© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Der hessische Patient
Alternative für Deutschland: Der Landesverband Hessen bereitet nicht nur Parteichef Bernd Lucke Sorgen
Marcus Schmidt

Wer verstehen will, warum es in der Alternative für Deutschland (AfD) derzeit drunter und drüber geht, muß nach Hessen schauen. Dort, im Mutterland der Partei, von wo aus im Februar der bemerkenswerte Weg der Euro-Kritiker mit einer Großveranstaltung in Oberursel begann, hat sich die Partei vor knapp drei Wochen quasi enthauptet. Nach dem Rücktritt des Vorstandes auf dem Landesparteitag Ende November in Gießen, der mit dem Auszug von mehr als einem Drittel der Teilnehmer und der Beschlußunfähigkeit endete, will die Partei am Sonnabend nun in Friedberg versuchen, wieder auf die Beine zu kommen. Derzeit führt ein vom Landesschiedsgericht eingesetzter Notvorstand die Geschicke des Verbandes.

Dem Eklat war ein wochenlanger Kleinkrieg im Vorstand vorausgegangen, der schließlich dazu führte, daß die hessische Parteispitze handlungsunfähig war. Ein Teil der Vorstandsmitglieder hatte ihre Mitarbeit aufgekündigt, um eine Neuwahl des Gremiums zu erzwingen. Die Gründe für die Auseinandersetzungen liegen in einer nur schwer auseinanderzuhaltenden Mischung aus persönlichen Animositäten und inhaltlichen Differenzen wie sie momentan so oder so ähnlich in vielen Landesverbänden anzutreffen ist. Sehr zum Leidwesen des Bundesvorstandes um Bernd Lucke, der seine Wochenenden derzeit häufig auf irgendwelchen Parteitagspodien verbringt und versucht, die Partei zusammenzuhalten. Den anstehenden Europawahlkampf dabei immer fest im Blick.

Doch nirgends ist der Streit bislang so eskaliert wie in Hessen. Mit seinen rund 2.000 Mitgliedern immer noch einer der größten und wichtigsten Landesverbände der AfD. Im Laufe der vergangenen Wochen war dort der ursprünglich elf Personen umfassende Landesvorstand in zwei verfeindete Lager zerfallen. Die eine Gruppe umfaßte die Landessprecher Albrecht Glaser, Eberhard von dem Bussche und Simon Roger. Auf der anderen Seite standen der Frankfurter Stadtverordnete Wolfgang Hübner, der ehemalige hessische CDU-Landtagsabgeordnete Heiner Hofsommer sowie die Beisitzer Daniela Hortelano und P. Reimers.

Hübner wurde von den Sprechern im Zuge der Auseinandersetzungen unter anderem seine angeblich satzungswidrige „Doppelmitgliedschaft“ bei der AfD und den Frankfurter Freien Wählern vorgeworfen, für die er in der Stadtverordnetenversammlung sitzt. Erst ein Hinweis Luckes auf einen Beschluß der Bundespartei, der eine solche Doppelmitgliedschaft erlaube, entschied die Frage. Der Streit im Vorstand indes blieb und landete vor dem Parteigericht. Spätestens da waren die persönlichen Verhältnisse vollends zerrüttet.

Es gibt aber auch eine andere Lesart. Demnach stehen hinter den Auseinandersetzungen in Hessen durchaus auch inhaltliche Differenzen. „Wir, die auf dem Parteitag in Gießen ausgezogen sind, wollen nur eins: eine neue freiheitliche Partei“, sagte eines der Parteimitglieder, die für den Abbruch des Parteitages gesorgt und damit die Wiederwahl Glasers und von dem Bussches verhindert hatten, der JUNGE FREIHEIT. Die Gruppe um die alten Sprecher wolle dagegen eine neue FDP oder CDU. Dabei, so der Vorwurf, würden brisante Themen wie Zuwanderung, Islamisierung, innere Sicherheit ausgeblendet. Hofsommer faßt die inhaltlichen Differenzen griffig zusammen: „Es fehlt das konservative Credo“, wirft er der ehemaligen Parteispitze vor.

