Sparkassenversicherung aus Düsseldorf keine Fahrdaten an das NSA-Zentrum in Bluffdale/Utah weitergibt, erscheint glaubwürdig. Die Telefónica ist hingegen sogar gesetzlich verpflichtet, mit Behörden und Geheimdiensten zusammenzuarbeiten. Der Paragraph 110 des deutschen Telekommunikationsgesetzes läßt dem Konzern wenig Spielraum: „Wer eine Telekommunikationsanlage betreibt“, habe „ab dem Zeitpunkt der Betriebsaufnahme auf eigene Kosten technische Einrichtungen zur Umsetzung gesetzlich vorgesehener Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation vorzuhalten“.

Datenschützer äußern sich daher kritisch zu den Telematik-Plänen. Die Kunden müßten beispielsweise vor Vertragsabschluß umfangreich über die Sammlung der Daten aufgeklärt werden. Besonders problematisch sei auch, daß viele Autos von mehreren Personen gefahren würden. „Dann könnte der Halter als Versicherungsnehmer die anderen Fahrer kontrollieren und die zurückgelegten Strecken genau rekonstruieren“, warnte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar.

Daß die Mehrheit der Deutschen eher an den Geldbeutel als den Datenschutz denkt, zeigt der Erfolg von Datenkraken wie Facebook oder Payback. So überrascht es nicht, daß bei einer Umfrage der Unternehmensberatung Towers Watson 62 Prozent der Autofahrer in Deutschland ein Interesse an Telematiktarifen äußert, wenn dabei günstigere Prämien locken. Deutschlands größter Versicherer, die Allianz, testet in Italien bereits eine abgespeckte Variante, bei der nach Kilometerleistung abgerechnet wird. Die Ergebnisse seien „vielversprechend“. Ebenfalls frohlocken könnte der künftige Bundesverkehrsminister. Denn mit einer Maut-Box ließen sich viele Milliarden mehr einnehmen als mit Horst Seehofers pauschaler 100-Euro-Plakette für Ausländer – nach dem „sozial gerechten“ und sicherlich EU-tauglichen Motto: Wer zu schnell und viel fährt, zahlt mehr.

 

Automatischer Notruf für Verkehrsunfälle: europa.eu/rapid/press-release_IP-13-534_de.htm

Telematiktarif der Sparkassen-Versicherung: www.sparkassen-direkt.de/telematik

Daten, die Versicherer sammeln wollen

Daten, die beim Telematik-Anbieter liegen

Fahrdaten: Position, Uhrzeit, Geschwindigkeit, Brems-/Beschleunigungsverhalten, Kilometerstand, Fahrrichtung,Kunden-ID

errechnete  Scorewerte

Jeden Monat werden die Score-Werte plus Kilometerstand verbunden mit Kunden-ID übertragen

Bei Unfall werden Unfalldaten übertragen

Bei Diebstahl wird der Aufenthaltsort des Autos übertragen

Daten, die bei der Versicherung  liegen

Persönliche  Daten:

Name, Adresse, E-Mail-Adresse, Handy-Nummer für den Notfall, Versicherungsvertragsdaten, Kunden-ID

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