© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

„Dummes deutsches Geld“
Finanzmarkt: Durch Fehlinvestitionen im Ausland erlitten die Deutschen Verluste von 600 Milliarden Euro
Christoph Braunschweig

Die Wirtschaft brummt, der deutsche Aktienindex hat sich innerhalb von nur fünf Jahren auf weit über 9.000 Punkte verdoppelt. Trotz des Dax-Kursfeuerwerks glänzen Unternehmen wie Eon, RWE, Telekom, Daimler, Münchener Rückversicherung, K+S (früher Kali und Salz), Allianz, Siemens oder BASF weiter mit ausgezahlten Dividendenrenditen zwischen 3,5 und 7,7 Prozent. VW-Aktionäre, die Anfang 2009 bei einem Kurs von knapp über 30 Euro eingestiegen sind, haben derzeit Papiere im Wert von jeweils über 190 Euro im Depot. Und angesichts der Versechsfachung ihres Investments sind 2,3 Prozent Dividendenrendite für Spät­einsteiger immer noch ganz ordentlich. Für Früheinsteiger errechnen sich aus den 3,56 Euro ausgeschüttete Dividende sogar fast zwölf Prozent Rendite.

Deutsche Anleger scheuen ihren Heimatmarkt

Die meisten Deutschen profitieren von diesem Erfolg kaum. Ihre Reallöhne stagnieren seit der Euro-Einführung, ihr Erspartes wird von Zinsen unterhalb der Inflationsrate angegriffen. Nur 15 Prozent haben Aktien. Oft ist ein Finanzdienstleister zwischengeschaltet, der über Ausgabeaufschlag und Gebühren an der Rendite knabbert. Mehr als die Hälfte der Dax-Aktien liegen laut einer Studie der Beratungsfirma Ernst & Young in ausländischen Depots. Seit 2005 ist der Anteil ausländischer Investoren um 14 Prozentpunkte gestiegen (JF 33/13).

Deutsche Anleger scheuen dagegen ihren Heimatmarkt. Sie investieren in verlustträchtige Finanzprodukte und verschwenden so einen Teil der deutschen Exportüberschüsse. Amerikanische Investmentgesellschaften haben mit Freuden das Geld der deutschen Sparer entgegengenommen und im Gegenzug beispielsweise den deutschen Landesbanken hübsch verpackte Schrottpapiere vom US-Immobilienmarkt angedreht.

Bauträger in Spanien und Irland haben vor der Euro- und Finanzkrise mit deutschem Geld überteuerte Häuser hochgezogen, die nun niemand haben will. Deutsche Banken und Versicherungen kauften sogar griechische Anleihen, wodurch Athen seinen grotesken Beamtenapparat versorgen sowie Konsum- und Rüstungsgüter aus Deutschland und anderswo bezahlen konnte. Der Schuldenschnitt Griechenlands bedeutet faktisch, daß die Gläubiger nur noch einen Teil ihres Geldes wiedersehen.

Deutschland bezahlt seine Exporte, für die es heftig kritisiert wird (JF 48/13), so zum Teil selbst. Die Europäische Zentralbank (EZB), die mit ihrer Euro-Rettungspolitik das deutsche Sparkapital weiter beständig nach Südeuropa lenken will, beklagt gleichzeitig die niedrigen Investitionen in Deutschland: Und hier wird der Irrsinn zur Methode.

Die schrumpfende und alternde Bevölkerung Deutschlands müßte eigentlich ihr Geld geschickt anlegen, damit die Rentner der Zukunft von ihrem erarbeiteten Kapitalstock zehren können. Norwegen investiert deshalb über seine Staatsfonds Milliarden in ausländische – darunter auch deutsche – Vermögenswerte. Auch China, Singapur oder die Schweiz erwirtschaften über Aktien und solide Anleihen gute Renditen. Inder vertrauen auf physisches Gold.

Die Deutschen arbeiten zwar fleißig und verkaufen ihre Produkte weltweit – doch ohne selbst reich zu werden, wie Vermögensvergleiche zeigen. Laut der EZB lag 2010 das Median-Nettovermögen der deutschen Privathaushalte (51.400 Euro) nicht einmal bei der Hälfte des französischen Vermögens (113.500) und niedriger als in Spanien (178.300) oder in Italien (163.900).

