© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Wiedervereinigung nur als Lizenz zur Selbstauflösung
François Mitterand drohte Helmut Kohl 1989 mit einer neuen „Einkreisung“ und erzwang die Währungsunion
Oliver Busch

Wilfried Loth, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Duisburg-Essen, hat seine Lebensarbeit dem politischen Katholizismus im 20. Jahrhundert sowie der Geschichte der Europaidee nach 1945 gewidmet. Bei diesem zweiten Forschungsschwerpunkt ist Loth jedoch mehr als Propagandist der „Vereinigten Staaten von Europa“ denn als wissenschaftlich-kühler Wahrheitssucher hervorgetreten. So verwundert es nicht, wenn auch sein jüngster, der Vorgeschichte des Euro geltender Beitrag über „Helmut Kohl und die Währungsunion“ (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 4/2013) eine mit Polemik gegen „D-Mark-Nostalgiker“ gewürzte Bekenntnisschrift ist.

Doch ungeachtet vieler Abwertungen des Nationalstaates, die bei westdeutschen Akademikern von Loths Jahrgang 1948 ohnehin zur eisernen Ideologieration gehören, bestätigt dieser Rückblick auf die dramatische Umbruchzeit 1989/90 die von EU-Kritikern favorisierte These, mit der Währungsunion sollte das gerade erst wiedervereinigte Deutschland nicht nur „eingebunden“, sondern faktisch „aufgelöst“ (François Mitterand) werden.

Zwar läßt Loth keinen Zweifel daran, wie ihn der damals „unumkehrbar“ eingeschlagene bundesdeutsche Weg in die europäische „Supranationalität“ begeistert. Die Wiedervereinigung ist ihm daher nur deshalb historisch bedeutsam, weil sie die „Gelegenheit“ bot, das Tor in Richtung Euro aufzustoßen. In dieser Deutung ist die Aufgabe nationaler Souveränität kein Opfer, sondern ein Privileg, das der um das DDR-„Beitrittsgebiet“ erweiterten BRD von den westlichen Freunden generös zugestanden worden sei. Aber daß diese „Freunde“, allen voran Frankreichs mumienhafter Staatspräsident Mitterand und die rabiate britische Chauvinistin Margaret Thatcher, nationalistische Machtpolitik klassischen Zuschnitts trieben, muß Loths Rekonstruktion diplomatischer Ränkespiele im Schatten des Mauerfalls widerstrebend einräumen, soll die Darstellung nicht in Geschichtsklitterung abgleiten.

Was ebensowenig zu verschweigen ist, sind die aus heutiger Sicht bemerkenswert starken Widerstände gegen das französische Projekt der Währungsunion. Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl und Kohls Finanzminister Gerhard Stoltenberg macht Loth als die Hauptbremser, als „prinzipielle Gegner“ der Einheitswährung lange vor 1989 aus. Der „ewige“ Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hingegen erscheint als williges Werkzeug der Franzosen, der ihnen die „Sorge vor einer Emanzipation der Deutschen von der Europäischen Gemeinschaft“ nahm. Überhaupt provoziert Loths Skizze weitere Forschungen, um Genschers dubiose, dezidiert antideutsch anmutende Rolle nicht allein während des DDR-Kollapses heller auszuleuchten.

Nicht einmal der manische Europäer Helmut Kohl agierte wie Genscher vergleichbar enthemmt als Pariser Erfüllungsgehilfe. Mit frappierend patriotischem Starrsinn widersetzte der erratische Pfälzer sich lange Mitterands Forderung, die Zustimmung zur Wiedervereinigung außer mit der Währungsunion und mit dem Atomwaffenverzicht mit der definitiven Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu bezahlen. Dabei verraten die Tagebücher von Mitterands Sekretär Jacques Attali, Loths Hauptquelle, um die Schachzüge im Élysée-Palast nachzuzeichnen, daß die seit 1940 in der weltpolitischen Regionalliga spielenden Gallier nur bluffen konnten, um Kohl unter Druck zu setzen. Diese faktische Ohnmacht Mitterands belegt nichts schlagender als Attalis Notiz über die Phantastereien seines Chefs, der für das Zustandekommen der deutschen Einheit ohne Anerkennung von „Polens Westgrenze“ und unter Verzicht auf die Währungs- samt der politischen Union Kohl am 28. November 1989 telefonisch mit der „Einkreisung durch die Triple-Allianz (Frankreich, Großbritannien, UdSSR) (…) genau wie 1913 und 1939“ bedrohte.

Erst als Michail Gorbatschow eine Woche später in Kiew dem finassierenden Architekten einer neuen „Einkreisung“ die kalte Schulter gezeigt hatte, platzten die französischen Illusionen. Der Spielraum für eine festere Politik der Behauptung nationaler Interessen war 1990 also selbst hinsichtlich der von Polen und der Sowjetunion annektierten deutschen Ostgebiete viel größer, als es Bonns Politikdarstellern lieb war. Dies gilt um so mehr für die Euro-Weichenstellung, mit der Helmut Kohl sich, wie Loth befriedigt konstatiert, letztlich doch dem „wesentlichen“ Ziel von Frankreichs Europapolitik, der auf Selbstaufgabe hinauslaufenden „Einbindung Deutschlands“, unterwarf.

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