© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Volker, geh du voran
Regierungsbildung: Die hessische CDU schmiedet ein richtungsweisendes schwarz-grünes Bündnis
Christian Schreiber

Ausgerechnet in Hessen. Dort wo die Grünen vor gut drei Jahrzehnten erstmals in ein Parlament eingezogen waren. Dort wo die CDU ihre letzten konservativen Bastionen hatte. Ausgerechnet in Wiesbaden soll nun die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland vollzogen werden. „Gut“, sagte der amtierende CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier kürzlich versöhnlich, „früher habe ich mich oft über die geärgert. Aber das hat sich geändert.“ Und gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung konkretisierte er wenig später, daß aber nach der Bundestagswahl im September auch die Grünen wüßten, daß die Menschen es nicht gut fänden, wenn man ihnen zu viel vorschreiben wolle. „Die hessischen Grünen sind eine sehr effiziente, sehr fleißige Truppe, die auch nicht in Flügelkämpfen zerstritten ist, wie man das in anderen Verbänden ja noch immer sehen kann. Das macht sie handlungsfähig und damit auch vertrauenswürdig.“

Schwere Zeiten für den Frankfurter Flughafen

Bereits kurz vor Weihnachten soll die neue Liaison unter Dach und Fach gebracht werden, in den Gremien der Parteien zweifeln nur noch wenige daran, daß die geplante Koalition noch platzen könnte. Zu groß ist das Verlangen nach Macht, zu groß die Verlockung, neue Wege gehen zu können. Ausgerechnet der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat den Grünen dabei in die Hände gespielt. Kurz nach der Bundestagswahl sprach er davon, daß die Grünen die „neue FDP“ seien. „Es handelt sich zweifelsohne um eine liberale Partei.“ Und als solche könne er sich jederzeit eine neue sozialliberale Koalition vorstellen. Derart geadelt, gingen die Bundes-Grünen erst einmal vorsichtig in Sondierungsgespräche mit der Union. Nachdem diese erwartungsgemäß noch zu keinem Ergebnis führten, dürfen nun die hessischen Parteifreunde zum Testlauf antreten. Das ist auch eine deutliche Ansage von Bundeskanzlerin Angela Merkel an die SPD-Führung. Die CDU-Vorsitzende soll stinksauer gewesen sein, daß Gabriel und seine Generalsekretärin Andrea Nahles mitten während der Koalitionsverhandlungen in Berlin ihre Abgrenzung gegenüber der Linkspartei aufgehoben haben. Rot-Rot-Grün ist das erklärte Ziel der Sozialdemokraten für die Zeit nach 2017.

Die CDU kontert nun – nachdem ihr einstiger Partner FDP aus dem Bundestag gewählt wurde – mit einem Schwenk hin zu den Grünen. Daß dieser ausgerechnet vom Hessen Bouffier vollzogen wird, ist kein Zufall. Er ist einer der Stellvertreter Merkels und einer ihrer wenigen Vertrauten – weil er keine Ambitionen hat, ihr gefährlich zu werden. Die Kanzlerin, lange eine Anhängerin großer Koalitionen, hat nun im wahrsten Sinne des Wortes „grünes Licht“ gegeben, nachdem sie zuvor bei ähnlichen Experimenten wie im Saarland oder in Hamburg auffallend zurückhaltend blieb. „Die Grünen sind im besten Sinne bürgerlich, weil sie sich der Nachhaltigkeit und der Schöpfung verpflichtet fühlen“, umschmeichelte Bouffier den zukünftigen Partner schon einmal vorab und fügte hinzu: „Es muß die Grundphilosophie der sich anbahnenden Koalition sein, daß man sich wechselweise etwas gönnt.“

Nimmt man die bisherigen Verhandlungen zum Maßstab und berücksichtigt dabei auch die vergangenen vier Jahre im Wiesbadener Parlament, dann stehen die Chancen gut, daß das neue Bündnis stabil sein wird. Als große Knackpunkte galten bisher das Kinderförderungsgesetz sowie der weitere Ausbau des Frankfurter Flughafens. Das noch von CDU und FDP beschlossene Gesetz stellt die Finanzierung der Kindertagesstätten von Gruppen auf das einzelne Kind um. Eltern, die größere Gruppen fürchteten, und Erzieherinnen hatten im Frühjahr massiv gegen den Entwurf protestiert. Bouffier kündigte nun nach einem Gespräch mit dem grünen Verhandlungsführer Tarek Al-Wazir an, daß das Gesetz wie geplant zu Jahresbeginn in Kraft treten werde. Die Grünen forderten keine vollständige Rücknahme des Regelwerkes mehr. Man müsse es aber so verändern, daß die „Befürchtungen nicht eintreten“, sagte Al-Wazir. Dazu gehöre, die Inklusion behinderter Kinder zu regeln.

Im hessischen Dauerzank um den weiteren Ausbau des Frankfurter Flughafens will Bouffier dagegen den Grünen entgegenkommen. Eine Ausweitung des Nachtflugverbots gilt nun als ziemlich wahrscheinlich, der geplante Neubau des dringend nötigen dritten Terminals am Rhein-Main-Airport dagegen als reichlich ungewiß. Die Wirtschaftswoche spottete daraufhin gleich, der Rhein-Main-Airport werde wohl zum „Schönwetter-Flughafen umfunktioniert“, bei dem der Betrieb regelmäßig zusammenbreche, sobald Wind, Eis und Schnee ins Spiel kämen.

Nach den bisherigen Verhandlungsrunden sickerte durch, daß auf Wunsch der Union das Ehrenamt gestärkt und in der Verfassung verankert werden soll. Auch das Quorum für einen Volksentscheid solle gesenkt werden. Beide Seiten verabredeten einen Verfassungskonvent, zu dem alle politisch relevanten Gruppen eingeladen werden sollen. Auch in Fragen der Europapolitik soll Einigkeit herrschen, in Schulfragen haben die Grünen bereits in der vergangenen Legislaturperiode stets mit der Union gestimmt.

Bleibt bei so viel Einigkeit am Ende die Frage, ob SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles nicht doch etwas voreilig war, als sie kürzlich behauptete: „Diese Koalition in Hessen hat für den Bund keinerlei Bedeutung.“

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