Ein Hauptgrund dafür ist, daß die Deutschen besonders schlechte Kapitalanleger sind. Sie vertrauen ihr Geld – staatlich gefördert über Riester & Co. und getrieben von Steuersparversprechen – den falschen Leuten und Finanz­institutionen an und lassen sich dabei in Anlageformen treiben, die nur den Vermittlern oder Beratern Nutzen stiften. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in einer aktuellen Studie ausgerechnet, daß sich die globalen Vermögensverluste Deutschlands allein in den Jahren 2006 bis 2012 auf 600 Milliarden Euro summieren.

Ein Fünftel der jährlichen Wirtschaftsleistung ist weg

Hiermit ist die Differenz zwischen den Leistungsbilanzüberschüssen und den Veränderungen in der Kapitalbilanz gemeint. Das gleichwohl auf fünf Billionen Euro gestiegene Geldvermögen erklärt sich vor allem aus der Bildung neuer Ersparnisse und nicht aus der Rendite von Erspartem. Ob Filmfonds, Goldminen oder Schiffe auf den Weltmeeren: Das Ausland lacht über dumb German money, dummes deutsches Geld. Am Ende heißt es für die deutschen Anleger oft: Der andere hat das Geld, er ist um eine Erfahrung reicher ist. Deutschland hat laut DIW seit 2006 einen Wertverlust von mehr als einem Fünftel der jährlichen Wirtschaftsleistung auf sein Nettoauslandsvermögen erlitten.

Die ausländischen Anleger haben in deutsche Aktien oder Immobilien investiert und dabei profitiert. Hätten die Deutschen ihr Geld in Deutschland investiert, hätten sie Verluste vermieden und Gewinne gemacht. Ihr Kapital hätte helfen können, die hiesige Investitionslücke im Bereich der Verkehrswege, Telekommunikation oder der Energienetze zu schließen. Dieser Rückstand kostet Deutschland künftig Produktivität, Wachstum und Wohlstand.

Als sich die einstige „Deutschland AG“ unter Gerhard Schröder endgültig auflöste und ihre Aktien auf den Markt kamen, griffen vor allem ausländische Großinvestoren beherzt zu. Nicht nur die Deutsche Börse, selbst Firmen wie Adidas, Bayer, Linde, Heidelberg-Cement oder die früher staatliche Deutsche Post sind mehrheitlich in ausländischer Hand. Diese Anleger vertrauen darauf, daß das, was für die vergangenen hundert Jahre galt, weiter stimmt: Die Aktienrenditen liegen im Schnitt um vier Prozentpunkte über den Anlagezinsen. Auch Kursschwankungen sind kein Gegenargument. Billig einkaufen und teuer verkaufen ist grundsätzlich richtig, aber schon ab einer Haltedauer von fünf Jahren spielt der Einstiegskurs statistisch kaum eine Rolle mehr – vorausgesetzt, man ist direkt selbst Aktionär. Dividendenstarke Traditionsfirmen mit starken Marken und unverzichtbaren Produkten bieten fast immer einen reellen Wert.

Hans-Werner Sinn brachte das Investitionsdilemma schon vor vier Jahren in der Welt auf den Punkt: „Die Hälfte der Amerikaner hat mehr konsumiert, als sie an Einkommen hatten. Sie haben sich beispielsweise deutsche Autos gekauft, und zurück zu uns kamen Lehman-Bro­thers-Papiere, die heute wertlos sind.“

Das DIW konstatiert nüchtern: „Nur wenige Länder wie die USA vermögen es, über längere Zeit Gewinne auf ihr Auslandsvermögen zu erzielen oder Verluste zu vermeiden.“ Doch es sei für die Wohlfahrt in einem Land langfristig gesehen äußerst wichtig, „daß Unternehmen und Anleger keine Verluste auf das Auslandsvermögen erleiden. Nur so können zukünftige Generationen an den gegenwärtigen Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands teilhaben“.

„Verluste auf das deutsche Nettoauslandsvermögen“, im DIW-Wochenbericht 49/13:

www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.432785.de/13-49.pdf

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