Also doch ein Streit zwischen Konservativen und Liberalen? Wolfgang Hübner widerspricht. „Weder hat die AfD eine gute Perspektive als nur national-konservative Partei, noch aber als neoliberale Nischen- und Ergänzungspartei FDP 2.0.“, schreibt er in einem Positionspapier zur Lage der Partei, das im Landesverband die Runde macht. Beim Streit im Vorstand sei es nie um Inhalte, sondern stets um persönliche Befindlichkeiten, Satzungsfragen und Machtansprüche gegangen.

Mehr als einmal hat Lucke versucht, den von den Medien bereitwillig aufgegriffenen Streit in Hessen zu entschärfen. Liest man zwischen den Zeilen, entsteht der Eindruck, daß er dabei eher dem Lager um Hübner zuneigt, auch wenn er dies als Bundessprecher natürlich öffentlich nicht zugestehen würde. Er sehe „erheblichen Anlaß zur Kritik“ am gesamten ehemaligen hessischen Landesvorstand, lautet vielmehr seine parteiinterne Linie.

Dunkle Wolken über dem Parteitag

Doch selbst der „arbeitende Teil des Vorstandes“, wie sich Glaser und von dem Bussche zeitweise selbst charakterisierten, sieht Lucke im Lager der Gegner. Die Nähe des Parteichefs zu „diesem Teil der hessischen AfD“ sei „bedeutend größer als zu den legitimierten Amtsträgern“, wirft Glaser Lucke vor.

Vergeblich hatte dieser vor dem Eklat auf dem Parteitag in Gießen an die Kontrahenten appelliert: „Ich empfehle dem Landesvorstand dringend, mehr auf politischen Interessenausgleich als auf juristische Auseinandersetzungen zu setzen.“ In dem Schreiben definierte er die Befähigung zur Herstellung und Bewahrung des innerparteilichen Friedens als eine „Kernkompetenz“ eines Landesvorstandes. Angesichts der verfahrenen Situation in Hessen eine deutliche Ansage.

Andererseits hat der stets auf das Fortkommen der Partei bedachte Lucke wenig Verständnis für den bewußt von der parteiinternen Opposition herbeigeführten Abbruch des Gießener Parteitages. „Ich mißbillige jede bewußte Herbeiführung einer Beschlußunfähigkeit. Das ist kein guter politischer Stil“, schrieb Lucke in der vergangenen Woche in einer E-Mail an den früheren Vorstand. Damit würden Konflikte eskaliert statt eingedämmt.

AfD-Bundessprecher Konrad Adam glaubt dennoch, daß sein Landesverband trotz aller persönlichen Streitigkeiten nach dem Wochenende wieder einen regulären Vorstand hat. „Ich hoffe es einfach“, sagte er der JF. Daß es möglich ist, einen zerstrittenen Landesverband wieder zu einigen, zeige ein Blick nach Bayern. „Wer kandidieren will, soll kandidieren. Wer die Mehrheit der Stimmen bekommt, ist gewählt“, gibt er die Richtung für Sonnabend vor.

Doch auch über dem neuen Parteitag sind bereits dunkle Wolken aufgezogen. Anlaß ist der Plan des Notvorstandes, vor der Mitgliederversammlung einen Delegiertenparteitag abzuhalten, auf dem die Satzung geändert werden soll. Ziel ist es unter anderem, das dort verankerte Quorum zu streichen, das die Beschlußfähigkeit von Vorstandssitzungen und Parteitagen regelt. Künftig soll es nicht mehr möglich sein, daß sich der Vorstand selbst blockiert oder eine Neuwahl der Führungsspitze – wie in Gießen – an der Beschlußunfähigkeit des Parteitages scheitert. Doch gegen diese Pläne regt sich Widerstand. Der Parteitag droht ein Fall für die Gerichte zu werden.

Die alten Landessprecher geben sich indes noch nicht geschlagen. Glaser arbeitet über die hessischen Landesgrenzen hinaus weiter aktiv in der AfD mit. Erst am Wochenende nahm er als Mitglied des Tagungspräsidiums am Landesparteitag in Bayern teil. Ob er und von dem Bussche erneut ihren Hut in den Ring werfen, war zu Beginn der Woche allerdings noch nicht ganz klar. Während die Gegner des alten Vorstandes fest davon ausgehen, ließ sich von dem Bussche nicht in die Karten blicken. „Schau’n wir mal“, sagte er. Die Streitigkeiten der vergangenen Wochen hätten seine Lust nicht unbedingt gesteigert. Doch er sagte auch: „Wenn man in die Pflicht genommen wird, muß man ran.“

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