© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Fast immer versiegt die Inspiration im letzten Akt
Oper: Zum 150. Geburtstag des italienischen Komponisten Pietro Mascagni, Schöpfer der „Cavalleria rusticana“
Wiebke Dethlefs

Zu den Komponisten, die nur mit einer Schöpfung Weltruhm erzielten, obwohl sie ein durchaus umfassendes Gesamtwerk hinterließen, zählt Pietro Mascagni. Sein Einakter „Cavalleria rusticana“ – sehr oft zusammen mit dem Einakter „Der Bajazzo“ des Ruggiero Leoncavallo gegeben, da beide Werke für sich allein nicht abendfüllend sind – zählt zu den meistgespielten italienischen Opern. Über sie sind aber das Leben wie auch die anderen Schöpfungen Mascagnis zumindest außerhalb seines Geburtslands völlig in den Hintergrund getreten.

Mascagni kam in Livorno zur Welt und schlug gegen stärksten Widerstand seines Vaters die Musikerlaufbahn ein. Seine frühesten Schöpfungen, eine Symphonie, einige geistliche Chöre und eine Kantate waren recht erfolgreich. Seine erste Oper „Guglielmo Ratcliff“ (nach Heine) fand aber 1888 keinen Verleger und blieb lange Jahre unaufgeführt. Mascagni nahm 1889 an einem Kompositionswettbewerb für einen Einakter teil und gewann mit „Cavalleria rusticana“ den ersten Preis. Die Erstaufführung dieser im einfachen sizilianischen Bauernmilieu angesiedelten Oper voll Blut und Rache wurde begeistert aufgenommen. Mit ihr war gleichsam der „verismo“ geboren – das musikalische Gegenstück zum literarischen Naturalismus – „die krasse Anwendung musikalischer Ekstase und Illustration auf Stoffe des alltäglichen Lebens“, wie ihn Oscar Bie nannte.

In kürzester Zeit wurde die Oper in ganz Europa gespielt. Mit ihr durchzog ein neuer frischer Wind das seit dreißig Jahren durch Wagners übermächtiges Schaffen fast lethargisch gewordene Musikwesen. Zwischen die letzten Kämpfe um Wagner und die ersten um Richard Strauss schob sich ein neuer Opernstil.

Dabei ist die „Cavalleria“ nicht sonderlich originell, ja sogar trivial. Die Instrumentation ist roh, doch sie peitscht in ihren aggressiven Klängen die Nerven. Mascagnis Themen wohnt eine ungeheure Plastik und Prägnanz inne, darin dem nur wenig älteren Puccini verwandt. Die Verknüpfung der teils gassenhauerisch volkstümlichen und gleichzeitig lyrisch-hymnischen Thematik mit der fast in Echtzeit ablaufenden, ungeheuer bewegten Handlung scheint den gewaltigen Erfolg des Werks zu berechtigen.

Mascagni gelang es nie mehr, an diesen ersten Erfolg anzuküpfen. Seinem nächsten Werk „L’Amico Fritz“ (1892) warf Wiens allmächtiger Kritiker Eduard Hanslick einen „social-demokratischen Zug“ vor, „alles soll gleichberechtigt sein, Disharmonie wie Harmonie, welch verabscheuenswerte Tendenz“.

Mascagni hat insgesamt achtzehn Opern geschaffen, die letzte 1935 als 72jähriger; die meisten davon blieben seit ihrer Erstaufführung erfolglos. In Italien werden außer der „Cavalleria“ zumindest „L’Amico Fritz“ und „Iris“ (1898) regelmäßig gegeben. „Iris“ nimmt Handlungsstränge der „Madame Butterfly“ vorweg, und sicherlich nahm sich Puccini das ältere Werk zum Vorbild. Daß aber gerade Mascagnis Mehrakter so wenig anschlugen, lag in seiner Schwäche, das musikalische Niveau bis zum Finale durchzuhalten, fast immer versiegt die Inspiration im letzten Akt.

Zum größten Nachteil seiner Opern geraten auch die Libretti. Mascagni, vielbelesen, meldete stets zu hohe literarische Ansprüche bei der Stoffwahl an und fand bisweilen keine adäquate Umsetzung – trotz oder weil solche Größen wie Gabriele D’Annunzio für ihn arbeiteten. Musikalisch-handwerklich stehen die meisten seiner späteren Opern weit über der in Eile und jugendlichem Überschwang hingeworfenen „Cavalleria“, die ein schlagkräftiges Libretto besitzt.

Mascagnis musikalisches Leben und seine Entwicklung ist oft als enttäuschend dargestellt worden, es begann mit großem Erfolge und endete mit Gleichgültigkeit. Trotz aller Mängel ist Mascagni kein Komponist, den man geringschätzen darf. Er ist zweifellos der bedeutendste italienische Opernkomponist im 20. Jahrhundert neben Puccini. Seine von Wohllaut und Gefühl geprägte Musiksprache erwächst aus tiefem künstlerischem Ernst. Mascagni starb am 2. August 1945 in Rom.

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